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# taz.de -- Corona in Flüchtlingsunterkünften: Dem Virus wehrlos ausgeliefert
> In mindestens sieben Flüchtlingsheimen in NRW grassiert das Coronavirus.
> Das Ansteckungsrisiko ist dort noch größer als auf Kreuzfahrtschiffen.
Bild: Mindestens 130 Infizierte: Das Ordnungsamt trägt im Flüchtlingsheim St.…
Bochum taz | Nach dem Ausbruch von COVID-19 in mindestens sieben
Landesunterkünften für Geflüchtete in Nordrhein-Westfalen fordern SPD,
Grüne und Verbände eine bessere, entzerrte Unterbringung der
Schutzsuchenden. „Das Land hat bisher das Risiko erhöht, dass Geflüchtete
an [1][Corona] erkranken“, kritisiert Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des
Flüchtlingsrats NRW. Auch zwei Monate nach Beginn der
Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland herrsche in vielen Unterkünften
drangvolle Enge. Geflüchtete lebten noch immer [2][in Sechsbettzimmern], es
fehlten Masken und Desinfektionsmittel, so Naujoks zur taz – die Heime
würden so zu „Corona-Brutstätten“.
In den Landesunterkünften in Sankt Augustin, Euskirchen, Marl, Bonn, Bad
Driburg und Neuss sind mindestens 226 Bewohner*innen an Covid 19 erkrankt.
152 von ihnen leben in der „Zentralen Unterbringungseinrichtung“ (ZUE)
Sankt Augustin, allein dort kommen mindestens zehn erkrankte
Mitarbeiter*innen dazu. Dieses Heim und die Unterkunft in Marl stehen unter
Vollquarantäne.
Wie die Landtagsopposition aus SPD und Grünen fordert auch Naujoks,
zumindest Angehörigen von Risikogruppen schnellstmöglichst Unterkünfte
bereitzustellen, die sie vor Corona schützen. FDP-Flüchtlings-und
Integrationsminister Joachim Stamp hätte „schon vor Wochen dafür sorgen
müssen, dass besonders ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen schnell
verlegt werden“, sagt Berivan Aymaz, flüchtlingspolitische Sprecherin der
Grünen Landtagsfraktion. Nach Angaben von Stamps Ministerium zählen aktuell
842 der insgesamt rund 11.500 Menschen in den Flüchtlingsheimen des Landes
zur Risikogruppe.
„Eine Zumutung“ seien die „Massenunterkünfte“ aber auch für Jüngere …
nicht Vorerkrankte, sagt Ibrahim Yetin, integrationspolitischer Sprecher
der SPD im Düsseldorfer Landtag. „Abstand zu anderen oder Selbstisolation“
seien dort „nicht umzusetzen“. Zumindest mittelfristig müssten die
Geflüchteten dezentral untergebracht werden, fordern Aymaz und Yetim
deshalb.
## Testen will die Landesregierung lieber nicht
Der 2019 lange vor Corona beschlossene „Asylstufenplan“ von Minister Stamp
sieht dagegen vor, dass Schutzsuchende bis zu 24 Monate in den beengten
Sammelunterkünften ausharren müssen. „Mit Corona ist die Verteilung auf
Städte und Gemeinden komplett gestoppt worden“, kritisiert auch Birgit
Naujoks vom NRW-Flüchtlingsrat – „mit der Begründung, die Kommunen zu
entlasten. An die Geflüchteten hat niemand gedacht“.
Kurzfristig müssten die Menschen in den Unterkünften zumindest regelmäßig
und flächendeckend auf das Corona-Virus getestet werden, fordern die
Fraktionsvorsitzenden von Grünen und SPD, Monika Düker und Thomas
Kutschaty, außerdem. „Überall dort, wo Menschen eng miteinander
zusammenkommen, müssen regelmäßige Tests an der Tagesordnung sein“, so
Kutschaty zur taz. „Das gilt natürlich auch für Flüchtlingsunterkünfte.“
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) gibt sich dagegen
zurückhaltend. Über generelle Tests wolle er „noch ein bisschen
nachdenken“, sagte er im WDR – dabei wird die in NRW zur Verfügung stehende
Kapazität von wöchentlich rund 181.000 Untersuchungen längst nicht
ausgeschöpft: Durchgeführt werden pro Woche nur etwa 80.000 Tests.
Skeptisch gibt sich auch Integrationsminister Stamp. Coronatests seien
„immer nur eine Momentaufnahme“, heißt es aus seinem Ministerium. Verwiesen
wird stattdessen auf ein „Unterbringungs- und Verteilungskonzept“, das in
der Corona-Pandemie erarbeitet worden sei. So seien Jugendherbergen mit
zusätzlichem Platz angemietet worden. Außerdem seien „Quarantänebereiche
für Infizierte“ vorgesehen und es solle auf Abstandsregelungen und die
Hust- und Niesetikette hingewiesen werden. Allerdings hätten die
zuständigen Bezirksregierungen „vor Ort nicht alles zeitgleich umsetzen
können“, räumt ein Sprecher Stamps ein.
Abstandhalten im Mehrbettzimmer unmöglich
Dabei ist besserer Schutz längst überfällig. Nach einer bisher
unveröffentlichten Studie der Universität Bielefeld ist das
Corona-Infektionsrisiko in Flüchtlingsheimen noch größer als auf
Kreuzfahrtschiffen, die vor ihrer Stilllegung als Hotspots der Pandemie
galten. Danach dürfte ein Infizierter in einer Geflüchteten-Unterkunft 20
Prozent der übrigen Bewohner*innen anstecken – ein Schiffspassagier dagegen
nur 17 Prozent der Mitreisenden.
Der Grund dafür ist simpel: „Abstandhalten zu Personen, die nicht demselben
Haushalt angehören, ist in engen Mehrbettzimmern unmöglich. Ebenso müssen
sich viele Menschen Sanitäreinrichtungen und Küchen teilen“, so der
Mediziner Kayvan Bozorgmehr, der die Bielefelder Studie verantwortet. „Die
Bedingungen befördern eine Ausbreitung.“
21 May 2020
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## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
NRW
Infektion
Unterbringung von Geflüchteten
Geflüchtete
Flüchtlingslager
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