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# taz.de -- Notfallmedizin für Corona in Deutschland: Warum Covid-19 tötet
> 30 Prozent der schwerst an Covid-19 Erkrankten sterben. Die Ursachen:
> Vorerkrankungen, Behandlungsdauer und das Fehlen eines Medikaments.
Bild: Gut ausgestattet: Krankenschwester und Stationsarzt im Uniklinikum Gieße…
Berlin taz | Werden die Intensivbetten reichen? Seit Wochen bestimmt diese
bange Frage die Debatte, ob und wie gut Deutschland die Pandemie überstehen
wird. Doch nun zeigt sich: Es gibt derzeit sogar erhebliche Überkapazitäten
– von 32.559 Intensivbetten bundesweit sind nach Angaben des
Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mehr als ein Drittel, nämlich 12.937
frei.
Dennoch ist die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten, die trotz
Hochleistungsmedizin nicht gerettet werden können, hoch: Drei von zehn
Patienten, die so schwer am Coronavirus erkrankt sind, dass sie auf einer
Intensivstation behandelt werden müssen, sterben nach Angaben des DIVI in
Deutschland. Warum?
„Eine solche Intensivsterblichkeit bei einer großen Kohorte von Patienten,
das ist aus unserer Sicht sicherlich viel, findet sich aber auch bei
anderen schwer verlaufenden Lungenentzündungen“, sagt DIVI-Präsident Uwe
Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Interdisziplinäre
Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital im nordrhein-westfälischen
Eschweiler.
## Intensivmedizin hat keine Medikamente an der Hand
Die Sterblichkeitsrate bei anderen viralen oder bakteriellen
Lungenentzündungen, die ebenfalls intensivmedizinisch behandelt werden,
liege zwischen 25 und 50 Prozent. Unklar sei, ob die
Covid-19-Sterblichkeitsrate auf Intensivstationen von derzeit 30 Prozent
womöglich nach oben korrigiert werden müsse. Janssens: „Die Patienten
liegen außerordentlich lange auf der Intensivstation, 14 bis 21 Tage im
Mittel, und von vielen wissen wir zurzeit einfach noch nicht, ob sie es
schaffen werden.“ In Großbritannien etwa, das zeigen Daten des Intensive
Care National Audit and Research Center, liegt die Sterblichkeit von
maschinell beatmeten Covid-19-Patienten bei 51,6 Prozent. Heißt brutal: Nur
jeder zweite Intensivpatient in Großbritannien überlebt, in der Gruppe der
über 80-Jährigen sogar nur jeder vierte.
Nun ist Deutschland nicht Großbritannien, wo Patienten häufig erst zu einem
sehr viel späteren Zeitpunkt der Erkrankung, in einem weitaus kritischeren
Allgemeinzustand und damit mit einer von vornherein schlechteren Prognose
erstmals Zugang zu Intensivmedizin erhalten. Und dennoch, mahnt etwa Bernd
Oliver Maier, Chefarzt für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie
am St. Josefs-Hospital Wiesbaden und daneben Vizepräsident der Deutschen
Gesellschaft für Palliativmedizin, sei es unerlässlich, Nutzen und Schaden,
aber vor allem das Ziel einer Intensivtherapie für jeden Betroffenen
individuell immer wieder abzuwägen: „Gerade bei multimorbiden,
vorerkrankten Patienten sollte man darüber nachdenken, ob eine
Intensivtherapie tatsächlich für deren persönliche Lebensrealität einen
Sinn ergibt.“
Klar sei schon jetzt, sagt Intensivmediziner Uwe Janssens: „Wir sehen bei
Covid-19 ein dramatischeres Bild als bei anderen Lungenerkrankungen.“ Dies
liege auch daran, dass die Intensivmedizin im Fall von Covid-19, anders als
bei anderen Lungenentzündungen, „keine Medikamente an der Hand hat, mit
denen wir das Virus killen können. Wir können also nur darauf hoffen, dass
die Abwehrkräfte des Körpers in der Lage sind, das Virus in den Griff zu
kriegen, während wir den Organismus mit invasiver Beatmungstherapie
unterstützen und diese so gestalten, dass sie möglichst geringe
Nebenwirkungen hat.“
Nun muss glücklicherweise längst nicht jeder mit dem Coronavirus Infizierte
befürchten, an einer Lungenentzündung zu erkranken und auf einer
Intensivstation um sein Leben zu ringen. Nur für 3 Prozent der
übermittelten Infektionsfälle ist dem Robert-Koch-Institut (RKI) bekannt,
dass diese Personen eine Lungenentzündung entwickeln. Bei dem Löwenanteil
der Erkrankten, 83 Prozent, sind die Verläufe so mild, dass sie nach
Angaben des RKI zu Hause oder ambulant versorgt werden können.
Die übrigen 17 Prozent werden im Krankenhaus behandelt, 3 bis 5 Prozent auf
der Intensivstation, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Pneumologie und Beatmungsmedizin, Michael Pfeifer. Der Anteil der sehr
schweren Verläufe ist also gering, aber in der insgesamt kleinen Gruppe,
die deswegen einer Intensivtherapie bedürfen, müssen sieben bis acht von
zehn Patienten maschinell beatmet werden.
## Rechtzeitiges Reagieren entscheidend
Und diese Beatmung kann, selbst wenn man sie überlebt, schwere Schäden nach
sich ziehen. Diese betreffen paradoxerweise weniger die Lunge denn andere,
durch Covid-19 selbst gar nicht geschädigte Organe wie die Nieren, das Herz
sowie das Gehirn.
„Einige Patienten sind hinterher dialysepflichtig, bei anderen ergeben sich
Komplikationen aufgrund von Keimen, die das Herz oder das Gehirn befallen;
es sind Risiken, die nicht speziell mit Covid-19 zusammenhängen, sondern
die grundsätzlich bei jeder Beatmung bestehen“, sagt Pfeifer. „Die Lunge
dagegen erholt sich in der Regel so gut, dass die funktionelle
Einschränkung nicht messbar ist.“
Umso wichtiger sei es für Ärzte, sagen übereinstimmend Intensivmediziner
Janssens, Lungenarzt Pfeifer und Palliativmediziner Maier, den Willen des
Patienten zu kennen. „Viele“, sagt Bernd Oliver Maier, „haben eine sehr
klare Vorstellung auch davon, wie sie leben, aber auch, wie sie sterben
wollen.“ Die Aussicht, nach überstandener Intensivtherapie mit schwersten
lebenslänglichen Behinderungen weiterzuleben, lehnten viele ab.
Was aber, wenn Ärzte nicht wissen, was der Patient unter einem für ihn
lebenswerten Leben versteht, weil er bei der Einlieferung ins Krankenhaus
nicht mehr ansprechbar ist? Was, wenn die Ärzte nur noch die Angehörigen
fragen können – und diese in ihrer Angst, einen geliebten Menschen zu
verlieren, womöglich Druck machen, die Therapie trotzt minimaler
Erfolgsaussicht fortzusetzen? „Es wird häufig unterstellt, Ärzte betrieben
die Intensivtherapie aus kommerziellen Gründen, quasi ohne Indikation und
ohne Rücksicht auf den Patienten“, sagt der Palliativmediziner Maier. „Das
kann ich nicht bestätigen.“
Auch die Annahme, es würden zu viele Covid-19-Patienten intensivmedizinisch
behandelt, sei „so pauschal nicht korrekt“. Wenn ein Patient plötzlich
unter schwerster Atemnot leide und sich zuvor nicht explizit, etwa per
Patientenverfügung, gegen eine Beatmung ausgesprochen habe, wäre es
unethisch, so Maier, ihm nicht durch künstliche Sauerstoffzufuhr zu helfen.
„In einer solchen Akutsituation“, sagt Maier, „kann man oft noch gar nicht
differenzieren, wer von der Therapie profitieren wird und wer nicht.“ Dies
stelle sich oft erst im Verlauf der Intensivtherapie heraus. „Und dann ist
es natürlich wichtig, immer wieder zu fragen, welches das Therapieziel ist,
ob es erreicht werden kann oder ob es eine Therapiezieländerung geben
muss.“ Auch das Eingeständnis, die Maschinen dann besser abzustellen, könne
dazugehören.
Für die Erfolgsaussicht der Beatmung bei Covid-19 entscheidend sei, sagt
Lungenspezialist Pfeifer, dass sie rechtzeitig beginne, also nicht zu früh,
aber auch nicht zu spät; häufig gerieten bis dahin stabile Patienten
zwischen Tag 8 und 12 der Erkrankung quasi aus heiterem Himmel binnen
weniger Stunden in eine lebensbedrohliche Situation.
Rechtzeitiges Reagieren aber erfordere zugleich eine engmaschige
Überwachung der Patienten – sowie hoch spezialisiertes Personal, das in der
Lage sein muss, Röntgenuntersuchungen und Computertomografien
durchzuführen, Blutgasanalysen korrekt zu interpretieren und ein strenges
Monitoring der Vital- und Blutwerte zu garantieren. „Wir hatten in der
Intensivfachpflege schon vorher Personalmangel“, sagt Uwe Janssens. „In der
Coronakrise ist es nicht besser geworden.“ Die Zahl der Intensivbetten
allein sagt also wenig aus über die tatsächliche Qualität der Behandlung.
Dazu kommt, so der Lungenspezialist Pfeifer: „Je mehr Begleiterkrankungen
ein Patient hat, desto größer ist sein Risiko, zu versterben.“
Zu diesen Erkrankungen gehören etwa, das hat das Robert-Koch-Institut
ermittelt, Herzerkrankungen und Bluthochdruck, Asthma und chronische
Bronchitis, Lebererkrankungen, Diabetes und Krebs. Auch Menschen mit
geschwächtem Immunsystem, etwa aufgrund einer Transplantation oder durch
Einnahme von Medikamenten, die das Immunsystem schwächen, zählen zur
Risikogruppe.
Das Wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK (WIdO) hat anhand der
Abrechnungsdaten des Jahres 2018 zur ambulanten und stationären Versorgung
von Versicherten sowie zur ambulanten Arzneimitteltherapie errechnet, „dass
unter den 83 Millionen Einwohnern Deutschlands bei insgesamt 21,9 Millionen
Personen mindestens eine der berücksichtigten Vorerkrankungen vorliegt,
sodass sie ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe von Covid-19 haben“.
Jeder vierte Bundesbürger ist also statistisch gesehen gefährdet. Dabei
zeige sich aber, so das WIdO, „ein deutlicher Anstieg mit zunehmendem
Lebensalter“. Bei den über 80-Jährigen etwa liege der Patientenanteil mit
Vorerkrankungen bei 80 Prozent. Entsprechend wenig überraschend teilt das
RKI mit, dass 87 Prozent aller Covid-19-Todesfälle und 19 Prozent aller
Fälle älter als 70 Jahre sind.
29 Apr 2020
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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