# taz.de -- Corona-Lähmung in Berlin: Szenen wie in Nordkorea | |
> Am Berliner Alexanderplatz ist eigentlich immer Trubel. Jetzt verirrt | |
> sich kaum jemand noch hierher. Der Grund: Der Kapitalismus liegt im Koma. | |
Bild: Die Trams schleichen noch im Minutentakt über den Platz. Sie sind fast l… | |
Der Alexanderplatz ist immer eine Enttäuschung. Dieser in der Weltliteratur | |
verewigte Ort wird – zu normalen Zeiten – an 364 Tagen im Jahr [1][vermüllt | |
von Markt- und Rummelbuden] und dem sonstigen Dreck, den Passanten so | |
wegwerfen. Die Kulisse aus trutzigen Gebäuden ist nur dank des luftigen | |
Fernsehturms und der ikonischen Weltzeituhr erträglich; die Geschäfte | |
werden von gesichtslosen (Klamotten-)Ketten betrieben. Es ist ein | |
gänzlich unsinniger Ort. | |
Das wird vielen vielleicht aber erst in Zeiten wie diesen deutlich, da der | |
Alexanderplatz dank der Coronakrise zur reinen steinernen Kulisse geworden | |
ist. Die vielen Passanten? Weg. Die Geschäfte? Geschlossen. Der Müll? Vom | |
Winde verweht. Nur Fernsehturm und Weltzeituhr stehen noch in der Gegend | |
rum. | |
Zugegeben, das ist übertrieben. Natürlich laufen auch an diesem | |
Donnerstagmittag einzelne Menschen über den Platz. Aber sie sind nicht | |
hier, weil sie wirklich hier sein wollen, weil sie einkaufen wollen oder | |
etwas essen. Sie sind hier, weil sie schnell woandershin müssen und der | |
Platz ihnen im Weg ist. Diese vereinzelten Personen verstärken tatsächlich | |
den Eindruck der Leere: Weil man weiß, der Ort ist nicht etwa gesperrt. Man | |
kennt das von den Simulationen der Architekten, in die Menschen als bloße | |
Dekoration hineinkopiert werden. Oder von den Fotos aus Nordkorea. | |
Schuld sind natürlich [2][die entsprechenden Notverordnungen] des | |
rot-rot-grünen Senats, die seit Montag den Aufenthalt im Freien höchstens | |
noch zu zweit gestatten und die Schließung der meisten Geschäfte und seit | |
Montag auch der Frisöre vorsehen. Und natürlich ist der Alexanderplatz | |
nicht der einzige verlassene Ort: Auch am Brandenburger Tor stehen keine | |
Touristen mehr und machen Selfies, obwohl das jetzt ganz ohne Retusche das | |
perfekte Foto ergeben würde: ich (und du) und niemand sonst. | |
Hinter den Kulissen ist das Bild am Alex noch trister. Kaufhof hat nur | |
einen seiner drei Eingänge geöffnet, hier geht es in die | |
Lebensmittelabteilung. Drinnen ist der Zugang zum Rest des Kaufhauses – zur | |
Kleider-, Sport- und Spielwarenabteilung – brutal mit Bauzäunen versperrt. | |
Die Schoko-Osterhasen gibt es jetzt schon zum halben Preis, und es laufen | |
wohl genauso viele MitarbeiterInnen wie KundInnen durchs Geschäft. „Heute | |
sind es noch viele“, meint eine Verkäuferin. | |
Wie immer geht es im Shoppingparadies noch schlimmer. Die Alexa, | |
pinkfarbenes Mall-Ungetüm am Rand des Platzes, wirkt wie ausgehöhlt. Weil | |
drinnen noch Apotheke, Confiserie und Supermarkt offen haben, kann man | |
durch die mit Charttrash beschallten Gänge ziehen, vorbei an dunklen | |
Ladenfronten, die zwar verkünden: „Wir sind weiter für Sie da“, aber auf | |
das Internet verweisen. Kaum jemand verirrt sich hierher. Ein Konsumtempel | |
ohne Gläubige, ohne Zweck. | |
In einem Reisebüro hängen noch Angebote für Kreuzfahrten Ende April. | |
Offensichtlich ist das Geschäft in aller Hektik geschlossen worden – oder | |
in der Hoffnung, schnell wieder aufmachen zu können. | |
Draußen, auf dem Alexanderplatz, fallen jetzt die Obdachlosen stärker auf. | |
An den Ecken stehen sie, sitzen sie, warten sie. Spenden gibt es kaum noch. | |
„Wo soll ich sonst hin?“, meint einer. Auch die Tauben sind noch da, sie | |
fliegen in Scharen von einer Seite zur anderen und zurück. | |
Und die Trams schleichen im Minutentakt über den Platz, drin sitzt kaum | |
einer. Ihr schnarrendes Geräusch bildet, zusammen mit den bremsenden | |
S-Bahnen vom nahen Bahnhof den Soundtrack zur Tristesse. | |
Das Verbot von Treffen mit mehr als zwei Personen ist hier übrigens kein | |
Thema: Die einzigen Menschen, die auf dem Platz zu dritt herumstehen (und | |
auch ein bisschen näher als die erlaubten 1,5 Meter Entfernung), sind die | |
Polizisten vor der mobilen Wache. Beim Rauchen. | |
28 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Polizeiwache-auf-dem-Alexanderplatz/!5470215 | |
[2] /Corona-Polizei-in-Berlin/!5670869 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Berlin Alexanderplatz | |
Shutdown | |
Shoppingmalls | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
taz Plan | |
Berlin Alexanderplatz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sanierungsplan bei Galeria Kaufhof: Hälfte der Filialen soll schließen | |
Etwa 80 der knapp über 170 Warenhäuser sind vom Aus bedroht. Auch in den | |
übrig bleibenden Filialen soll Personal abgebaut werden. | |
Schließung des Berliner Flughafens: Harte Landung für Tegel | |
Der Senat würde den Flughafen mangels Auslastung gerne dicht machen – | |
zumindest vorübergehend. Dass es so kommen wird, ist fast unausweichlich. | |
Corona-Polizei in Berlin: Vorsätzlich herumlungern verboten | |
Die Polizei setzt die Ausgehverbote streng um – nicht selten zu streng, wie | |
Betroffene kritisieren. Kritik kommt auch von der Linkspartei. | |
Parlament diskutiert über Coronavirus: Im Ausnahmezustand | |
Selbst angesichts der Coronakrise bleibt die parteipolitische Konfrontation | |
im Berliner Abgeordnetenhaus nicht aus. | |
Berliner Kultur im Corona-Exil: Kultur ist die beste Impfung | |
Während sich die Mehrheit noch hypnotisieren lässt vom Krisen-Gerede, | |
machen Berlins Kulturszenen ernst und explodieren vor Kreativität. | |
Polizeiwache auf dem Alexanderplatz: Wo geht's zum Alex? | |
Vor zwei Wochen wurde die neue Wache auf dem Alexanderplatz eröffnet. Die | |
meisten Leute nutzen sie, um nach dem Weg zu fragen. |