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# taz.de -- Polizei in Flüchtlingsunterkunft Suhl: Geprüft wird hinterher
> Die Polizei will bei einem Einsatz gegen Geflüchtete eine IS-Flagge
> gesehen haben. Jetzt stellt sich heraus: Die Flagge gab es nicht.
Bild: Polizeieinsatz in Suhl vor der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge …
Ein bizarrer Anblick: Vergangenen Dienstag rückten rund 150 Beamt*innen,
teils in medizinischen Schutzanzügen, [1][vor der Geflüchtetenunterkunft in
Suhl an]. Sie sollten Unruhe in der Unterkunft beenden, die begonnen hatte,
nachdem nach ersten Corona-Fällen [2][eine Quarantäne für alle
Bewohner*innen] angeordnet worden war. Im Zuge des Einsatzes verbreitete
die Suhler Polizei allerdings Falschnachrichten, wie sich jetzt
herausgestellt hat. Auf deren Basis starteten Rechte im Netz eine
Hasskampagne gegen Geflüchtete.
Seitdem bekannt geworden war, dass sich ein Bewohner der
Erstaufnahmeeinrichtung mit dem [3][Coronavirus] infiziert hatte, galt eine
Quarantäne für alle 533 Bewohner*innen. In der Folge kam es in der
Einrichtung zu „Unmutsbekundungen über die notwendigen Einschränkungen und
versuchten Quarantänebrüchen“, so die Polizei in einer Pressemitteilung am
Dienstag.
Das „gefährdende Verhalten“ ging demnach von einer Gruppe namentlich
bekannter Personen aus. Ihnen galt der Polizeieinsatz. Die 22 Geflüchteten
wurden in die leerstehende Jugendarrestanstalt nach Arnstadt gebracht.
„Größere Zwischenfälle“ habe es dabei nicht gegeben.
Der Suhler Polizeichef Wolfgang Nicolai schilderte den Einsatz auf einer
Pressekonferenz am Dienstag und fügte dabei brisante Details hinzu. Vor dem
Haupttor der Unterkunft versammelten sich demnach etwa „etwa 30 junge
Männer, überwiegend aus Georgien und den Maghreb-Staaten“, die „unter
Zeigen einer IS-Fahne“, versuchten, das Tor zu überwinden, und „eine sehr
aggressive Stimmung an den Tag legten“.
## Islamistische Symbole? Es ist etwas komplizierter
Dabei seien vor allem Kinder in der ersten Reihe postiert und als „Schutz
für ihre Handlungen genutzt“ worden, so der Polizeichef. In einer zweiten
Pressemitteilung heißt es zudem, dass die besagten Männer islamistische
Symbole zeigten.
Im Nachhinein dementierte die Polizei dann aber, dass eine IS-Flagge,
beziehungsweise überhaupt eine Flagge hochgehalten wurde. Der Hinweis sei
erst kurz vor der Pressekonferenz von einem unbeteiligten Zeugen an die
Polizei herangetragen worden, teilte die Landespolizeiinspektion Suhl auf
Anfrage der taz mit. Um Spekulationen vorzubeugen, habe man die Information
zugleich auf der Presskonferenz mitgeteilt. Auf ihren Wahrheitsgehalt
wurden sie jedoch erst im Anschluss überprüft.
Bei den „islamistischen Symbolen“ – die gab es wohl tatsächlich – hand…
es sich um ein „auch von Islamisten verwendetes Grußzeichen“, wie die
Polizei Thüringen zwei Tage später auf Twitter mitteilte. Eine Sprecherin
der Polizei erklärt, dass man sich auf den Tauhid-Finger beziehe, den
einige der Männer gezeigt hätten.
Der nach oben ausgestreckte Zeigefinger symbolisiert im Islam aber zunächst
einmal den Glauben an die Einheit Gottes, das Handzeichen wird auch von
nichtfundamentalistischen Muslimen verwendet, etwa beim Glaubensbekenntnis.
Auch wenn die Geste vom IS zeitweise „gekapert“ wurde: Sie zu zeigen ist
weder strafbewährt noch verboten.
## Auch die AfD hetzt mit
Die Falschmeldungen der Polizei kommen einigen gerade gelegen: Der Sprecher
der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner,
kommentiert auf seinem Youtubekanal einen Ausschnitt der Pressekonferenz:
„Mit einer IS-Fahne bewaffnet, mit Kindern in der ersten Reihe rennen die
Geflüchteten gegen die Polizei an.“ Sellner zeigt Videoausschnitte von der
griechischen Grenze, um die bereits dementierten Angaben zu bebildern. Aus
Suhl gibt es kein entsprechendes Bildmaterial.
Der vorbestrafte Rocker und ehemalige Polizist Tim Kellner bezieht sich auf
Youtube ebenfalls auf die widerlegten Aussagen des Suhler Polizeichefs. Das
Video unter dem Titel „Unfassbar – Die Schlacht von Suhl!“ hat bereits me…
als 130.000 Aufrufe. Kellner ist einer der einflussreichsten rechten
Youtuber.
Auf Youtube geistern zahlreiche solcher Ausschnitte der Pressekonferenz
umher. Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der AfD, lud den
Videoausschnitt samt Falschmeldungen ebenfalls auf seinem Youtube-Kanal
hoch.
Die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit und die Online-Zeitung
Tichys Einblick schreiben von „Randalierern mit IS-Fahne“. Laut Zeit Online
titelte sogar das Nachrichtenportal Web.de „Asylanten attackieren
Polizisten und Mitarbeiter“, änderte die Überschrift jedoch im Nachhinein.
Ein Blick in die Kommentarspalten genügt, um zu erkennen, wie solche
Fehlinformationen Rechten bei der Hetze gegen Geflüchtete in die Hände
spielen können: „Wäre es nicht sinnvoller IS-Sympathisanten dort in
Quarantäne zu stecken, wo sie herkommen? Was haben derartige Subjekte in
Deutschland zu suchen?!“, schreibt ein User.
25 Mar 2020
## LINKS
[1] /Polizeieinsatz-gegen-Gefluechtete-in-Suhl/!5668971
[2] /Corona-in-Fluechtlingsheimen/!5669174
[3] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
## AUTOREN
Luisa Kuhn
## TAGS
Fake News
Polizei
Aufstand
Unterbringung von Geflüchteten
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Coronavirus
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