# taz.de -- An der Corona-Hotline: „Quarantäne dürfen wir nicht sagen“ | |
> Im normalen Leben ist Michèle Deodat Heilpraktikerin und Osteopathin. | |
> Jetzt redet sie am Corona-Telefon mit Menschen, die Sorgen haben. | |
Bild: Telefonseelsorge ist in Zeiten von Corona wichtiger denn je | |
Michèle Déodat, 60, ist Heilpraktikerin, Physiotherapeutin, Osteopathin und | |
Künstlerin in Berlin. Eigentlich arbeitet sie in Steglitz-Zehlendorf in | |
einer Schule mit Kindern mit Förderbedarf. Weil die jetzt aber zu ist, hört | |
sie sich an der Corona-Hotline, die das Bezirksamt eingerichtet hat, an, | |
welche Probleme die Menschen gerade umtreiben. Ein wenig davon gibt sie | |
hier wieder: | |
„Vieles von dem, was ich jetzt jeden Tag am Telefon höre, worauf ich | |
reagieren muss, wozu ich raten soll, nehme ich mit nach Hause. Das hätte | |
ich, als ich vor ein paar Wochen anfing, für die sogenannte Corona-Hotline | |
im Gesundheitsamt des Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf zu arbeiten, | |
nicht gedacht. | |
Als Osteopathin und Heilpraktikerin bin ich vieles gewohnt, ich lerne die | |
Sorgen, Nöte und Sehnsüchte der Menschen über ihre Körper kennen, wenn ich | |
sie behandle. Aber die [1][Existenzsorgen und die Schicksalsschläge], die | |
viele Menschen aufgrund der Corona-Pandemie erleiden, stellen eine | |
besondere Härte dar. | |
Da sind zum Beispiel die Feuerwehrmänner, die Einsätze fahren ohne jegliche | |
Schutzausrüstung, also ohne Mundschutzmasken und ähnliches. Später erfuhren | |
sie, dass die Personen, die sie gerettet haben, positiv auf Covid19 | |
getestet worden sind. Oder die Mitarbeiterinnen einer Catering-Firma, die | |
die Corona-Station eines Krankenhauses mit Essen versorgen und das benutzte | |
Geschirr der Kranken wieder einsammeln. Die Caterinnen arbeiten ohne | |
[2][Handschuhe und Schutzmasken], die Klinik stellt ihnen so etwas nicht | |
und sagt: Dafür ist die Klinik nicht zuständig, das muss die Catering-Firma | |
selbst organisieren. | |
Da ist der junge schwerkranke Mann, der Blut spuckt, aber nicht zum Arzt | |
gehen kann, weil sämtliche Praxen in seiner Umgebung geschlossen sind. | |
Andere junge Menschen, die anrufen, sind gar nicht krankenversichert und | |
trauen sich nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen. Sie sitzen mit | |
Krankheitssymptomen verzweifelt zu Hause. Und die Frau, die mit der Pflege | |
ihres dementen Mannes körperlich und seelisch überfordert ist. Früher hat | |
ihr eine polnische Pflegerin geholfen, die darf jetzt nicht mehr kommen. | |
Oder der Fall eines Kinderheims: Dort arbeiten zur Zeit zwei ErzieherInnen, | |
das ist viel zu wenig für die mehr als ein Dutzend Kinder. Was, wenn sich | |
dort jemand infiziert? | |
Und dann noch all die einsamen Frauen und Männer, die hier völlig | |
verzweifelt anrufen, um mal mit jemandem sprechen zu können, weil sie | |
niemanden, aber auch wirklich niemanden haben, mit dem sie das tun könnten. | |
Sonst gehen sie wenigstens raus auf die Straße, aber das dürfen sie jetzt | |
nicht. Oder die verzweifelte geschiedene Mutter, die in | |
Auseinandersetzungen mit dem Vater ihrer Kinder verwickelt ist, der in | |
München lebt und darauf besteht, dass seine Kinder die Hälfte der Ferien | |
bei ihm verbringen. | |
Jede Woche rufen bei der Hotline etwa 700 Menschen an. Rund 400 verweisen | |
wir weiter an Beratungsstellen, Frauenhäuser, Kinderschutzdienste, andere | |
Hotlines. Manchen mit ganz normalen Erkältungskrankheiten sagen wir einfach | |
auch nur: „Gehen Sie ins Bett, ruhen sich aus und trinken Sie einen Tee.“ | |
Wir, das sind 25 Ergo- und PhysiotherapeutInnen und 6 LogopädInnen, die | |
sonst im Bezirk in Inklusionsschulen und Förderzentren arbeiten. Wir sitzen | |
täglich, auch an Feiertagen, im Frühdienst von 8 bis 13 Uhr am Telefon, die | |
anderen im Spätdienst von 13 bis 18 Uhr. Aber wir sitzen weit voneinander | |
entfernt, wir sind also weitgehend geschützt. | |
Bevor wir hier die Beratungen durchführen durften, haben wir eine kleine | |
Schulung absolviert. Dort haben wir das nötigste erfahren: Wen verweist man | |
wohin? Wie antwortet man auf welche Frage? In der täglichen Praxis ist das | |
häufig frustrierend. Wenn beispielsweise eine Altenpflegeeinrichtung anruft | |
und sagt: [3][Wir haben zu wenig Personal]. Dann können wir nur eine | |
Adresse, eine Website, eine Telefonnummer einer Personalmanagementfirma | |
weiter geben. Das heißt aber nicht, dass diese Firma dem Pflegeheim | |
tatsächlich helfen kann. Das [4][Wort Quarantäne] dürfen wir nicht | |
aussprechen, eine Quarantäne dürfen nur MedizinerInnen anordnen. Wir müssen | |
uns behelfen mit Vokabeln wie Kontaktreduktion oder freiwillige Isolation | |
und Rückzug, so was. | |
All diese Geschichten halte ich aus, und ja, mir geht es vergleichsweise | |
gut. Aber es strengt wahnsinnig an. Wir haben zwar keine Supervision, aber | |
ein tägliches Briefing nach jeder Schicht. Wichtig ist auch der tolle | |
kollegiale Umgang miteinander. Ich mache den Job, weil er wichtig ist, aber | |
geschaffen bin ich dafür nicht. Ich bin es gewohnt, mich zu bewegen, mit | |
den Menschen direkten und körperlichen Kontakt zu haben. Ich hoffe, dass | |
das alles bald vorbei ist.“ | |
23 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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