# taz.de -- Mütter im Leistungssport: Doppelte Rolle vorwärts | |
> Laura Ludwig und Christina Schwanitz haben die Rückkehr in die Weltelite | |
> geschafft. Sie stehen für die Vereinbarkeit von Kind und Sportkarriere. | |
Bild: Mutter streckt sich: Laura Ludwig im September 2019 in Rom | |
Eigentlich wäre Christina Schwanitz gerade auf Zypern. Doch das | |
Trainingslager der Kugelstoßerin findet in diesen Corona-Zeiten nicht | |
statt. Stattdessen kümmert sich die 34-Jährige zurzeit um ihre knapp | |
dreijährigen Zwillinge. „Ich versuche, die Kinder ein bisschen in mein | |
Training zu Hause einzubeziehen, beim Laufen und bei | |
Stabilisationsübungen“, sagt Christina Schwanitz. Ab 17 Uhr übernimmt ihr | |
Mann die Kinder, und sie kann im Sportforum Chemnitz viermal in der Woche | |
trainieren. | |
Christina Schwanitz ist Weltmeisterin, Doppel-Europameisterin und mehrfache | |
Deutsche Meisterin. 2017 wurden ihre Kinder geboren. Nach den ersten | |
anstrengenden Monaten mit den Babys begann Christina Schwanitz wieder mit | |
leichtem Training – ohne den Vorsatz, ihre Karriere fortzusetzen, sondern | |
einfach um wieder in Form zu kommen. „Eines Tages habe ich dann die Kugel | |
in die Hand genommen und gedacht: 'Schwani, gestehe es dir ein: Es ist noch | |
nicht vorbei“, erzählt sie lachend in einem Chemnitzer Café – kurz vor den | |
Kontaktsperren wegen des Coronavirus. | |
2019 dann hat sie WM-Bronze in Doha gewonnen. Jetzt will sie ihre erste | |
olympische Medaille gewinnen. „Die Verschiebung der Spiele hat meine | |
gesamte Lebensplanung über den Haufen geworfen“, sagt sie. „Ich hatte Tokio | |
2020 alles untergeordnet, mein Studium unterbrochen, die Familie | |
hintangestellt.“ Und doch ist sie erleichtert, dass die Absage kam, da der | |
Druck, sich unter erschwerten Trainingsbedingungen vorzubereiten, weg sei. | |
„Ich werde die Olympischen Spiele im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder | |
angehen.“ | |
Kind und Karriere vereinbaren – das ist für Spitzensportlerinnen eine | |
besondere Herausforderung. Doch es gibt viele Athletinnen, die kurz nach | |
Schwangerschaft und Entbindung wieder zu Höchstleistungen fähig sind und | |
denen es gelingt, Windeln zu wechseln und Medaillen zu holen: Langläuferin | |
Marit Björgen etwa, die Leichtathletinnen Allyson Felix und Shelly-Ann | |
Fraser-Pryce, die Biathletin Darja Domratschewa und die Tennisspielerin | |
Serena Williams – sie alle haben nach der Geburt ihrer Kinder die Karriere | |
erfolgreich fortgesetzt. Bevor Tennisturniere wegen Corona abgesagt wurden, | |
konnte man ein weiteres erstaunliches Comeback beobachten: Die 36-jährige | |
Belgierin Kim Clijsters war zurück auf dem Court. Sie ist dreifache Mutter, | |
ihre Kinder sind zwölf, sechs und drei Jahre alt. | |
Wie jede Frau, die nach der Geburt eines Kindes zurück in den Job möchte, | |
müssen auch Athletinnen ihren Alltag neu organisieren. Einen Alltag, der | |
auch längere Aufenthalte im Trainingslager und Reisen zu Wettkämpfen | |
beinhaltet. Die Beachvolleyballerin Laura Ludwig und ihr Mann und Trainer | |
Imornefe Bowes nehmen ihren knapp zweijährigen Sohn Teo manchmal mit, wenn | |
sie länger unterwegs sind. „Es ist superschön, ihn dabeizuhaben. Meist | |
begleitet uns dann meine Mama oder meine Schwiegermama, um auf ihn | |
aufzupassen“, erzählt Laura Ludwig beim Treffen in der Beach-Halle Hamburg, | |
die inzwischen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen ist. | |
## Karriereende keine Option | |
Gemeinsam mit Kira Walkenhorst wurde Laura Ludwig 2016 Olympiasiegerin. Für | |
sie stand von vornherein fest, dass ein Baby nicht das Ende ihrer Laufbahn | |
bedeuten sollte. „Ich wollte auf jeden Fall wieder zurückkommen, ich kann | |
mir ein Leben ohne Beachvolleyball nicht vorstellen.“ Nach der Absage der | |
Olympischen Spiele muss sie auf ihre Leidenschaft nun erst einmal | |
verzichten. Die 34-Jährige war mit ihrer neuen Partnerin Margareta Kozuch | |
auf einem guten Weg, die Qualifikation für Olympia zu schaffen. | |
„Die Absage hat mich schon ein bisschen erschlagen“, sagt sie. „Doch ich | |
finde es erfrischend, dass ich jetzt die Zeit mit meiner Familie verbringen | |
kann, ohne unter Zeitdruck von A nach B zu müssen.“ Fit hält sie sich mit | |
Laufen, Krafttraining und Gymnastik – und mit Ballspielen mit Teo im Hof. | |
Wie alle Eltern können – oder müssen – auch Sportlerinnen und Sportler | |
zurzeit mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Kitas und Schulen sind auf | |
noch unbestimmte Zeit geschlossen. Doch auch sonst müssen Athletinnen und | |
ihre Familien die Betreuung ihrer Kinder perfekt organisieren. Der | |
Arbeitsalltag von Leistungssportlerinnen ist sehr zeitintensiv. | |
Christina Schwanitz erzählt, dass sie dieses Jahr zum ersten Mal den | |
Geburtstag der Zwillinge miterleben wird – zwei Geburtstage hat sie bereits | |
verpasst. „Gott sei Dank war ich zur Geburt da“, scherzt sie. | |
Tennisspielerin Serena Williams berichtet auf ihrem Instagram-Account, wie | |
schmerzlich es für sie war, die ersten Schritte ihrer Tochter verpasst zu | |
haben. | |
## Veränderte Identität | |
Spitzensportlerinnen mit Kindern müssen zwei extreme Anforderungen | |
miteinander vereinbaren: Sie wollen für ihr Kind sorgen, stehen jedoch | |
gleichzeitig unter dem Druck, Höchstleistungen erbringen zu müssen. „Bis zu | |
dem Zeitpunkt, zu dem eine Athletin Mutter wird, ordnet sie alles ihren | |
sportlichen Zielen unter“, sagt Marion Sulprizio, Psychologin an der | |
Deutschen Sporthochschule Köln. „Wenn das Kind da ist, muss sie ihre | |
Identität verändern. Sie kann jetzt nicht einfach nur noch Sportlerin | |
sein.“ | |
Diese Zerrissenheit kennt Beachvolleyballerin Laura Ludwig nur zu gut. | |
Es ist nicht nur der Stress, zwei außerordentlich herausfordernde Rollen | |
organisatorisch zu verbinden, sondern auch eine mentale Belastung. „Es ist | |
einfach eine 24/7-Lebensaufgabe, für den kleinen Wurm da zu sein. Und das | |
hat mich am Anfang tierisch überfordert“, gibt sie zu und spricht von | |
Schuldgefühlen gegenüber ihrem Kind. Mittlerweile gelingt es ihr gut, ihren | |
Sohn zeitweise loszulassen, um sich auf das Sportliche zu konzentrieren. | |
Auch früher schon gab es [1][Spitzensportmütter]: die Tennisspielerin | |
Margaret Court, die Weitspringerin Heike Drechsler oder die Kanutin Birgit | |
Fischer. Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, ob Frauen heutzutage nach | |
der Geburt eines Kindes häufiger den Weg zurück in den Leistungssport | |
finden als früher, gebe es nicht, sagt Psychologin Marion Sulprizio. | |
Klar ist aber, dass Sportlerinnen genau wie Sportler häufig bis ins | |
fortgeschrittenere Alter Höchstleistung erbringen können und eine | |
Schwangerschaft für Frauen noch nicht unbedingt das Ende der Karriere | |
bedeutet. Und noch etwas hat sich geändert: Hieß es früher, Frauen sollten | |
sich in der Schwangerschaft schonen, wird heute sogar empfohlen, weiter | |
Sport zu treiben – egal ob Leistungs- oder Freizeitsport. | |
Doch gerade bei Topathletinnen stellt sich häufig die Frage, in welcher | |
Intensität sie ihren Sport weiterbetreiben können. „Schwangere sollten vor | |
allem ruckartige Bewegungen und anstrengende Belastungen, sogenanntes | |
anaerobes Training, vermeiden“, erklärt Sportpsychologin Sulprizio. | |
Dennoch: Christina Schwanitz gewann im fünften Monat ihrer Schwangerschaft | |
den Deutsche-Meister-Titel, Serena Williams im zweiten Monat die Australian | |
Open. Während der Frühschwangerschaft kann sich die körperliche | |
Leistungsfähigkeit wegen höherer Herzleistung und einer Zunahme des | |
Blutvolumens um 30 Prozent steigern. | |
Ein kleiner Vorteil – gefolgt von einem großen Nachteil: Die schwangere | |
Sportlerin muss früher oder später ihr Umfeld informieren. Und das kann – | |
wie auch im normalen Berufsleben – zu unangemessenen Reaktionen führen. | |
Trainer, Verbände und Sponsoren erwarten leistungsstarke Athletinnen. 2019 | |
beschuldigten mehrere US-amerikanische Leichtathletinnen den | |
Sportartikelhersteller Nike, Sportlerinnen im Fall einer Schwangerschaft | |
die Verträge zu kappen. Die Sprinterin Allyson Felix ging an die | |
Öffentlichkeit. [2][Nike bot der 34-Jährigen], die sechs olympische | |
Goldmedaillen gewonnen hatte, nach Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft einen | |
schlechter dotierten Vertrag. Nach Protest der US-Sportlerinnen kündigte | |
Nike an, schwangere Athletinnen künftig nicht mehr zu diskriminieren. | |
Mütter im Sport erfahren zunehmend Akzeptanz. Sie machen deutlich, dass | |
auch, wenn man Kinder hat, Topergebnisse möglich sind. Für Laura Ludwig war | |
die US-Beachvolleyballerin Kerry Walsh inspirierend, die als dreifache | |
Mutter 2016 Olympia-Bronze gewann. „Ich weiß nicht, ob ich mir das | |
überhaupt zugetraut hätte, wenn es vorher noch keine Mamis auf der Tour | |
gegeben hätte.“ Laura Ludwig und Christina Schwanitz sind nun selbst zu | |
Vorbildern geworden – für Sportlerinnen, aber auch für alle Frauen | |
außerhalb des Sports, die sich vielleicht fragen, ob es möglich ist, Kind | |
und Karriere miteinander zu vereinbaren. | |
10 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Mutterglueck-beim-Australian-Open/!5188495 | |
[2] https://www.nytimes.com/2019/05/22/opinion/allyson-felix-pregnancy-nike.html | |
## AUTOREN | |
Jutta Heess | |
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