# taz.de -- Netflix-Film „Tyler Rake: Extraction“: Spring von diesem Gebäu… | |
> In der Netflixproduktion „Tyler Rake: Extraction“ geht Hauptdarsteller | |
> Chris Hemsworth an Grenzen. Auch der Regisseur macht bei den Kloppereien | |
> mit. | |
Bild: Ovi (Rudhraksh Jaiswal) und Tyler (Chris Hemsworth) sind sichtlich auf de… | |
Blockbuster-Action in Zeiten des Heimkinos: Für die neue | |
N[1][etflix-Produktion] „Extraction“ lotet Stuntman Sam Hargrave aus, was | |
mit einem [2][Star wie Chris Hemsworth] körperlich machbar ist. Der | |
produzierte auch selbst mit, weil er konkurrenzlos im Zentrum der | |
Aufmerksamkeit steht und das Resultat praktisch als Imagefilm funktioniert. | |
Nach seinen Auftritten als unverwundbarer Donnergott Thor wird der | |
Schauspieler nun mit Blut und Dreck beschmiert, metzelt Polizisten wie | |
Gangster nieder und wälzt sich zwischen den Häusern von Bangladesch im | |
Sand. | |
Der Film zeigt Liebe zum Detail in seiner wuchtigen Choreografie. Vom | |
Feinsinn, der längst Teil des Actionkinos ist, kann ansonsten nicht die | |
Rede sein. Gedanklich und erzählerisch passiert so wenig, dass der Film den | |
derzeit stockenden Kinobetrieb sicherlich gut gebrauchen kann, um sein | |
Publikum zu finden: ein verbitterter australischer Söldner namens Tyler | |
Rake rettet einen indischen Jungen aus Bangladesch und gerät zwischen die | |
Fronten. | |
Die Kamera führte Newton Thomas Sigel, der dynamische und entfesselte | |
Bilder ebenso herstellen kann wie nuanciertere – letztere jedoch nur in der | |
Zusammenarbeit mit entsprechend engagierten Regisseur*innen. Mit Nicolas | |
Winding Refn etwa drehte er „Drive“, einen Film zwischen den Welten des | |
Action- und Autorenfilms, mit Verfolgungsjagden und Gräueln, die dann von | |
einer auffälligen Künstlichkeit flankiert werden. | |
Das Gesicht des Hauptdarstellers Ryan Gosling wurde in „Drive“ zur Maske, | |
zur undurchdringlichen Barriere, zum Abgrund. Der Vergleich hilft, das eine | |
durch das andere zu verstehen: „Extraction“ funktioniert völlig anders. | |
Alle Emotionen – auch die banalsten – und alle Anstrengung sollen an den | |
Gesichtern ablesbar sein. Für Regisseur Hargrave, Koproduzent Hemsworth und | |
[3][Drehbuchautor Joe Russo (Co-Regie „Avengers: Endgame“)] stand | |
offensichtlich die rastlose Bewegung und Nähe zum Körper im Zentrum. So | |
sehr, dass auch Hargrave selbst mitfilmte, sich beim Dreh etwa auf Autos | |
schnallte. | |
## Mehr Choreografie als Schauspiel | |
Interessant ist, dass im Film eines Stuntmans ständig von Vertrauen die | |
Rede ist. Gleich mehrfach kommt die Frage, wer hier auf wen baut, | |
vielleicht, weil hier auch realere Vertrauensfragen zugrunde liegen: das | |
Vertrauen zwischen Performern und Regie. Stuntdoubles gab es anscheinend | |
keine, stattdessen das Jackie Chan-Prinzip: Bei Hargrave sollten alle | |
selbst zeigen, wie weit sie gehen können. Für einen Regisseur zu arbeiten, | |
der auch selbst Actionszenen spielt, setzt eine andere Involviertheit, ein | |
anderes Grundvertrauen voraus, als wenn jemand aus dem Drehbuch vorliest: | |
Spring für meine Vision von diesem Gebäude! | |
Performer übrigens, weil von Schauspiel kaum die Rede sein kann, eher von | |
Choreografie. Talentierte Leute wie Golshifteh Farahani oder David Harbour | |
werden als Stichwortgeber*innen verheizt. Und zwei Tränen von | |
Hemsworth verblassen neben der Gegenwärtigkeit, mit der geprügelt, gerungen | |
und geschossen wird. | |
Alles verdichtet sich in der letztlich lebendigen Kamera: Die geht bei | |
allem mit wie eine Akteur*in, imitiert andauernd menschliche Blicke, | |
scheint ein Bewusstsein zu haben, sich für das eine mehr zu interessieren | |
als für das andere. Sie setzt Akzente und stellt ihre Mobilität für das | |
Publikum unter Beweis. Im Zentrum des Films: eine atemlose, zehnminütige | |
Best-of-Sequenz, die aussehen soll, als enthielte sie keinerlei Schnitte. | |
Der Blick gleitet durch Autoscheiben, ist an Fahrzeuge montiert, das | |
Kameraauge bekommt beinahe Kugeln ab, schlüpft gerade so an Schlägen vorbei | |
und wird mit Blut bespritzt (abgedroschen und doch immer wieder charmant | |
als Vergegenwärtigung einer Linse). | |
Sigels Kamera ist die Komplizin der Aktionen und zeigt unmissverständlich, | |
wie und warum die Körper sich auflösen. Und sie macht klar, welche Körper | |
das sind. Hier wird ein Blick bedient, für den alle Körper neben Chris | |
Hemsworth letztlich entbehrlich sind. Es ist nicht überraschend oder | |
interessant, was hier lange zu sehen ist und was kurz, was detailliert und | |
was im Anschnitt. | |
Bangladesch bleibt eine Kulisse, wird gezeigt als Ort der Armut und des | |
Drogenhandels, als Ort der stinkenden Abwässer. Die Kamera erschließt mit | |
ihren Bildern nicht ein Verständnis, sondern Exotik, nicht Einsicht, | |
sondern Marktaussichten. Die Kamera lügt nicht, sie enthüllt die Ideologie | |
des Films und der Produzierenden, sie schafft Misstrauen, sie ist | |
neokolonialistisch. | |
Dann ein Lichtblick, für Sekunden wird darüber gesprochen, wer hier | |
eigentlich wen auf welche Art betrachtet: Der Junge bezeichnet sich selbst | |
als Paket in „braunem Papier“, als würde der Film seine eigene Problematik | |
reflektieren. Leider eine Floskel, die Alibi bleibt. Direkt danach spricht | |
ein Freund Tyler Rakes von der Stadtbevölkerung als „Tiere“. Und am Ende | |
sind sie alle nur Zeug*innen und Werkzeuge für einen weißen Heldentod, der | |
dann zu allem Überfluss nur halbherzig bleibt. Am besten kommentiert der | |
Film sich selbst: Some mythic shit. | |
24 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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