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# taz.de -- Corona in Venezuela: Hände waschen ohne Wasser?
> Venezuelas Gesundheitssystem lag schon vor Corona am Boden. Die Menschen
> wissen nicht, wie sie die Quarantäne überstehen sollen.
Bild: Venezuela in Zeiten von Corona: anstehen vor einem Supermarkt in Caracas
Caracas/Berlin taz | Vor der Bäckerei hat sich eine Schlange gebildet.
Eintritt wird nur mit Mundschutz und in kleinen Gruppen gewährt. In dem
einfachen Viertel Ruiz Pineda im Südwesten der venezolanischen Hauptstadt
Caracas ist das vorherrschende Thema am ersten Morgen mit Ausgangssperre
auch beim Brotkauf das Coronavirus. „Dieses Land kann keine Quarantäne
durchstehen“, sagte eine etwa 50-jährige Frau in der Schlange. „Wenn es wie
früher wäre... aber die Löhne reichen heute kaum für ein Kilo Fleisch.“
Seit Montag früh gilt in Caracas die von Präsident Nicolás Maduro verhängte
„soziale und kollektive Quarantäne“. Zunächst im Hauptstadtdistrikt sowie
den sechs Bundesstaaten, in denen bis Sonntag 17 Fälle von Covid-19
registriert wurden, durften die meisten Menschen nur noch zum Einkaufen vor
die Tür. Außer wenigen Geschäften wie Supermärkten und Apotheken ist alles
geschlossen.
Seit Dienstag früh gilt die Ausgangssperre landesweit. Die Zahl der
nachweislich infizierten Personen war am Montag auf 33 Personen gestiegen,
die alle zuvor aus Europa oder Kolumbien eingereist waren.
Viele befürchten, dass Venezuela denkbar schlecht auf das Virus vorbereitet
ist. Das staatliche Gesundheitssystem, vor einigen Jahren noch
flächendeckend zugänglich, funktioniert nur noch rudimentär. Aufgrund
fehlender finanzieller Ressourcen, der Ineffizienz der Regierung und der
US-Sanktionen sind die Krankenhäuser schlecht ausgestattet und viele Ärzte
haben das Land verlassen.
## Die Produkte sind für die Menschen völlig überteuert
Noch immer in Venezuela praktiziert Carlos Moyetones. „Für solch eine
Situation sind die Krankenhäuser nicht gerüstet“, sagt der Arzt am Telefon.
„Es fehlt sowohl an Medikamenten als auch geeigneter Infrastruktur.“
Sorge bereitet den Menschen vor allem die [1][wirtschaftliche Lage]. Seit
die Regierung im vergangenen Jahr die Nutzung des US-Dollar ermöglichte und
die meisten Preiskontrollen de facto abschaffte, sind die Supermarktregale
zwar wieder besser gefüllt. Die Produkte jedoch sind völlig überteuert.
Ohne die beinahe kostenlosen Lebensmittelkisten der Regierung sowie
Rücküberweisungen migrierter Familienangehöriger könnten die meisten
Venezolaner*innen zurzeit nicht überleben.
Der Mindestlohn beträgt umgerechnet nur wenige US-Dollar pro Monat und
reicht theoretisch für gerade einmal eine Packung Maismehl, ein Stück Käse
und zwei kleine Stücke Seife. Hinzu kommt, dass viele Haushalte nur
unregelmäßig über Strom und Wasser verfügen, selbst in Krankenhäusern ist
die Versorgung nicht gewährleistet.
„Jetzt sagen sie, wir sollen uns die Hände waschen, aber wie sollen wir das
machen, wenn wir kein Wasser haben?“, bemängelt Raul Martínez, der an der
Bushaltestelle steht und in der Zeitung des Vortags blättert. Wie die
meisten Leute in der Umgebung hat er einen Mundschutz dabei, trägt ihn aber
nicht ums Gesicht. „Wir bräuchten jeden Tag Wasser, nicht nur zweimal die
Woche.“ Die Maßnahmen der Regierung kämen außerdem sehr plötzlich. „Sie
hätten einen Vorlauf von zwei Tagen geben sollen, statt dies auf einen
Schlag zu machen“, sagt Martínez.
## Maduro wirkt wie ein Präsident – vielleicht zum ersten Mal
Erst am vergangenen Donnerstag, als noch kein Fall von Covid-19
nachgewiesen war, hatte Maduro den Gesundheitsnotstand erklärt. Unter
anderem untersagte er größere Veranstaltungen und Versammlungen und erließ
ein Landeverbot für Flüge aus Europa sowie Kolumbien.
Als einen Tag später dann die ersten zwei Fälle von Covid-19 bekannt
wurden, folgte die Schließung aller Schulen. Maduro verhängte den
Alarmzustand, um weitergehende Maßnahmen beschließen zu können und
verkündete am Sonntag dann die Ausgangssperre.
Vielleicht zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt wirkt Maduro, als stünde
er über den politischen Grabenkämpfen, die Venezuela seit Jahren prägen.
Mit Nachdruck forderte er die Aufhebung der US-Sanktionen, bat ansonsten
aber darum, das Thema Coronavirus nicht zu politisieren. „Die Pandemie
kennt weder ideologische noch politische oder soziale Unterschiede“,
erklärte er am Sonntag.
Die Krise offenbart auch erneut, dass [2][Oppositionsführer Juan Guaidó]
innerhalb Venezuelas über keinerlei Macht verfügt. Der selbsternannte
Interimspräsident berief eine eigene Expertenkommission zum Coronavirus ein
und betonte, dass er über gute internationale Beziehungen verfüge.
Tatsächlich stellen sich die meisten Oppositionellen aber nicht
grundsätzlich gegen die von Maduro verkündeten Maßnahmen, die schließlich
auch andere Länder weltweit umsetzen. Die dennoch zu erwartende Ausbreitung
des Virus könnte Venezuela hart treffen.
17 Mar 2020
## LINKS
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[2] /Politische-Krise-in-Venezuela/!5655653
## AUTOREN
Tobias Lambert
John Mark Shorack
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