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# taz.de -- Häusliche Gewalt in Armenien: Männer werden zur Belastung
> Üblicherweise gehen viele Armenier im Sommer ins Ausland arbeiten. Unter
> der Quarantäne lassen sie ihren Frust an den Familien aus.
Bild: Die Idylle trügt: Das Coronavirus ist auch in Armenien eine gewaltige Be…
Berlin taz | Hasmik Gevorgjan hat gerade zwei Leben gerettet. Eine
55-jährige Frau und ihre minderjährige Tochter hatten versucht, sich von
einer Brücke zu stürzen. „Der Ehemann hat die beiden ständig verprügelt�…
sagt Gevorgjan. Nun seien Mutter und Tochter jedoch in Sicherheit.
Seit zehn Jahren leitet Gevorgjan ein Frauenhilfezentrum in Armenien. Das
ist die einzige Organisation, die zwei Frauenhäuser – die einzigen
landesweit – in der Hauptstadt Jerewan betreibt. Bis zu zwölf Frauen mit
ihren Kindern können gleichzeitig dort untergebracht werden. Dazu mietet
das Zentrum auch einzelne Wohnungen an.
2010 schloss sich das Frauenhilfezentrum mit sechs anderen
Menschenrechtsorganisationen zur „Koalition zur Beendigung von Gewalt gegen
Frauen“ (kurz Frauenkoalition) zusammen.
[1][In der Südkaukasusrepublik mit knapp 3 Millionen Einwohnern werden etwa
2.000 Frauen jährlich Opfer familiärer Gewalt.] Die Frauenkoalition hat von
2010 bis 2019 70 Morde an Frauen dokumentiert, die Dunkelziffer dürfte
höher liegen. 2019 hat die Hotline über 5.000 Anrufe registriert.
## 30 Prozent mehr Hilfegesuche
Doch jetzt, in Zeiten der Coronapandemie, spitzt sich die Lage zu. Allein
im vergangenen März hat die Frauenkoalition 803 Anrufe erhalten. „Das ist
ein Plus von etwa 30 Prozent“, sagt Gevorgjan. Mit ein Grund für den
drastischen Anstieg häuslicher Gewalt sei der Ausnahmezustand, den die
Regierung Mitte März verhängt hat. Die strikte Quarantäne führe zu
Arbeitslosigkeit, geringeren Einkommen und weiterer Verarmung. Dadurch
werde das Problem häuslicher Gewalt verschärft.
Die Menschenrechtlerin Zaruhi Hovhannisjan koordiniert die Arbeit der
Koalition. Sie führt den Anstieg der Zahlen auch noch auf andere Ursachen
zurück. Viele armenische Männer sind Arbeitsmigranten. Sie verdienen ihr
Geld vor allem in der Russischen Föderation.
Ihre Zahl wird auf bis zu 250.000 jährlich geschätzt, genaue statistische
Daten gibt es nicht. Vor allem kleine Städte und Dörfer, in denen Frauen,
Kinder und Alte mehrere Monate im Jahr unter sich sind, leben von diesen
Überweisungen. 2018 machten die Transfers rund 12 Prozent des armenischen
BIPs aus.
Wegen Corona ist der Weg der Arbeitsmigranten jetzt blockiert. Seit dem 1.
März sind 63.000 BürgerInnen nach Armenien zurückgekehrt – hauptsächlich
Männer aus Russland. Zu Hause lebten sie ohnehin schon in beengten
Verhältnissen, zu denen jetzt auch noch die Quarantäne komme, sagt
Hovhannisjan.
## Drei Generationen auf 60 Quadratmetern
Armenierinnen und Armenier pflegen ihre Familientradition oft unabhängig
von ihrem sozialen Status. Oft teilen sich Großeltern, Eltern und Kinder
nicht einmal 60 Quadratmeter Wohnraum. [2][Hier herrscht nach wie vor das
Patriarchat. Die Frau hat eine untergeordnete Rolle].
Hasmik Gevorgjan rechnet auch nach dem Ende des Ausnahmezustands mit einem
weiteren Anstieg von Gewalt in den Familien. Denn normalerweise gehen die
Männer vor allem in den Frühlings- und Sommermonaten zum Arbeiten ins
Ausland. Doch diese Möglichkeit entfällt jetzt. „Die Hoffnung der Frauen,
wenigstens in der Gastarbeitersaison in Frieden leben zu können, ist
verloren gegangen“, sagt Gevorgjan.
Um dem sozialen Absturz vieler Familien entgegenzuwirken, hat die Regierung
versprochen, die Männer in der Bau- und Landwirtschaft zu beschäftigen,
wenn die Coronakrise vorbei ist. Doch wann das sein wird, weiß niemand.
Denn das Virus verbreitet sich weiter. Offiziellen Angaben zufolge wurden
bis jetzt 2.619 Infektionsfälle gemeldet, 40 Menschen starben in
Zusammenhang mit Corona. (Stand vom 5. Mai). Dennoch wurden die strengen
Ausgangsregelungen an diesem Wochenende erstmals etwas gelockert.
10 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Tigran Petrosyan
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