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# taz.de -- Laxer Umgang mit Corona-Gefahr: Ein bisschen Spaß
> Die heilige Dreifaltigkeit aus Kirche, Clubs und Corona macht derzeit
> Schlagzeilen. Allen dreien steckt die Rücksichtslosigkeit tief in der
> DNA.
Bild: In MEINER Badewanne bin ICH Kapitän!
Es sind nicht nur die Schlachthöfe des Schweins, sondern auch die des
Herrn, in denen sich ideale Bedingungen für ein gepflegtes Superspreading
finden. So haben Gottesdienste in Frankfurt am Main und Bremerhaven für
bislang über 250 Neuinfektionen an Covid-19 geführt. Zum Teil wurde die
Maskenpflicht nicht eingehalten, und gesungen wurde ebenfalls.
Dabei weiß man doch nach diversen Vorfällen bei Chören, dass selbst unter
gewissenhafter Einhaltung der Regeln, für das Singen in geschlossenen
Räumen schlicht kein „plausibles Hygienekonzept“ zu existieren scheint, von
dem der Bremerhavener Bürgermeister dennoch schwadroniert, nachdem das Kind
schon längst in den aerosolgefüllten Brunnen gefallen ist. Gewiss dachten
die Christen, dass der Herr Jesus sie beschützt. Dieser Professor Drosten
macht zwar einen sympathischen Eindruck, aber alles kann der auch nicht
wissen.
Apropos Jesus. Am Pfingstsonntag hätte der trockenen Fußes über den
Berliner Landwehrkanal joggen können. [1][Tausende Clubgänger fanden sich
dort zu einer Schlauchbootdemo] gegen das drohende Clubsterben. Dicht an
dicht, keine Masken, wenig Klamotten, null Abstand zwischen den Booten,
einer rauschenden Coronaparty unter dem inoffiziellen Motto: „Eure
Gesundheit ist unser Tod!“
Diese Scheißegalmentalität kennt zur Genüge, wer am Schlesischen Tor wohnt
und nachts schlafen möchte. Wo Leute unterwegs sind, deren empathischer
Horizont zwar räumlich und intellektuell an den Grenzen der eigenen Person,
aber zeitlich selten vor acht Uhr morgens endet, bleibt anderen Menschen
nur noch die Wahl zwischen Flucht, Wahnsinn und Verzweiflung.
## Gott oder Pillen
Zumindest erstere Möglichkeit ist den Patienten des Urban-Krankenhauses
verwehrt, vor dem besagte Seuchensause ihren Abschluss feierte. Sie sind
dort an ihre Betten gefesselt, während vor ihren Fenstern die
Gottseibeiuns-Armada wummert. Party, party, party!! Ich mein, ey, warum
sind die krank, ist doch schönes Wetter, lol, einfach mitfeiern!
Die einen nehmen Pillen, die anderen nehmen Gott. Die einen sind jung, die
anderen sind alt, zumindest im Kopf. Gemein scheint beiden Lagern das feste
Wissen um die eigene Unverwundbarkeit und eine allem anderen übergeordnete
Mission zu sein, die Rücksichtslosigkeit gegenüber Außenstehenden – man
könnte auch sagen: gegenüber gemeinschaftlichen Belangen – geradezu
zwingend erfordert. Denn es geht um Höheres. Was das Höhere ist, bestimmen
natürlich immer sie. Dummheit und Selbstüberschätzung regieren hier wie
dort.
Nun bläst ihnen die Gesellschaft aber reichlich Gegenwind in die Gesichter,
den Ravern wie den Christen. Die Organisatoren von „Rebellion der Träumer“,
wie sich die Veranstalter in unfreiwilliger Weitsicht nennen, haben
zerknirscht Fehler und sinngemäß auch Naivität eingestanden. Als wüsste man
nicht, welch formidablen Arschgeigenhaufen man traditionell im Schlepptau
führt. Das erinnert an den Besitzer eines Mastino-Werwolfmischlings,
dessen Liebling „doch nur spielen“ wollte.
Der Krisenstab in Bremerhaven warnt nun wiederum vor der Diskriminierung
Gläubiger. Aber dann könnten sich die Damen und Herren Gläubigen ja
vielleicht auch mal entsprechend verhalten – das würde Gott sicher ganz
dope finden von wegen „liebe deinen Nächsten“ und so.
Und doch bitte mal endlich dieses Mittelaltergedöns hinter sich lassen,
laut dem Gott die Ungläubigen straft und die Gläubigen verschont. Das ist
nicht wissenschaftlich. Die Erde ist keine Scheibe und das Virus wird nicht
vom Teufel übertragen, sondern vom Singen christlicher Lieder. Aber wo ist
da schon groß der Unterschied?
3 Jun 2020
## LINKS
[1] /Demo-in-Berlin-ohne-Anstandsregeln/!5690228
## AUTOREN
Uli Hannemann
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