| # taz.de -- Prozess um Diebstahl im Bode-Museum: Schweigen ist Gold | |
| > Eine Goldmünze, groß wie ein Wagenrad. Vier Angeklagte, schweigend. | |
| > Indizien, aber keine Zeugen. Vor dem Urteil im Berliner | |
| > Goldmünzen-Prozess. | |
| Bild: 100 Kilo schwer, 3,75 Millionen Euro wert: die Goldmünze, als sie noch i… | |
| Berlin taz | Allein in ihrem Gang weisen alle drei Angeklagten | |
| Besonderheiten auf: Die Hüften von Wayci R. (25) schaukeln, die Knie seines | |
| Bruders Ahmed (22) schlackern und der o-beinige Cousin Wissam (23) knickt | |
| beim Laufen seinen linken Fuß nach innen ab. | |
| Aber lassen sich die drei so hinreichend [1][als Täter identifizieren]? | |
| Bio-Informatiker von der Hochschule Mittweida haben es zumindest versucht. | |
| Deren Methode der digitalen Ganganalyse ist so neu, dass sie noch nicht | |
| zertifiziert ist. Dennoch werteten sie die Überwachungsvideos der Kameras | |
| am Museum und im Berliner S-Bahnhof Hackescher Markt aus. Zuvor hatten sie | |
| die Körperproportionen der Verdächtigen vermessen und aus diesen Angaben | |
| dreidimensionale virtuelle Figuren erschaffen. Diese stellten sie in den | |
| ebenfalls virtuellen Nachbau des gefilmten Raumes. | |
| Anschließend legten sie die dreidimensionalen Bilder über die | |
| zweidimensionalen, um herauszufinden, ob diese sich in verhältnismäßige | |
| Deckungsgleichheit bringen lassen. Dabei konnten sie zwar nicht sagen, mit | |
| welch hoher Wahrscheinlichkeit es sich bei den gefilmten Personen um die | |
| drei Angeklagten handelt. Doch sie fanden Anhaltspunkte für deren | |
| Täterschaft. | |
| Viel Aufwand also in einem Indizienprozess. An diesem Donnerstag soll das | |
| Verfahren mit den Urteilen zu Ende gehen. Doch der schwere Diebstahl in der | |
| Nacht zum 27. März 2017 war so ungewöhnlich und lohnend, dass er dieses | |
| Vorgehen rechtfertigt. In dieser Nacht verschwand zwischen 3.20 und 3.50 | |
| Uhr aus dem Berliner Bode-Museum eine [2][Goldmünze der Superlative]: Die | |
| „Big Maple Leaf“ existierte in limitierter Auflage von weltweit fünf | |
| Exemplaren. | |
| Sie hatte ein Gewicht von 100 Kilogramm und einen Durchmesser von 53 | |
| Zentimetern – was in etwa einem Autoreifen entspricht. Sie bestand aus | |
| 99,999-prozentigem Gold, sogenanntem 5-Neuner-Gold. Und sie war 3,75 | |
| Millionen Euro wert. | |
| Die Münze ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich ist sie längst | |
| zerteilt, eingeschmolzen und verkauft worden. | |
| ## Die Verteidigung spricht von „Schein-Indizien“ | |
| Die vier Angeklagten – drei miteinander Verwandte und ein 20-jähriger | |
| Freund – haben seit Beginn des Verfahrens vor der Jugendstrafkammer des | |
| Berliner Landgerichts geschwiegen, also seit 13 Monaten. Wissam R. sagte in | |
| einem kurzen Schlusswort lediglich, er habe „die Münze nicht geklaut“. Die | |
| Verteidiger sprachen von „Schein-Indizien“, die die Staatsanwaltschaft | |
| gesammelt habe, und verlangten Freisprüche für ihre Mandanten. Das sah der | |
| Ankläger anders: Er forderte für zwei der Männer sieben Jahre Haft. Die | |
| beiden anderen sollen für sechs und fünf Jahre hinter Gitter kommen. Die | |
| Rede war von Clan-Kriminalität und einem professionellen Vorgehen. | |
| In der Tat war es ein genialer Coup: Die überdimensionale Goldmünze hatte | |
| im Berliner Bode-Museum in einer Vitrine aus Panzerglas geschlummert. Die | |
| Diebe zerstörten diese mit einer Axt – just in dem Moment, als sich der | |
| Wächter auf seinem Kontrollgang befand. Sie hoben den Goldbatzen auf ein | |
| Rollbrett, schleiften ihn rasch und zielsicher durchs Museum bis zu einem | |
| Umkleideraum. | |
| Dort wuchteten sie ihn aus dem Fenster im zweiten Geschoss und warfen ihn | |
| auf die Bahntrasse der Stadtbahn. Über eine Leiter kletterten die Diebe | |
| hinterher. Mit einer bereitstehenden Schubkarre bugsierten sie ihren Schatz | |
| zu einem Geländer und warfen ihn in den darunter befindlichen Monbijoupark. | |
| Sie selbst seilten sich ab und flüchteten in einem Auto. | |
| Niemand hatte sie gesehen, niemand war verletzt worden. Nur eine | |
| Sicherheitsscheibe und eine Vitrine gingen zu Bruch. Die Beute war weniger | |
| von kunsthistorischem Wert als vielmehr ein Prestige-Produkt der Royal | |
| Canadian Mint. Eine Straftat so ganz in der Tradition des Hauptmanns von | |
| Köpenick und des Kaufhauserpressers Dagobert. | |
| ## Die Ermittlungen der Polizei | |
| Mehr als ein Jahr lang hatte die Polizei ermittelt. Fest steht: Die Diebe | |
| müssen über Insider-Informationen verfügt haben. Sie müssen gewusst haben, | |
| dass die Alarmsicherung des Fensters in der Umkleide seit Jahren Probleme | |
| bereitete und deshalb abgeschaltet war. Sie waren darüber informiert, dass | |
| der Nachtwächter während seiner Streife den Alarm im gesamten Museum | |
| unscharf stellt und nicht nur den Bereich, den er gerade kontrolliert. Und | |
| sie konnten sich in dem unübersichtlichen Museum erstaunlich gut | |
| orientieren. | |
| Hatten sie vielleicht mit dem Wächter zusammengearbeitet? | |
| Der hatte die Polizei zunächst belogen, als er der Polizei den Ablauf | |
| seines Kontrollgangs schilderte. Das war verdächtig. Sein Haus und Auto | |
| wurden durchsucht, seine Finanzen überprüft – ohne Ergebnis. Vielmehr | |
| stellte sich heraus, dass der Wächter in jener Nacht seine Runde zum ersten | |
| Mal alleine bewältigt hatte. Zur Sicherheit hatte er sogar einen Lageplan | |
| mitgenommen. Bei seiner Lüge leitete ihn wohl vor allem die Angst, etwas | |
| falsch gemacht zu haben. | |
| Bald darauf rückte Denis W. in den Fokus der Ermittler. Der Deutschtürke | |
| arbeitete seit Anfang März 2017 als Aufsicht in der Ausstellung. Die | |
| Kollegen redeten viel miteinander, vielleicht auch über die Schwachstellen | |
| im Sicherungskonzept des Museums? Drei Wochen vor der Tat war er dabei | |
| erwischt worden, wie er an sein Auto gestohlene Kennzeichen schraubte, | |
| danach tankte und nicht bezahlte. Die Polizeibeamten, die ihn anschließend | |
| stellten, fanden in seinem Auto neben Einbruchswerkzeug auch einen Lageplan | |
| des Bode-Museums. Darauf war irgendetwas notiert worden. Was genau, daran | |
| konnten sich die Beamten nicht mehr erinnern. | |
| Mitte April 2017 steckten schließlich V-Leute der Polizei, dass die Diebe | |
| aus der Familie R. stammten, einer arabischen, über 500 Angehörige | |
| zählenden Großfamilie. Die Justizbehörden bringen den kriminellen Teil der | |
| Familie mit Einbrüchen, Überfällen, schwerer Körperverletzung und Mord in | |
| Verbindung. | |
| ## Die Spuren der mutmaßlichen Täter | |
| Nun hieß es, Angehörige dieser Familie seien offenbar vor Kurzem zu Geld | |
| gekommen: Wayci und Cousin Wissam hätten verschiedenen Händlern Gold | |
| angeboten. Tatsächlich ergaben die Ermittlungen, dass sich DNA-Spuren von | |
| Wissam und einem weiteren Familienmitglied an einem Keil befanden, mit dem | |
| im Museum eine von vier Türen für den Rückweg aufgesperrt worden war, | |
| ebenso an dem Seil, mit dem die Täter zum Fluchtauto gelangt waren. Und es | |
| stellte sich heraus, dass der im Museum beschäftigte Denis W. ein | |
| Schulfreund von Ahmed, dem jüngeren Bruder von Wayci R., ist. | |
| Die Verdächtigen aus der Familie R. wurden daraufhin abgehört – ohne | |
| greifbares Ergebnis. Ergiebiger waren die mitgehörten Telefonate von Denis | |
| W., der sich mit dem Ankauf von einem Auto und diversen Immobilien | |
| beschäftigte, obwohl er in einer Familie lebte, die Sozialleistungen bezog. | |
| Im Juli 2017 erfolgte die Durchsuchung von 33 Wohnungen und Autos der | |
| Verdächtigen. Bei Familie R. fanden die Beamten 150.000 Euro Bargeld, fünf | |
| scharfe Waffen und im Gewürzschrank einen Zettel mit den Fingerabdrücken | |
| von Ahmed R. Darauf hatte er vierstellige Grammzahlen notiert, die in der | |
| Summe etwa 60 Kilogramm ergaben. Daneben standen hohe Europreise. War das | |
| der Plan, wie der Anteil der R.s aufgeteilt werden sollte? | |
| Auf Wissams Handy fanden sich Recherchen über die Ermittlungen zum | |
| Münzdiebstahl, zum Zerteilen und Einschmelzen von Gold, Screenshots mit | |
| Goldpreisberechnungen sowie eine App „Goldpreis aktuell“. | |
| Im Handy von Denis W. befanden sich Bilder aus dem Museum: Vier davon waren | |
| für die Ermittler besonders interessant, weil der Verdächtige dort an | |
| Stellen fotografiert hatte, die für den Fluchtweg von Bedeutung gewesen | |
| sein könnten. | |
| Der mittlerweile gekündigte Denis W. sowie Ahmed und sein Cousin Wissam R. | |
| kamen für einige Zeit in Untersuchungshaft, dann wurden sie von der | |
| weiteren Haft verschont. | |
| Bei den Ermittlungen betrieb die Staatsanwaltschaft einen ungewöhnlich | |
| hohen Aufwand. Natürlich hatten die Täter bei ihrem Coup die | |
| Überwachungskameras am Museum und auf dem S-Bahnhof Hackescher Markt | |
| bedacht und sich sorgfältig vermummt. Die Leiter, die Axt, das Rollbrett | |
| und die Schubkarre hatten sie neu – und ohne DNA-Spuren – gekauft. | |
| Sie wussten auch, dass man die Goldmünze vor dem Verkauf zerteilen muss. | |
| Doch im Umgang mit hochreinem Gold waren sie unerfahren. Sie ahnten nicht, | |
| dass man verräterisch reine Goldspäne auf Kleidung, Schuhen und im | |
| Transportfahrzeug zurückbehält, wenn man eine solche Münze mit einem | |
| Trennschleifer zerteilt. Andernfalls hätten die Verdächtigen wohl ihre | |
| Kleidungsstücke und ihr Auto verbrannt. | |
| So aber gerieten diese Indizien bei den Hausdurchsuchungen in die Hände der | |
| Ermittler. | |
| Ein Chemiker extrahierte und analysierte die Goldpartikel. Im Prozess sagte | |
| er: „Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identisch mit | |
| dem Gold der Münze.“ | |
| Auch eine Textilingenieurin wurde fündig. Als sie die Kleidung der | |
| Beschuldigten auf individuelle Merkmale untersuchte, fiel ihr bei einer von | |
| Wissam R. getragenen schwarzen Steppjacke ein helleres Futter auf, das | |
| unter dem Saum ein wenig hervorlugte – genau wie bei der Jacke, die einer | |
| der vermummten Diebe auf den Überwachungsbildern trug. | |
| Bei der Staatsanwaltschaft meldete sich sogar eine Belastungszeugin: Die | |
| frühere Freundin von Ahmed R. bekundete vor einem Ermittlungsrichter, dass | |
| der Angeklagte bei ihr Werkzeuge und Taschen versteckt hatte. Er habe sich | |
| teure Uhren gekauft und ihr viele Geschenke gemacht. Es sei schön, ein | |
| Millionär zu sein, habe er geäußert und immer wieder mit der Tat geprahlt. | |
| Für die Ermittler hätte er nur Verachtung gezeigt: „Die sind so dumm!“ | |
| Doch vor Gericht zog die junge Frau ihre Aussage zurück und behauptete, sie | |
| hätte sich für Beleidigungen und Schläge rächen wollen. | |
| Das können die Richter glauben, sie müssen es aber nicht. | |
| 19 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uta Eisenhardt | |
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