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# taz.de -- Strategien gegen Rassismus: Luft anhalten hilft nur kurz
> Asiat:innen gelten oft als Vorzeige-Minderheit, Rassismus machen viele
> mit sich selbst aus. Die Krise erinnert uns daran, dass das nicht
> ausreicht.
Bild: Luft anzuhalten lernt man beim Schwimmen, gegen Rassismus hilft es nur ku…
Auf langen Autofahrten gelten bestimmte Regeln: Es muss eine gute Playlist
geben mit Songs, die man laut mitsingt, und solchen, zu denen man schweigt.
Man muss Snacks dabei haben. Man muss ein Fenster runterkurbeln und mit der
Hand in Wellenbewegungen den kalten Fahrtwind zerschneiden. Und man muss
die Luft anhalten, wenn man durch einen Tunnel fährt.
Ich habe das Luftanhalten perfektioniert. Das tiefe, bewusste Luftholen, um
lebensnotwendigen Sauerstoff in die Lungen strömen zu lassen. Das
Ausschalten der Nervosität, das stoische Warten auf den Moment, an dem die
Brust langsam nach Entleerung verlangt. Das vorsichtige, kontrollierte
Ausstoßen von Kohlendioxidportiönchen.
Das Ausquetschen der Lungenflügel bis zum letzten Rest. Und dann wieder
warten, mit angespanntem Zwerchfell durchhalten, bis der Atemreflex
gewinnt. Früher war mein Endgegner der Elbtunnel, drei Minuten unter
Wasser, keine Chance, wenn du keine Apnoetaucherin bist.
Heute ist der Elbtunnel nichts. Seit Januar halte ich die Luft an, nein,
das ist gelogen. Eigentlich halte ich sie schon viel länger an,
unterbewusst und routiniert. Luftanhalten und dreimal schlucken ist ein
guter Trick gegen Schluckauf.
## Die Illusion, den Rassismus zu beherrschen
Das [1][funktioniert auch mit Rassismus], du atmest ihn ein und schluckst
ihn runter. Wenn du das bewusst tust, entsteht die Illusion, du könntest
ihn beherrschen, du hättest die Kontrolle darüber, was er mit dir macht.
Luftanhalten, dreimal schlucken, warten, kurz gewonnen. Du kannst zwar
nicht ändern, was passiert, aber du kannst entscheiden, was es mit dir
macht. Dein Schmerz, deine Regeln.
Dieses fast perfekte Mantra kann zwar Teil einer persönlichen
Überlebensstrategie sein, aber sonst kaum etwas verändern. An manchen Tagen
mag das genug sein, sogar für ganze Lebzeiten. Aber [2][die aktuelle
Situation ist ein ugly reminder], dass auch für eine sogenannte
Vorzeigeminderheit Aufenthaltsbedingungen gelten. Ich habe gelernt, die
kleinen Nadelstiche auszuhalten und zu belächeln. Ich habe gelernt, mich in
den Rollen zu bewegen, die mir zugeteilt wurden.
Ich habe gelernt, nicht laut zu widersprechen, meine Bedürfnisse
zurückzustellen, mit dem Gegebenen zufrieden zu sein und sogar Legitimation
für dieses Verhalten in der Philosophie meiner Vorfahren zu suchen. Und
gerade lerne ich, dass all das nicht reicht.
Ich bin nicht mehr jung genug, um zu glauben, wir seien alle gleich, und
noch nicht alt genug, um diesen Zustand einfach hinzunehmen. Ich dachte, es
lägen Welten zwischen den Nadelstichen und Steinen, die durch unsere
Fensterscheiben fliegen. Spucke, die in unserem Gesicht landet. Drohungen,
die niemand runterschlucken kann. Ich habe mich getäuscht, vermutlich
absichtlich.
Ich habe das Luftanhalten perfektioniert und manchmal hilft’s. Aber in eine
durchschnittliche Lebenszeit passen über 14 Millionen Fahrten durch den
Elbtunnel, und das ist viel zu lang, um nicht auszuatmen.
30 Apr 2020
## LINKS
[1] /Rassismus-in-Hanau-und-an-EU-Genzen/!5666503
[2] /Coronavirus-und-Rassismus/!5662444
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
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