# taz.de -- Neues Boulevardtheater in Woltmershausen: Überraschung! | |
> Die Entscheidung, eine Dependance des Weyher Theaters im geplanten Bremer | |
> Tabakquartier zu eröffnen, hat Bremens Kulturszene irritiert. | |
Bild: Witzischkeit kennt kein Pardon: Das Weyher Theater hat sich auf den Boule… | |
BREMEN taz | Er blieb aus, der Orkan der Begeisterung, als das | |
Immobilienunternehmen Justus Grosse verkündete, das Weyher Theater werde | |
eine Dependance im zu entwickelnden Tabakquartier in Woltmershausen | |
eröffnen. Ein 385-Plätze-Theater will der Investor schlüsselfertig | |
übergeben, die geschätzten neun Millionen Euro für den Umbau der Lagerhalle | |
auf dem Areal der einstigen Zigarettenfabrik also selbst tragen. „Wir | |
unterschreiben einen langjährigen Mietvertrag“, bestätigt der | |
Weyher-Intendant Kay Kruppa. | |
Da der Bauherr und Bremens Kultursenator bereits im Dezember den Bau eines | |
400-Plätze-Theaters für die freie Szene im Tabakquartier verkündet hatten, | |
ging allerdings ein Rauschen der Irritation durch die kulturinteressierte | |
Szene Bremens. Kann es sein, dass ein vornehmlich kommerziell orientiertes | |
Boulevardtheater das Forum für die eher nach künstlerischen Kriterien | |
arbeitenden Theatermacher der Stadt ersetzt? „Nein, das hat nichts | |
miteinander zu tun, es wird ein Zentrum der freien Künste entstehen und | |
voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2021 eröffnen“, beruhigt | |
Kulturbehördensprecherin Alexandra Albrecht. | |
Mit der Finanzierung sehe es dank Sponsorenzusagen sehr gut aus. Tobias | |
Pflug, Leiter des Theaters Schlachthof und Vorstandsmitglied des | |
Landesverbandes für darstellende Künste in Bremen, hat in der | |
kulturbehördlichen „Denkzelle Infrastruktur“ mitgegrübelt und bestätigt: | |
„Das Boulevardtheater nimmt uns weder Raum noch Geld. Kulturstaatsrätin | |
Carmen Emigholz hat uns gegenüber alle Sorgen entkräftet.“ | |
Allerdings: „Ein eigenes Theater wird es im Zentrum der freien Künste nicht | |
geben“, das stellt Joachim Linnemann, geschäftsführender Gesellschafter bei | |
Justus Grosse, klar. Vielleicht könne aber die neue Probebühne der Bremer | |
Philharmoniker, die diese 2024 direkt neben dem Boulevardtheater beziehen | |
sollen, auch für Theater genutzt werden. | |
## Alleine entschieden | |
Weil die Weyher die Halle 1 nutzen werden, zögen die Bremer Künstler nun in | |
den denkmalgeschützt historischen Fabrikbereich auf 4.000 Quadratmeter | |
gleich gegenüber ein, erklärt Linnemann: „Im Gegensatz zur riesigen Halle | |
ist das auch der bessere, da kleinteiliger zu gestaltende Ort, die Künstler | |
haben ja den Bedarf an vielen Räumen angemeldet.“ Eine Eröffnung könne er | |
sich 2023 vorstellen. Sein Unternehmen werde wie für die Weyher auch für | |
die Bremer Künstler die Immobile umbauen, dann an die Kulturbehörde | |
vermieten, die an die Nutzer weitervermiete. | |
Warum das bisher nicht kommuniziert wurde? Weil die Entscheidung fürs | |
Weyher Theater ein Alleingang war und Bremens Kulturpolitiker völlig | |
überrascht hat. Auch den Weyher-Intendanten Kruppa: „Wir hatten das | |
Tabakquartier zum Expandieren nicht auf dem Plan. | |
Justus-Grosse-Geschäftsführer Clemens Paul ist Fan von uns, hat uns | |
angesprochen, dann ging alles ganz schnell.“ | |
Begeistert darüber zeigte sich vor allem Kultursenator Andreas | |
Bovenschulte, „grandios“ sei all das, „ein guter Beitrag zum kulturellen | |
Leben in Bremen“. Obwohl er als ehemaliger Bürgermeister Weyhes wissen | |
sollte, dass die dortige Bühne für ein handwerklich solides, aber biederes | |
bis derbes Lachanimationstheater steht. Den Eindruck, künstlerisch | |
geistvoll das kulturelle Leben bereichern zu wollen, vermittelt sie nicht. | |
Wenig angetan ist daher Theater-Bremen-Intendant Michael Börgerding: „Das | |
Bremer Boulevardtheater hat jedenfalls nichts mit der lokalen Freien Szene | |
zu tun. Es wird vermutlich sein Publikum finden. Uns wird es nicht wehtun, | |
aber das Theaterschiff, das Packhaustheater, das Fritz, das Metropol | |
Theater oder das GOP werden das anders sehen.“ | |
Knut Schakinnis hat zumindest keine Angst. Er verantwortet die | |
nostalgischen Schlagertheaterabende auf dem Theaterschiff und bedient im | |
Packhaustheater mit Stücken wie „Triebe Tratsch & Trockenhaube – jetzt wird | |
zurückgeföhnt“ ein ähnliches Schwankniveau wie die Weyher-Kollegen, bei | |
denen Stücke „Ab heute bin ich Jungfrau“ und „Männer allein zu Haus“ | |
betitelt sind. „Aber Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt Schakinnis, „… | |
habe das Waldau-Theater überlebt, auch das neu eröffnete Fritz und GOP und | |
werde auch das Boulevardtheater überleben. Unser Publikum mag in Teilen das | |
gleiche sein, aber ich schätze, dass es genau so häufig wie bisher zu uns | |
kommt und zusätzlich Angebote in Woltmershausen nutzen wird.“ | |
## Das Vorsprechen läuft | |
Kruppa ist sehr optimistisch. Am Weyher Marktplatz ist sein Haus seit 20 | |
Jahren ein Publikumsmagnet. „Wenn man bedenkt, dass wir dort jährlich | |
80.000 Besucher haben, in Weyhe aber nur 32.000 Menschen wohnen, ist | |
schnell auszurechnen, wie viel Publikum wir in Bremen erreichen können. Der | |
Hansestadt fehlt ein Haus für den klassischen Boulevardbereich.“ In | |
Großstädten wie Dresden existierten auskömmlich sogar mehrere Häuser. | |
Erste Bremer Premiere ist für September 2021 geplant. Was? Das verrät | |
Kruppa nicht. Er ist Regisseur, Schauspieler, Sänger und Autor. Wie im | |
Stammhaus will er mit dem Kollegen Frank Pinkus eigene Stücke schreiben, | |
etwa eines über Pusdorf, hat aber vor allem Klassiker von Ray Cooney, Neil | |
Simon, Ken Ludwig im Fokus. Derzeit läuft das Vorsprechen für das Bremer | |
Ensemble. 15 Schauspieler sollen engagiert werden. 20 sind es derzeit in | |
Weyhe – und die sollen dort bleiben. Auch an einen Austausch von Stücken | |
sei nicht gedacht, so Kruppa. | |
Und was erhofft sich die freie Bremer Szene für ihren zentralen | |
Anlaufpunkt? „Der Raumbedarf von Künstlern ist spartenübergreifend immens�… | |
so Tobias Pflug. Entstehen müssten Übungs- und Aufnahmeräume für Musiker, | |
Ateliers für bildende Künstler und Probensäle für Theaterleute. | |
## Lebendigkeit im Sinne der Vermarktung | |
Es sollte keinen künstlerischen Leiter geben, der Ästhetiken präferiert | |
oder ausschließt. Mit Verwaltungskräften, Koordinatoren und einem | |
„Vergabebeirat“, so Emigholz im Dezember, könnte ein Haus entstehen, das | |
ganz unterschiedlichen Akteuren offen steht. Um die Arbeit zu erleichtern, | |
so Pflugs Vision, sollen sich auch freie Werkstätten ansiedeln; ein | |
Maschinenpark für Veranstaltungstechnik und ein offener Kostümfundus müsste | |
aufgebaut werden. | |
Dass Gewinnmaximierung bei der Ansiedlung freier Kunst und boulevardesker | |
Unterhaltung beim Quartiersentwickler keine Rolle spielt, habe auch | |
nachvollziehbar pragmatische Gründe, meint Pflug. Um möglichst hohe Miet- | |
und Kaufpreise mit Immobilien erzielen zu können, darf das Tabakquartier | |
kein seelenloses Viertel sein, sondern muss mit urbaner Lebendigkeit | |
prunken. Linnemann peilt den Bau von etwa 1.500 Wohnungen an. Neben Büro- | |
und Gewerbeflächen sind ein Hotel, Restaurants, Party- und | |
Sportmöglichkeiten sowie eine Kita eingeplant. | |
18 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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