| # taz.de -- DGB zu Folgen der Coronakrise: „Da wird Druck gemacht“ | |
| > Viele Betriebe versuchen in der Coronakrise mit Erpressung Vorteile zu | |
| > erzielen, sagt DGB-Vorstand Christian Hoßbach. Er rät, zu klagen. | |
| Bild: Eine Verkäuferin bei Edeka in Zeiten von Corona | |
| taz: Herr Hoßbach, der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert aktuell | |
| angesichts der Corona-Pandemie einen Schutzschirm für Geringverdienende und | |
| Familien in der Krise, um sich gegen Krisengewinnler behaupten zu können. | |
| Wer sind denn Krisengewinnler? | |
| Christian Hoßbach: Uns sind viele Beispiele aus verschiedenen Branchen | |
| bekannt geworden, in denen Arbeitgeber versuchen, aus der aktuellen Krise | |
| einen Vorteil zu ziehen. Fälle in denen Druck auf den Einzelnen gemacht | |
| wird, aber auch Fälle, in denen kollektiv schlecht mit der Belegschaft | |
| umgegangen wird. Da haben einige ihren ganz eigenen Ausnahmezustand | |
| beschlossen und lassen geltendes Recht links liegen. | |
| Was heißt das konkret? | |
| Viele Chefs wollen ganz dringend einen neuen Arbeitsvertrag mit | |
| schlechteren Konditionen machen und setzen ArbeitnehmerInnen die Pistole | |
| auf die Brust, angesichts der CoronkKrise zu unterschreiben – mit der | |
| Begründung, dass die Einnahmesituation derzeit so schlecht sei. Das ist so | |
| ein typischer Fall, den wir sonst nicht erleben. Bei Kurzarbeit versuchen | |
| viele Unternehmen, die Informations- und Beteiligungsrechte der | |
| Betriebsräte zu umgehen. Einige gehen direkt erpresserisch vor und drohen | |
| unverhohlen mit größtmöglichem Druck: „Wir erwarten, dass ihr das sofort | |
| unterschreibt, sonst gibt es eine Entlassungswelle.“ Da heißt es dann | |
| „Friss oder stirb!“. | |
| Wie versuchen Chef:innen, das ihren Beschäftigten zu verkaufen? | |
| Da wird nicht viel erklärt, da wird Druck gemacht. Teilweise legen | |
| Vorgesetzte einen Zettel auf den Schreibtisch, den man sofort | |
| unterschreiben soll – „Ich bin mit Kurzarbeit einverstanden“ –, ohne je… | |
| Konkretisierung, ohne Bedenkzeit. Noch krasser sind natürlich Absenkungen | |
| von geltenden Löhnen, die genauso erreicht werden sollen. Das ist schlicht | |
| illegal. Wir können da nur raten, sich Unterstützung zu holen und nichts zu | |
| unterschreiben! Eine Änderung des Arbeitsvertrags ist ja kein | |
| Haustürgeschäft, wo ich eine Waschmaschine kaufe, aber immerhin stornieren | |
| kann. Und das ist immer noch nicht alles: Im kollektiven Bereich wird | |
| versucht, längst vereinbarte Tariferhöhungen auszusetzen. | |
| Wie geht es den Azubis? | |
| Gemischtes Bild: Die meisten Unternehmen verhalten sich korrekt, aber wir | |
| haben Fälle, in denen auch Auszubildende einfach in Kurzarbeit geschickt | |
| werden. Aber Kurzarbeit gilt nicht für Auszubildende. Die hängen dann | |
| komplett in der Luft, weil auch die Berufsschulen ausfallen, selbst wenn es | |
| vereinzelt digitale Angebote der Schulen gibt. | |
| Wie sollen sich Arbeitnehmer:innen während der Corona-Pandemie denn am | |
| besten wehren? Groß protestieren geht ja nicht, weil Demos und | |
| Versammlungen von mehr als 10 Personen derzeit verboten sind. | |
| Es ist eine schwierige Situation. Da können wir nur erwarten, dass die | |
| Politik nicht nur die öffentliche Ordnung und die Gesundheit, sondern auch | |
| das Arbeitsrecht schützt. Die Grundregeln von Demokratie und vernünftigem | |
| Umgang im Arbeitsleben müssen weiter gelten. Es gibt in Deutschland eine | |
| sehr entwickelte Kultur, Konflikte gemeinsam zu besprechen und zu lösen. Es | |
| kann nicht sein, dass jetzt Verbände oder einzelne Arbeitgeber die | |
| Krisensituation einseitig ausnutzen. | |
| Welche Gegenmaßnahmen können Beschäftigte konkret treffen, was raten Sie? | |
| Wir machen den Leuten natürlich Mut, im Zweifel auch zu klagen. | |
| Gewerkschaftsmitgliedschaft hilft dabei. Dafür müssen die Gerichte weiter | |
| funktionieren. Es muss möglich sein, das Recht durchzusetzen. Schlecht ist, | |
| dass Betriebsversammlungen und Aktionen wegen der Einschränkungen praktisch | |
| nicht stattfinden können: Gewerkschaften sind Mitgliederorganisationen, die | |
| sich in realem Miteinander und Solidarität ausdrücken. Im Moment versuchen | |
| wir, so gut es geht, unsere Mitglieder durch Ratgeber und Info-Angebote zu | |
| unterstützen, und natürlich durch den Rechtsschutz und gute Tarifverträge | |
| zu Kurzarbeit. Ich hoffe, dass wir, wie schon häufig, in der Krise | |
| überzeugen können. | |
| Nun ist es aber auch so, dass eine Rezession unausweichlich scheint. Den | |
| Firmen werden Aufträge wegbrechen, Produktionen müssen wohl lahmgelegt | |
| werden. Die Einnahmesituation der Betriebe dürfte also auf längere Sicht | |
| wirklich schlecht sein, und nicht immer dürfte also ein hohles | |
| Erpressungsszenario vorliegen. | |
| Keine Frage, die wirtschaftliche Lage ist in vielen Branchen heftig | |
| eingebrochen. Unser Wirtschaftssystem ist immer wieder durch Krisen geprägt | |
| – das ist nichts Neues. Die Coronakrise kam sehr plötzlich, unvorbereitet | |
| und umso heftiger. Die Frage ist also: Wie gehen wir damit um? In vielen | |
| Betrieben funktionieren etablierte Muster der Zusammenarbeit, da entstehen | |
| halbwegs faire Lösungen für Kurzarbeit. Aber im Moment sehen wir eben auch, | |
| dass insbesondere viele kleinere Betriebe und deren Geschäftsführer sich | |
| zum ersten Mal mit einer solchen Situation auseinander setzen müssen und, | |
| zurückhaltend gesagt, übers Ziel hinausschießen. | |
| Sie haben gerade geniest, Herr Hoßbach. Sind Sie denn gesund so weit? Wie | |
| wirkt sich Corona auf die Gewerkschaftsarbeit des DGB aus? | |
| Mir geht’s gut, danke der Nachfrage. Wir haben hier noch keine Fälle, aber | |
| klar kann das bald passieren. Wir haben vorsorglich unsere Besetzung | |
| ausgedünnt und machen viel mobile Arbeit – auch von zu Hause. Es sind | |
| komische Tage, eigentlich waren wir mitten im offensiven Gestalten. Jetzt | |
| rödeln wir den ganzen Tag gegen Verschlechterungen. | |
| 23 Mar 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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