# taz.de -- Politik und Coronavirus: Verschobene Verantwortung | |
> In der Corona-Krise müssen Politiker auch zu unbequemen Entscheidungen | |
> stehen. Alles andere wäre fatal. | |
Bild: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Dilek Kalayci, Berliner Senatori… | |
Im Horrorroman „The Stand“ von Stephen King rafft eine gefährliche | |
Virusmutation nahezu die gesamte US-Bevölkerung dahin. Das Militär versucht | |
mit gewaltsamen Mitteln das Virus einzudämmen und setzt auf einen | |
totalitären Staat. Am Ende überleben nur ein paar Tausend Menschen, die | |
sich gegenseitig nachstellen. Kings Buch ist in diesen Tagen wahrscheinlich | |
nicht die erbaulichste Lektüre, erst recht nicht für Quarantäne. Die | |
Horrorvision lotet das Ende der Angstskala aus und zeigt, wie eine | |
Zivilisation im Zeichen eines Virus kollabiert. | |
Die deutsche Realität im Zeichen von Corona ist natürlich eine ganz andere | |
und kein Horror. Die Apokalypse steht nicht bevor, die Republik setzt den | |
beruhigenden Gegenpol zu Kings Angstszenario. Allerdings ist dabei | |
fraglich, ob die Politiker*innen die Coronakrise wirklich ernst genug | |
nehmen. Es herrscht das gepflegte Sowohl-als-auch vor: Das Virus muss | |
eingedämmt werden, aber wir müssen auch besonnen bleiben, heißt es. | |
Schulschließungen werden jetzt häufig mit dem Argument abgelehnt, dass dann | |
die Eltern ihre Kinder betreuen müssten – und damit, so der Subtext, | |
[1][als Arbeitskräfte zum Erhalt des deutschen Wohlstands] ausfallen. In | |
Niedersachsen lobt der Kultusminister die Schulleitungen für ihre | |
Besonnenheit, in Berlin sagt der Regierende Bürgermeister tapfer, dass das | |
öffentliche Leben ja weitergehen müsse. Veranstalter von | |
Großveranstaltungen „ermuntert“ Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu | |
Absagen. Unverbindlicher geht es nicht. Immerhin haben NRW, Bremen und | |
Bayern die zarte Empfehlung aus Berlin jetzt umgesetzt. | |
Regierende Politiker*innen agieren [2][in der Coronakrise] so, wie sie es | |
auch in normalen Zeiten tun: Sie wollen es allen recht machen und keiner | |
großen Interessengruppe – den eigenen Wähler*innen, [3][der Wirtschaft] – | |
wehtun. Es überwiegt die kommode bundesdeutsche Konsenspolitik. Und wenn | |
das nicht klappt, wird Verantwortung hin und her geschoben, denn das klappt | |
praktischerweise gut im Föderalismus: Der Bund verweist auf die Länder | |
oder, wie der Kultusminister in Hannover, auf das „örtlich zuständige | |
Gesundheitsamt“; Länder und Kommunen zeigen mit dem Finger zurück. | |
Corona wird zeigen, ob die Politiker*innen Krise können. Dazu gehört, | |
[4][Verantwortung zu übernehmen] – etwas, was sie als Floskel gemeint | |
häufig sagen –, zu unbequemen Entscheidungen zu stehen und einer einzelnen | |
Interessengruppe auch mal auf die Füße zu treten. Damit macht man sich | |
zunächst nicht bei allen beliebt – aber Halbherzigkeit und Inkonsequenz | |
werden auf lange Sicht fataler sein. | |
10 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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