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# taz.de -- Corona in Frankreich: Die demaskierte Exekutive
> Frankreich war auf einen pandemischen Ernstfall fast gar nicht
> vorbereitet. Der Bevölkerung wurde das verschwiegen.
Bild: 31. März 2020, Präsident Macron besucht einen Maskenhersteller bei Ange…
Paris taz | Nein, [1][Masken] brauche doch keine(r) gegen Sars-CoV-2: Das
behaupteten Regierungsbehörden in Frankreich wochenlang. Nicht wenige
Menschen zweifelten an dieser Aussage. Die Staatsführung, so kommt es jetzt
Stück für Stück ans Licht, hat die Bevölkerung beschwindelt. Denn in
Wahrheit war nichts für einen Ernstfall vorbereitet. Die vermeintlichen
Lagerbestände an Masken waren fast inexistent.
Ein Bericht des Onlinemagazins Médiapart mit dem Titel „Masken: Die Beweise
einer Staatslüge“ protokolliert, wie in Frankreich Regierung und
Gesundheitsbehörden seit Januar bei diesem Thema zu spät oder falsch
entschieden haben. Der Öffentlichkeit wurde so eine die Exekutive
kompromittierende Wahrheit vorenthalten. In Sachen Transparenz ein
abschreckendes Beispiel für ganz Europa – hier die Chronik eines
gesellschaftspolitischen Versagens.
Mitte Januar 2020: Wie ganz Europa blickt auch Frankreich entsetzt [2][nach
China]. Zusätzliche Vorkehrungen werden von den politischen
Verantwortlichen nicht getroffen. Offiziell soll es ja eine angeblich
ausreichende Reserve von 80 Millionen Schutzmasken geben. Von den für den
medizinischen Einsatz empfohlenen FFP2-Masken hat der französische Staat
hingegen keine Lager für Krisenzeiten angelegt – 2013 ging die
Zuständigkeit für dieses Schutzmaterial an private und öffentliche
Unternehmen. Die von Jérôme Salomon geleitete nationale
Gesundheitsdirektion DGS ahnt insgeheim, dass die Masken für medizinische
Berufe fehlen werden.
24. Januar: Zwei erste Covid-Fälle in Frankreich. Die damalige
Gesundheitsministerin Agnès Buzyn erklärt wider besseres Wissen: „Das
Risiko einer Ausbreitung ist sehr gering.“ Zwei Tage später versichert sie,
der Staat verfüge „über Lagerbestände mit zig Millionen Masken, die im
Notfall an die Bevölkerung verteilt werden können“.
7. Februar: Als sich die Gesundheitsdirektion entschließt, FFP2-Masken für
die Krankenhäuser zu bestellen, ist die Nachfrage bei den Herstellern in
Europa und Fernost bereits enorm. Von den 28 Millionen bestellten
Exemplaren bekommt Frankreich gerade mal 500.000. Auch von den weniger
effizienten „Chirurgenmasken“ können in der Eile statt 160 Millionen nur 30
Millionen beschafft werden.
26. Februar: Buzyns Nachfolger Olivier Véran versichert, sein
Gesundheitsressort sorge in Frankreich „seit Wochen“ vor. DGS-Chef Salomon
möchte bezüglich der Schutzmaterialvorbereitung immer noch glauben machen:
„Die Knappheit ist kein Thema.“ Alle unterlassenen Vorkehrungen sollen nun
durch massive und dringliche Beschaffungen vertuscht werden.
3. März: Die Regierung lässt alle verfügbaren Masken durch eine Krisenzelle
beschlagnahmen. Die vier noch existierenden Produzenten sollen exklusiv den
französischen Staat beliefern, jeder Export – auch in die EU-Länder – wird
zudem untersagt. Die Ausbeute dieser verspäteten Jagd auf vorrätige Masken
bleibt extrem mager. Nicht nur zahlreiche Krankenhäuser, sondern auch
Pflege- und Altenheime sowie niedergelassene Ärzte, Polizisten und
Feuerwehrleute haben zu wenig Schutzmasken und Desinfektionsgel.
4. März: Präsident Macron verordnet angesichts der Verknappung, dass die
konfiszierten Schutzmasken exklusiv für Krankenhäuser sind. Medien melden
Fälle von Diebstahl. Der Bevölkerung wird empfohlen, Ansammlungen zu meiden
und auf Händeschütteln und Umarmungen zu verzichten.
14. März: Premierminister Edouard Philippe lässt die Gastronomie und die
Mehrzahl aller Geschäfte mit Kundenbesuch schließen. Danach machen Schulen,
Universitäten und Krippen zu, Ausgangsbeschränkungen kommen.
15. März: In Frankreich sind 148 Personen laut offizieller Zählung tot
durch Covid-19. Trotz Bedenken findet der landesweite erste
Kommunalwahldurchgang statt. Die Beteiligung ist extrem gering.
19. März: Gesundheitsminister Véran bestätigt dem Senat, dass der Staat
Ende Januar lediglich über eine Reserve von 150 Millionen einfacher
„Chirurgenmasken“, aber über keinen Notvorrat an FFP2-Masken verfügte. Von
Letzteren konnten bislang nur eine Million für die öffentlichen
Krankenhäuser beschafft werden. Regierungssprecherin Ndiaye behauptet, für
die Bevölkerung sei das Tragen von Masken kontraproduktiv: „Man kann in den
Apotheken keine Masken kaufen, weil das nicht nötig ist, wenn man (selber)
nicht krank ist. Ich könnte selber keine Maske verwenden, der Umgang damit
erfordert technisches Geschick.“
28. März: Unter Druck geraten, bestätigt Véran, er habe im Ausland und in
Frankreich „eine Milliarde Masken für die kommenden Wochen und Monate“
bestellt. Dazu käme eine Luftbrücke mit China. Der damit beauftragten Firma
Geodis, einer Tochtergesellschaft der Staatsbahn SNCF, fehlen hierfür die
Flugzeuge.
31. März: Macron besucht bei Angers eine der vier Fabriken, die in
Frankreich noch Masken herstellen. Diese sollen bis „Ende April“ 10
Millionen wöchentlich produzieren. Das öffentliche Gesundheitssystems soll
40 Millionen pro Woche brauchen. Der Präsident verwehrt sich gegen jede
Kritik.
3. April: Nachdem Frankreichs Académie de médecine sich für das für alle
obligatorische Tragen von Masken ausspricht, meint Professor Salomon von
der Gesundheitsdirektion, der bisher diese Schutzmaßnahme für „nutzlos“
erklärt hatte: „Wir ermuntern die Bevölkerung, auf Wunsch Masken zu tragen,
die als Ersatz produziert werden …“
Anfang April: Mehrere Städte wie Nizza wollen das Tragen von (notfalls
selbst genähten) Schutzmasken obligatorisch machen. Staatssekretärin Agnès
Pannier-Runacher räumt ein, sobald die Ausgangsbeschränkungen endeten,
müsse die Bevölkerung „massiv“ Masken bekommen. Außenminister Jean-Yves …
Drian teilt lapidar mit, die bisher sehr spärlich eintreffenden „bestellten
Milliarden Masken“, würden aus China „bis Ende Juni“ geliefert werden.
Fest steht: Die Irrungen und Wirrungen zum Thema Masken haben die Autorität
der französischen Behörden stark untergraben. Die Unfähigkeit, wenigstens
dem medizinischen Personal Schutzmasken zu liefern, und der Versuch, die
Inkompetenz mit pseudowissenschaftlichen Argumenten zu rechtfertigen, hat
besonders Mediziner empört. Jean-Paul Hamon, der selber an Covid-19
erkrankte Vorsitzende des Hausärzteverbands: „Das ist nicht mehr nur Zorn,
das ist geradezu Hass.“
8 Apr 2020
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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