| # taz.de -- Interview am Schlagbaum im Saarland: „Leidingen leidet“ | |
| > Der Ortsvorsteher eines Grenzorts im Saarland ist sich mit seinem | |
| > Ministerpräsidenten einig: Die Grenzen nach Frankreich sollten offen | |
| > sein. | |
| Bild: Eigentlich gesperrt: eine Fußgängerbrücke zwischen dem Saarland und Fr… | |
| ## taz: Herr Schmitt, Ihr Dorf ist geteilt, als ob es die EU und Schengen | |
| nie gegeben hätte. Wie sieht Ihr Alltag aus? | |
| Wolfgang Schmitt: Ich denke daran, dass es gerade mal 75 Jahre her ist, | |
| dass der Krieg endlich zu Ende war. Ich bin enttäuscht von den Politikern, | |
| auch den Saarländern Kramp-Karrenbauer, Altmaier und Heiko Maas, den ich | |
| als Europäer sehr geschätzt habe, dass die dem Seehofer nicht in die Parade | |
| gefahren sind. Seit Schengen, seit 1985 hatten wir hier keine | |
| Grenzkontrollen, keine Uniformierte, sondern offene Grenzen und jetzt das. | |
| Das ist für mich der größte Unsinn. | |
| ## Was hat denn das für die Familien im Alltag bedeutet, wenn Angehörige | |
| auf der einen und auf der anderen Seite wohnen? Bis zum 24. April durften | |
| die sich ja nicht besuchen. | |
| Die Andi, die ist Französin, die wohnt auf der anderen Seite, wenn die | |
| rüber zu ihrem Bruder geht, da guckt die links und rechts, dass die Polizei | |
| das nicht sieht. Die Franzosen sind ja nicht so präsent. Das sind nur die | |
| Deutschen. So machen wir das halt. Wir sind ein Dorf. Doch das Schließen | |
| der Grenzen, das hat uns schon getroffen. Das hat auch Folgen. Ein alter | |
| Leidinger hat mal gesagt: „Europa ist ein dünnes Eis, wer zuerst mal fest | |
| drauftritt, bricht ein.“ | |
| ## Es soll auch hässliche Szenen gegeben haben. Deutsche, die Franzosen | |
| beschimpft haben. | |
| Ich hab's selbst erlebt in Saarlouis auf einem Parkplatz. Da hat eine Frau | |
| gerufen, „was haben Sie da zu suchen!“ Zuerst habe ich das auf mich | |
| bezogen. Dabei hat aber neben mir ein Franzose geparkt. Der ist | |
| eingestiegen und ist einfach weggefahren. Nur der, der schlägt uns beim | |
| nächsten Mal in der Boulangerie vielleicht ne Flute um die Ohren. Revanche! | |
| Die Leute haben Angst und dann glauben sie das. „Die Franzosen bringen uns | |
| die Krankheit rüber!“ Die Leute, glauben das, immerhin nicht alle. | |
| Die saarländische Landesregierung hat jetzt 70.000 Schutzmasken an die | |
| französische Partnerregion übergeben. Sie haben in einer spontanen Aktion | |
| schon viel früher Masken über die Grenze geschafft. | |
| Schmitt: Da bin ich von meinem Bürgermeister kritisiert worden. „Könnt ihr | |
| nicht machen!“ Er meinte, die könnten das missverstehen, dass wir uns mit | |
| diesen Masken vor ihnen schützen wollten. Da bin ich dann mit meinem | |
| Stellvertreter am nächsten Tag rübergegangen und habe fünf Pakete mit | |
| Masken verteilt. Die Leute haben sich gefreut. | |
| ## Müssen Pendler weite Umwege fahren, weil nicht einmal die Hälfte der | |
| offiziellen Grenzübergange offen sind? | |
| So ist das. Im französischen Ihn wohnt eine junge Frau, 20 Meter von der | |
| Grenze entfernt. Die dürfte eigentlich nicht mit dem Auto rüberkommen. Sie | |
| stellt ihr Auto immer in Deutschland ab und geht die paar Meter zu ihrem | |
| Haus. Oder ein anderer, der arbeitet auf der Dillinger Hütte. Der müsste | |
| über Kreuzwald fahren, ein Umweg von 30 Kilometern. Stellen Sie sich das | |
| einmal vor. | |
| ## Was erwarten sie von der Zeit nach der Grenzschließung? | |
| Wir müssen Wiederaufbau betreiben. Wir haben da ne alte Schule aus dem Jahr | |
| 1900. Da richten wir ein Grenzblickhaus, gefördert vom saarländischen | |
| Innen- und vom Umweltministerium. Das wird eine Begegnungsstätte. Die liegt | |
| 10 Meter von der Grenze. Das wird dann unser „Haus der Versöhnung“. | |
| 8 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Saarland | |
| Grenze | |
| Schengen-Raum | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Geschlossene Schlagbäume im Westen: Deutscher Grenzfetisch | |
| Die Kontrollen wegen Corona zerreißen eng verflochtene Nachbarländer. Die | |
| Maßnahmen nützen niemandem und zerstören Vertrauen. | |
| Lockerungen für Tourismus: Kroatien prescht voran | |
| Das Land bewältigt das Coronavirus bisher gut und will sich wieder für | |
| Touristen öffnen. Für MitteleuropäerInnen ist es ohne Flieger erreichbar. | |
| Frankreich und Corona: Langsam, aber sicher | |
| Regierungschef Edouard Philippe kündigt für kommende Woche erste | |
| Lockerungen an. Im Großraum Paris dauert alles ein wenig länger. | |
| Weitgehende Corona-Lockerungen: Deutschland nicht mehr ganz dicht | |
| Viele Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie werden nun aufgehoben. Doch | |
| die Kanzlerin hat mit den Ländern einen „Notfallmechanismus“ vereinbart. |