| # taz.de -- Autor Sepúlveda gestorben: Sprecher der illustren Verlierer | |
| > Luis Sepúlveda war undogmatisch links, ökologisch und kosmopolitisch. In | |
| > Spanien ist der Autor am Coronavirus gestorben. | |
| Bild: Luis Sepúlveda (1949-2020) | |
| „Der Schriftsteller ist das Sprachrohr jener, die keine Stimme haben“, so | |
| hat Luis Sepúlveda einmal sein literarisches Credo zusammengefasst. Der | |
| chilenische Journalist, Filmemacher und Bestsellerautor starb am | |
| vergangenen Donnerstag mit 70 Jahren. Vor allem in Europa und Amerika | |
| sorgte das für Trauer und Bestürzung – die sozialen Netzwerke zeugen davon. | |
| Ende Februar war er der erste gemeldete [1][Covid-19-Kranke in Asturien] | |
| gewesen, wo er seit 1997 wohnte. Seine Lebensgefährtin Carmen Yáñez, | |
| ebenfalls infiziert, wurde geheilt. | |
| [2][Luis Sepúlveda war ein chilenischer 68er]: Er wurde aus der | |
| kommunistischen Jugend ausgeschlossen, sympathisierte mit der | |
| bolivianischen ELN-Guerilla, gehörte zu den jungen Leibwächtern des linken | |
| Präsidenten Salvador Allende und wurde nach dem Pinochet-Putsch 1973 | |
| zweimal verurteilt und inhaftiert, er erlebte Hausarrest und Untergrund. | |
| Nach dem Einsatz deutscher Amnesty-Aktivist:innen konnte er 1977 ausreisen | |
| und beteiligte sich nach einem längeren Aufenthalt in Ecuador am | |
| sandinistischen Aufstand in Nicaragua. In den 1980er Jahren lebte er im | |
| Hamburger Exil, arbeitete als Korrespondent und Fernfahrer, engagierte sich | |
| auf Greenpeace-Schiffen und stellte seinen späteren Welterfolg fertig: „Der | |
| Alte, der Liebesromane las“. | |
| Der kurze Roman, der dem brasilianischen Regenwaldaktivisten Chico Mendes | |
| gewidmet ist, spielt vor der beginnenden Kolonisierung des Amazonasgebiets | |
| in Ecuador durch US-amerikanische Erdölfirmen. Skrupellose Goldgräber und | |
| Holzfäller, ahnungslose Siedler und korrupte Provinzpolitiker ebnen dem Big | |
| Business den Weg. Der aus dem Andenhochland zugezogene Protagonist Bolívar | |
| Proaño hat von den Shuar-Indigenen den Respekt für den Regenwald gelernt, | |
| muss aber machtlos bei dessen unaufhaltsamer Zerstörung zusehen. Narrative | |
| Achse des Romans ist sein Duell mit einem Leopardenweibchen. | |
| ## Eine schnörkellose Prosa | |
| „Literatur muss das Wesentliche erzählen, ohne Verzierungen“, betonte | |
| Sepúlveda, beim Überarbeiten seine Manuskripte sei er „ein guter | |
| Holzfäller“. Sich selbst sah er vor allem als Geschichtenerzähler. | |
| So weist „Der Alte“ bereits viele jener Elemente auf, die auch Sepúlvedas | |
| spätere Politthriller, Erzählungen, Reisereportagen prägen: eine | |
| schnörkellose, sorgfältig kondensierte Prosa, autobiografische Elemente mit | |
| überwiegend männlichen Protagonisten, satirische Einsprengsel, ein | |
| ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein und immer wieder das Schildern | |
| solidarischer Verhaltensweisen. | |
| Die Fronten zwischen Gut und Böse verlaufen ziemlich klar: „Meine großen | |
| Figuren sind Verlierer, aber illustre, denn sie wissen, dass sie verloren | |
| haben.“ In seinen Krimis mit dem Alter Ego Juan Belmonte bleibt Sepúlveda | |
| der Chronist untergegangener Welten und verlorener Illusionen. Seine | |
| ebenfalls sehr erfolgreichen Kinder- und Jugendbücher („Wie der Kater und | |
| die Maus trotzdem Freunde wurden“), mit Blick auf seine Enkel verfasst, | |
| stehen hingegen unter dem von der Allende-Zeit inspirierten Motto: „Wenn | |
| die Freunde zusammenstehen, sind sie unbesiegbar.“ Thesenliteratur sind | |
| aber auch sie nicht. | |
| Parallel dazu wirkte Sepúlvelda bis zuletzt auch journalistisch, vor allem | |
| über seine zahlreichen Kolumnen in diversen Ausgaben von Le Monde | |
| diplomatique, in denen er überwiegend die chilenische Politik analysierte. | |
| Auch hier blieb er seinen Wurzeln treu: Sein Großvater war spanischer | |
| Anarchist, sein Vater KP-Mitglied, seine Mutter Mapuche. | |
| ## Er unterstützte die Rebellion | |
| Seine tiefe Enttäuschung über die neoliberale Vorherrschaft in Chile, die | |
| sein Land in den letzten Jahrzehnten völlig umgekrempelt hatte, wich | |
| zuletzt der Unterstützung der breiten Rebellion gegen die Oligarchie. | |
| „Sie wollen eine neue Verfassung, die die ganze Nation in ihrer Vielfalt | |
| repräsentiert, sie wollen so grundlegende Dinge wie Wasser oder das Meer, | |
| das auch privatisiert ist“, schrieb Luis Sepúlveda in seiner letzten | |
| Kolumne im Dezember. „Und es gibt keine Repression, so hart und kriminell | |
| sie auch sein mag, die in der Lage ist, ein Volk in Bewegung aufzuhalten.“ | |
| 19 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Spaniens-Gesellschaft-in-der-Coronakrise/!5675239 | |
| [2] /Autor-Seplveda-ueber-Chile/!5111671 | |
| ## AUTOREN | |
| Gerhard Dilger | |
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