| # taz.de -- Humanitäre Situation in Syrien: Kälte, Hunger, Krieg | |
| > Hilfsorganisationen schlagen Alarm: In Idlib entfaltet sich eine | |
| > humanitäre Katastrophe. „So etwas haben wir noch nie erlebt“, sagt ein | |
| > Helfer. | |
| Bild: Ein junger Schafhirte treibt seine Herde an und wird von Flüchtlingen ü… | |
| Kairo taz | Die Handy-Videos, die dieser Tage aus der syrischen Provinz | |
| Idlib an die Außenwelt gelangen, gleichen sich in ihrer Dramatik: Lange | |
| Autokonvois, mit Menschen überladene Lkw und Traktoren, in deren Anhängern | |
| sich mehrere Familien vor der Kälte des Winters zusammenkauern. | |
| „So etwas haben wir noch nie erlebt, was das schiere Ausmaß und die | |
| Geschwindigkeit betrifft, mit der das alles passiert“, fasst Christian | |
| Reynders gegenüber der taz die Lage zusammen. Er koordiniert die Arbeit der | |
| Organisation Ärzte ohne Grenzen in Idlib. „Dahinter steckt wirklich eine | |
| große Portion Verzweiflung. Die humanitäre Situation wird mit jeder Minute | |
| schlimmer.“ | |
| Fast stoisch scheinen sich die Menschen in Idlib ihrem Schicksal zu | |
| ergeben. Nach UN-Angaben haben sich seit Anfang Dezember 520.000 Menschen | |
| auf den Weg gemacht. Allein letzte Woche seien es 200.000, sagt Reynders. | |
| Viele dieser Menschen mussten nicht das erste Mal ihr Zuhause verlassen, | |
| sondern sind innerhalb Syriens bereits das zweite oder dritte Mal auf der | |
| Flucht. | |
| Die meisten versuchen, aus den südlichen Teilen Idlibs zu entkommen, die | |
| seit Wochen von der syrischen und russischen Luftwaffe bombardiert werden. | |
| Die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, der zur letzten | |
| Entscheidungsschlacht aufgerufen hat, [1][rücken dort weiter gegen die | |
| letzte Rebellenhochburg des Landes vor]. | |
| Der ohnehin schon mit Flüchtlingen überforderte Norden der Provinz ist nun | |
| der letzte Ort in ganz Syrien, in den die Regimegegner und deren Familien | |
| fliehen können. Hinter ihnen kommen die Assad-Truppen, vor ihnen liegt die | |
| geschlossene türkische Grenze. | |
| „Sie nehmen alle fahrbaren Untersätze, um aus der Kampfzone zu fliehen. Die | |
| Mehrheit sind Frauen und Kinder. Es sind nur wenige Männer dabei“, sagt | |
| Reynders. Und es sei nicht nur die schiere Anzahl der Menschen, die den | |
| Hilfsorganisationen zu schaffen macht, sondern auch ihre Verwundbarkeit. | |
| „Wir haben Berichte aus den medizinischen Einrichtungen, mit denen wir | |
| zusammenarbeiten, dass schwangere Frauen dort hinkommen, vor dem | |
| Geburtstermin, präventiv, einfach nur um Schutz zu suchen.“ | |
| ## Übernachten im Schlamm | |
| „Die Leute schlafen im Freien, denn die Flüchtlingslager im Norden sind | |
| vollkommen überfüllt, es mangelt an allem. Schon vor dieser letzten | |
| Flüchtlingswelle lebten in diesen Lagern im Norden hunderttausende“, | |
| schildert Reynders. | |
| Dann zieht er einen Vergleich: Man stelle sich vor, man fliehe durch sein | |
| eigenes Land in Europa. „Du bist auf der Flucht, übernachtest irgendwo in | |
| einem Gebirge, zwischen den Felsen oder im Schlamm oder neben einer großen | |
| Müllhalde. Es ist kalt. Und du hast alles verloren, dein Haus, deinen | |
| Unterschlupf, du hast nicht einmal einen Platz zum Kochen. Was würdest du | |
| machen?“, fragt Reynders. | |
| In der Türkei werden gegenwärtig verschiedene Optionen abgewogen. Eine | |
| Öffnung der Grenze wäre innenpolitisch problematisch in einem Land, das | |
| bereits drei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat. Hält die | |
| Türkei die Grenze aber geschlossen, riskiert sie eine humanitäre | |
| Katastrophe. | |
| Alle bisherigen diplomatischen Versuche, auch über Russland, diese | |
| Offensive in Syrien zu stoppen, sind bisher gescheitert. Der | |
| UN-Sicherheitsrat wird voraussichtlich noch am Donnerstag über die Lage in | |
| Idlib beraten. | |
| Im Moment sei es pure Verzweiflung, die die Menschen in Idlib Richtung | |
| Norden treibe, meint Reynders. Ihre einzige Hoffnung sei, sich in | |
| Sicherheit bringen zu können – irgendwo, wo nicht „jeden Tag Bomben vom | |
| Himmel fallen und unweit von dir entfernt Artilleriegeschosse einschlagen“, | |
| sagt er, „weg von diesem furchtbaren Ort, an dem du nicht weißt, ob du | |
| diesen Tag überleben wirst.“ | |
| 6 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karim el-Gawhary | |
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