# taz.de -- Fête de la Musique in Berlin und überall: Auf zum Corona-Jam! | |
> Zurück zu den Wurzeln: Die Fête de la Musique wird trotz Corona | |
> stattfinden, und nicht nur im Internet. Jede/r ist aufgerufen, Musik zu | |
> machen. | |
Bild: Der Abstand zu den Musikern stimmt schon mal: Fête 2018 in Prenzlauer Be… | |
Nein, coronatauglich ist diese Maske nicht. Wenn Junk-E-cat auf die Bühne | |
geht, muss der Mund unbedeckt bleiben. Denn damit spielt der Musiker das | |
Saxofon und die Bassklarinette, deren Töne er dann sofort in den laufenden | |
DJ-Mix einbaut. | |
Es war diese ebenso zeitgemäße wie technisch virtuose Kombination aus | |
handgemachter und elektronischer Musik, auf die die Organisatoren der Fête | |
de la Musique aufmerksam wurden. Und dass der Berliner Künstler bei seinen | |
Auftritten neben einem Overall stets eine Maske trägt, die den oberen Teil | |
seines Gesichts verhüllt, war zwar nicht der Grund, dass er bei der Fête | |
auftreten wird, kann aber durchaus als ironischer Kommentar zur Situation | |
der Veranstaltung gelesen werden. | |
Denn wenn Junk-E-cat am 21. Juni zwischen Rohrblattinstrumenten und | |
Mischpult hin- und herhuscht, wird auf dem Dach des Centre Français de | |
Berlin in der Müllerstraße im Wedding natürlich kein leibhaftiges Publikum | |
dabei sein. So wie generell bei der diesjährigen Fête de la Musique. | |
Ausgerechnet die 25. Auflage des riesigen kostenlosen Events, zu dem sich | |
sonst die Massen vor Dutzenden von Bühnen drängen, wird ganz anders | |
aussehen als gewohnt. | |
Nichtsdestotrotz wird das Jubiläum kein stilles. Auch 2020 soll zum | |
Sommeranfang in Hunderten Städten auf der ganzen Welt Musik gemacht und | |
gehört werden. Nur dass die Bühnen diesmal nahezu ausschließlich im | |
Internet aufgebaut werden. „Im Grunde genommen reden wir von einer | |
abgesagten Veranstaltung“, sagt Cheforganisator Björn Döring, „und von | |
einer [1][komplett neuen Veranstaltung], die alle Abstands- und | |
Hygienevorschriften einhält.“ Die Fête ist tot, es lebe die Fête. | |
## Umplanen in Windeseile | |
Nur zweieinhalb Monate blieben Döring und seinem Team, um vom Beginn der | |
Corona-Maßnahmen bis zum 21. Juni eine völlige Neukonzeption und | |
Organisation auf die Beine zu stellen. Geplant ist, dass die unzähligen | |
Bands, Künstler und Chöre zwar nicht mehr auf einer der 180 in der ganzen | |
Stadt verteilten Bühnen auftreten, sondern trotzdem live, aber vor allem | |
per Stream im Internet. | |
Der Zuspruch hat die Macher der Berliner Fête überrascht: „Eigentlich | |
herrscht ja eine bedrückte Stimmung, weil viele, die in der Musikbranche | |
arbeiten, in ihrer Existenz bedroht sind“, sagt Döring. „Umso schöner ist | |
es, wie schnell Künstler, Vereine und Institutionen reagiert und sich | |
gemeldet haben, um mit uns zusammen an einer Alternative zu arbeiten.“ | |
Das Programm der umgebauten Fête und die dazugehörigen Links sollen auf der | |
Homepage gelistet, die Musikerinnen und Musiker bei der technischen | |
Umsetzung und mit Tutorials unterstützt werden. Auch der traditionelle | |
„Singalong“ soll stattfinden, nur eben nicht mit 3.500 Menschen auf dem | |
Gendarmenmarkt, sondern im Kooperation mit dem RBB als Massenkaraoke übers | |
Netz. Schließlich wird es einen quasi offiziellen Stream der Fête de la | |
Musique geben: 20 Städte senden jeweils 21 Minuten Live-Konzert, den | |
Berliner Part übernimmt Junk-E-cat. | |
Damit die 25. Fête de la Musique trotzdem keine reine | |
Couch-Potato-Veranstaltung wird, sind die Berlinerinnen und Berliner dazu | |
aufgerufen, den ursprünglichen Geist der Veranstaltung wiederzubeleben: | |
Jede und [2][jeder soll Musik machen] – ob im heimischen Wohnzimmer, auf | |
dem Balkon, durchs offene Fenster, im Park, für die Nachbarn oder zufällige | |
Passanten, aber vor allem: spontan. Angekündigte Konzerte sind weiterhin | |
nicht erlaubt, aber Musikmachen, auch öffentliches, ist natürlich nicht | |
verboten, solange die Abstands- und Hygienevorschriften eingehalten und | |
Massenaufläufe vermieden werden. | |
So könnte die Fête de la Musique, die andernorts nicht umsonst Make Music | |
Day heißt, wieder zu dem werden, was die Erfinder im Sinn hatten: weniger | |
Profis auf von Konzernen gesponserten Bühnen, mehr Amateure, die für sich | |
und miteinander spielen. Weniger Musikkonsum, mehr Musikselbermachen. | |
Wie die Fête dann tatsächlich ablaufen wird, hängt natürlich extrem davon | |
ab, wie sich die Pandemie und die dazugehörigen Vorschriften entwickeln | |
werden. Womöglich sind am 21. Juni ja kleinere Veranstaltungen zumindest im | |
Freien oder andere, kreative Formen wieder möglich. Das wird man abwarten | |
müssen. Der Veranstalter, das Musicboard des Berliner Senats, kann | |
natürlich nicht zu Aktionen auffordern, die die Hygieneregeln unterlaufen. | |
„Wir werden den Live-Charakter der Fête natürlich vermissen“, erklärt der | |
ehemalige Musikjournalist Döring. „Aber wir sind wie alle anderen auch | |
davon abhängig, wie es mit den Lockerungen weitergeht. Wir werden auf jeden | |
Fall alle Vorschriften einhalten.“ | |
So ist die Fête de la Musique 2020 ein work in progress. Wie die | |
Veranstaltung schließlich aussehen wird, weiß niemand, nicht einmal der | |
erfahrene Eventorganisator Döring, der von 2010 bis 2013 federführend für | |
die Berlin Music Week verantwortlich zeichnete: „Ein bisschen fühlen wir | |
uns wie in einem Labor. Noch rühren wir in den Reagenzgläsern – und ob das | |
Experiment gelingen wird, das wird man erst hinterher sagen können.“ | |
Tatsächlich leistet die Forschergruppe Döring – wie zuvor re:publica und | |
Media Convention, die Anfang Mai komplett im Netz stattfanden – einen nicht | |
zu unterschätzenden Beitrag bei der Suche nach alternativen | |
Veranstaltungsformaten. | |
Ein Suche, die wichtig werden kann für die ganze Branche. Dass in Südkorea, | |
wo das Virus scheinbar unter Kontrolle schien, kürzlich ein auf eine Bar | |
zurückzuführender Neuausbruch passierte, hat vor Augen geführt: Clubs und | |
Discotheken werden wohl erst dann wieder regulär öffnen können, echte | |
Konzerte erst dann wieder stattfinden können, wenn ein Impfstoff oder | |
Medikamente entwickelt worden sind. | |
Bis es so weit ist, könnte die Berliner Musikinfrastruktur eine Tabula rasa | |
sein. Daran dürfte auch eine alternative Fête de la Musique, sei sie auch | |
noch so ein großer Erfolg, nichts ändern. Aber ein paar positive | |
Lerneffekte erhofft sich Döring doch: „Wir alle werden gezwungen, viel | |
vernetzter zu denken und die hybriden Formate, die in der Musik ja schon | |
lange eine Rolle spielen, weiterzuentwickeln.“ | |
18 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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