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# taz.de -- Sexueller Kindesmissbrauch: Ein klares „Weiß nicht“
> Tragen Polizei und Jugendämter Mitverantwortung für den jahrelangen
> Kindesmissbrauch in Lügde? Das wird wohl ungeklärt bleiben – und das
> schmerzt.
Bild: Auf dem Campingplatz Eichwald im Februar 2019
Was werden Opfer sexueller Gewalt wohl denken, wenn sie diese Nachricht
lesen: Die Staatsanwaltschaft Detmold stellt mehrere Ermittlungsverfahren
gegen Mitarbeiter*innen der Polizei und zweier Jugendämter wegen
Kindesmissbrauch in Lügde ein. Also gegen Behörden, denen nach dem
Bekanntwerden des massenhaften und jahrelangen sexuellen Kindesmissbrauchs
auf einem [1][Zeltplatz in Lügde in NRW] Versagen auf ganzer Linie
vorgeworfen worden war. Von verschleppten Ermittlungen war die Rede, davon,
dass Hinweise von besorgten Eltern auf mögliche Übergriffe von Behörden
nicht verfolgt worden seien. Daten seien gelöscht worden, Beweismaterial
sei verschwunden. Jugendamtsmitarbeiter*innen hätten einem verdächtig
erscheinenden Mann trotz Warnungen ein Pflegekind in Obhut gegeben.
Obwohl die beiden Haupttäter im Spätsommer 2019 zu 13 bzw. 12 Jahren
Gefängnis mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurden und ein
dritter Beteiligter eine Bewährungsstrafe bekam, blieb nach Prozessende
vieles unklar: Wie kann es sein, dass Mitarbeiter*innen des
involvierten Jugendamts Hameln-Pyrmont in Niedersachsen nicht erkannt haben
wollen, dass ein vermüllter Wohnwagen kein gutes Zuhause für ein kleines
Mädchen ist? Wo sind Teile der am Tatort sichergestellten CDs und eine
Vielzahl von kinderpornografischem Material? Gefunden wurden immerhin rund
26.500 Bilder, 10.300 Videos, insgesamt mehr als 42.000 Aufzeichnungen.
Warum hat vor Jahren, als die ersten Verdächtigungen gegen einen der beiden
Haupttäter ausgesprochen wurden, niemand reagiert?
Die Staatsanwalt Detmold, die für die Ermittlungen in einem der größten
Missbrauchsprozesse der deutschen Gegenwart zuständig ist, hat auf all
diese Fragen eine klare Antwort: Die Ermittlungen haben nicht zu einem
„hinreichenden Tatverdacht“ geführt. Das teilte die Behörde am Mittwoch
mit. Konkret heißt das, dass unter anderem nicht belegt werden kann, dass
die sechs Mitarbeiter*innen des Jugendamts Hameln-Pyrmont, gegen die
ermittelt worden war, ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen seien.
Ebenso wenig könne nachgewiesen werden, dass das Jugendamt fahrlässig
gehandelt habe, als es entschied, dass das Pflegekind trotz „hygienisch
fragwürdiger Zustände“ in dem Campingwagen und „bei einer Person ohne
anerkannte Erziehungskompetenz“ ( gemeint ist einer der beiden verurteilten
Haupttäter) gut aufgehoben war. Es lässt sich auch nicht mehr aufklären,
warum 2016 bei der Polizei Lippe ein Vermerk zwar den Jugendämtern
übermittelt, aber der Fall im Kriminalkommissariat nicht weiterverfolgt
wurde. Der Grund hierfür seien laut Staatsanwaltschaft der „Zeitablauf und
ein damaliger Computerausfall“. Und so geht sie weiter, die Liste der
Vorwürfe, die nun nichts weiter als Vorwürfe bleiben werden.
Angesichts der Sachlage konnte die Staatsanwaltschaft gar nicht anders, als
so zu entscheiden, wie sie entschieden hat: das Verfahren einzustellen.
Damit sind die Personen, gegen die rechtliche Schritte geprüft worden
sollten, als unschuldig anzusehen. So ist das in einem Rechtsstaat, und so
ist es gut. Wo kämen wir hin, wenn Menschen verurteilt würden, ohne dass es
Beweise für die ihnen vorgeworfenen Taten gibt.
Auch wenn man davon ausgehen darf, dass die Staatsanwaltschaft sauber
ermittelt, dass sie Rechner forensisch untersucht, Beteiligte intensiv
befragt hat, wird dieses Verfahren wohl immer einen üblen Nachgeschmack
haben. Und eine Frage dürfte noch länger im Raum stehen: Ist Lügde
tatsächlich aufgeklärt?
11 Mar 2020
## LINKS
[1] /Missbrauchsfaelle-in-Luegde/!5614996
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
sexueller Missbrauch
Lügde
Prozess
Detmold
Sexualisierte Gewalt
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Lügde
Kriminalität
Lügde
Lügde
sexueller Missbrauch
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