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# taz.de -- Aus dem Nachlass von Gil Scott-Heron: Arrangements für den Himmel
> Gil Scott-Heron war Pionier der Spoken Words. Auf „We’re New Again“
> collagiert Jazzer Makaya McCraven nun Material des verstorbenen
> Künstlers.
Bild: Pionier der Spoken Words: Gil Scott-Heron (1949-2011)
In einem seiner letzten Interviews sprach Gil Scott-Heron über seine frühe
Jugend in Tennessee und über die Schwarze Community. „Wir mussten
zusammenstehen, sonst hätten sie uns gebrochen. Daran musste einen immer
wieder jemand erinnern.“ Gil Scott-Heron erzählt da von Erfahrungen im
Grundschulalter, er sollte die Südstaaten schon bald Richtung New York
verlassen, weil er es nicht mehr aushielt. Aber diese Stimme, die immer
wieder daran erinnert, dass man zusammenstehen muss, die ist er dann
gewissermaßen selbst geworden.
[1][Scott-Heron] hat in der Musik zu dieser Stimme gefunden. Wenn man diese
Stimme wieder hört, auf den beiden nun erscheinenden Alben „We’re New
Again“ und „I’m New Here“, so kann es schon mal wehtun. Denn die Werke
erscheinen zu seinem zehnten Todestag neubearbeitet wieder. Sie sind so
schön wie verstörend. Da wurde viel mit seiner eindringlichen Stimme
gemischt, Scott-Heron spricht einfach, über sein „gebrochenes Heim“, über
den „dunklen Himmel“, dann kommt ein knackiges, präzises Schlagzeug dazu.
Kurz darauf ein Piano, sein Instrument, weich und fließend. Tröstlich. Und
trügerisch.
Dieser Musiker und Dichter ist schwer zu greifen. Wenn es nicht ein blödes
Klischee wäre, würde man sagen, er „passte in kein Schublade“. Er machte
viel Spoken Word, weil er viel zu sagen hatte. Sein großer Hit, sein erster
Erfolg, ist eigentlich ein Beat-Gedicht, es heißt „The Revolution Will Not
Be Televised“ (1971) und klingt heute wie ein Pamphlet, vollgestopft mit
Inhalt, politischer Pop.
Der Song hat nichts an Kraft verloren. Der Beat ist funky, und, ja, in der
Band-Version hört man Querflöten. Und dennoch klingen hier doch ziemlich
klar die Wurzeln von Public Enemy heraus, deren 1988er Album „It Takes a
Nation of Millions to Hold Us Back“ davon inspiriert zu sein scheint. Das
muss wohl an der Kraft liegen, die hier aus jedem Wort springt.
## Rhythmischer Sprechgesang, ungezähmt
Spoken Word ist ein Stil, der in der Zeit nach Scott-Heron ein wenig zahm
geworden ist. Sprechgesang wurde rhythmischer und bald nur noch [2][HipHop]
und Rap genannt. Scott-Heron wurde nicht nur „the man who invented rap“
genannt, sondern auch „der schwarze Bob Dylan“. Aber ein Weltstar wurde er
nie. In den Achtzigern verschwand er von der Bildfläche. Sein lässiges
Fender-Rhodes-E-Piano hätte sicher auch noch in die MTV-Jahre gepasst;
immerhin ist seine Musik eine, zu der man nicht still sitzen kann. Aber
eben auch voll mit Message.
Oft kam er zur richtigen Zeit, aber für den Mainstream war es noch die
falsche. Sein Südafrika-Song „Johannesburg“ (1975) erschien 10 Jahre vor
dem simplen Pophit „Free Nelson Mandela“. Scott-Heron war von der
Geschichte überholt worden. Drogen und Alkohol fraßen in den Achtzigern an
ihm. Seine Kokainsucht brachte ihn mehrmals ins Gefängnis. Fast 15 Jahre
lang veröffentlichte er gar nichts.
Wenn nun der Chicagoer Jazzmusiker [3][Makaya McCraven] das Spätwerk
Scott-Herons wiederentdeckt, passt vieles zusammen. „I’m New Here“ erschi…
2010, kurz vor dem Tod des Poeten, und die Neuausgabe ist nicht einfach nur
remastered. McCraven hat eher eine Collage aus dem ursprünglichen Material
geschaffen. Er nimmt Aufnahmen, die das Original nicht enthielt, und ordnet
alles neu zu einer großen biografischen Hommage.
In seiner zweiten Scott-Heron-Bearbeitung, dem Album „We’re New Here“,
nimmt er Stücke gar ganz neu auf, in seinem Studio in Chicago, bastelt mit
Samples, den alten Liveaufnahmen und neuen Spuren, der Stimme des Meisters,
und öffnet eine Schatzkiste des Groove und der Energie. McCraven ist
Schlagzeuger und Produzent, der 36-Jährige ist genau wie Kamasi Washington
eine dieser Figuren, die den Jazz in den USA gerade wirklich wieder zu ein
wenig Leben erwecken. Kein Wunder, dass so einer Gil Scott-Heron verehrt.
## Great Black Music
Die US-Ausgabe des Rolling Stone schrieb über McCraven: „Hier kommen
fortgeschrittene Improvisationen mit Rhythmen zusammen, die einfach zum
Tanzen da sind.“ Funk, Reggae, Afrobeat – das alles findet zusammen zur
wahren schwarzen Musik. Und ihr Übervater heißt, natürlich, Gil
Scott-Heron.
Auf dem neuen Album-Kunstwerk erzählt der mal die Geschichte von Heinrich
IV., mit Anspielungen auf Heroin und HIV, dazu gibt es nur nervöses
Rauschen von den Becken. Und dann reiht er auch mal stur Akkorde
aneinander, improvisiert dazu nur weichen Scat, und der Beat ist beinahe
schon Drum ’n’ Bass.
Alles sind nur kurze Miniaturen, in dieser Musik kann man sich nie
ausruhen, nie lange genießen – wer diese Alben hört, wird selbst zu dem
rastlosen Geist, der Scott-Heron war. Ein Track, der „Blessed Parents“
heißt, gesegnete Eltern, mündet in ein Gewitter an Free Jazz. Hier gibt es
keine Sicherheiten und keine Heimat. Aber es gibt ganz wunderbare,
eingängige Musik. Scott-Heron lacht in alten Videos viel, und dass er Humor
hatte, hört man noch seinem dunkelsten Song an.
Tracks wie „New York Is Killing Me“, mit viel Text und elegantem Rhythmus,
vergisst man einfach nicht. Dieser Sound stößt seine Hörerinnen weg und
umarmt sie dann wieder innig. Hoffentlich setzt sich die Musik bald für
Partys durch. Sie ist subversiv, aber nicht aufdringlich. Sie ist
verspielt, aber macht sich nie dumm. Genau das Richtige für Hier und Jetzt.
11 Feb 2020
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Gil-Scott-Heron/!5119710
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[3] /US-Gitarrist-Jeff-Parker/!5658560
## AUTOREN
Thomas Lindemann
## TAGS
Spoken Word
Jazz
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