# taz.de -- Schweden nimmt AKW Ringhals vom Netz: Abschied auf Raten | |
> Da waren's nur noch sieben: Schweden verabschiedet sich von der Atomkraft | |
> – wenn auch langsam. Dabei produziert das Land schon mehr Strom als | |
> nötig. | |
Bild: Aus nach mehr als 40 Jahren im Betrieb: Ringhals 2 ist seit Wochenbeginn … | |
STOCKHOLM taz | Das neue Jahr beginne „fantastisch gut“, sagt Isadora | |
Wronski von Greenpeace. „Nun wird Schweden ein wenig sicherer.“ | |
Am 30. Dezember wurde Reaktor 2 des AKW's Ringhals endgültig vom Netz | |
genommen. Ein Veteran mit 45 Betriebsjahren. Und für Dezember 2020 ist die | |
Stillegung des ein Jahr jüngeren Reaktors 1 fest vereinbart. Von Schwedens | |
ehemals 12 Atomreaktoren werden dann noch sechs in Betrieb sein. Halbzeit | |
also. | |
Wie schlecht es um die Sicherheit gerade auch in Ringhals bestellt war, | |
hatte Wronski, die jetzt das Greenpeace-Projekt „Shifting the Trillions“ | |
koordiniert, persönlich bewiesen, als sie im Oktober 2012 zusammen mit | |
sieben anderen AktivistInnen diesem AKW einen „Stresstest“ unterzog. | |
Ungehindert konnten die GreenpeacelerInnen auf das Betriebsgelände | |
eindringen. Einige kletterten unbemerkt auf das Dach des Reaktors | |
Ringhals-1. Sie übernachteten dort und wurden nach 28 Stunden erst | |
entdeckt, nachdem sie sich selbst gemeldet hatten. „Ich glaube, unsere | |
Aktion war ein Nagel im Sarg der schwedischen Atomkraft“, sagt Wronski. | |
## Ringhals nicht mehr wirtschaftlich | |
Außer in Kraftwärmewerken wird in Schweden so gut wie kein Fossilstrom mehr | |
produziert. Seine Energiewende hat das Land recht pragmatisch konzipiert. | |
Für die Atomreaktoren gibt es kein politisch vorgegebenes Abschaltdatum. | |
Solange sie die Sicherheitsvorschriften einhalten und für die Betreiber | |
wirtschaftlich sind, können sie am Netz bleiben. | |
Für Ringhals-1 und -2 bedeutete das ein schon 2015 vom Betreiber Vattenfall | |
beschlossenes Aus. Die Kosten für eine Beseitigung der akutesten | |
Sicherheitsmängel und die Nachrüstung mit einem von der EU gefordertem | |
neuen Notkühlsystem schätzte der Staatskonzern als zu aufwändig und | |
unökonomisch ein. | |
## „Pannen-AKW“ | |
Gerade Ringhals, dessen Erdbebensicherheit von Anfang an in Frage stand, | |
ist als „Pannen-AKW“ bekannt. Nach 60 Störfällen innerhalb weniger Monate | |
im Jahre 2009 und langjährigen Sicherheitsverstößen wurde es sogar der an | |
und für sich eher atomkraftfreundlichen staatlichen | |
Strahlenaufsichtsbehörde zu bunt. Sie stellte das AKW unter „besondere | |
Aufsicht“. Viel half das nicht. 2011 vergaß das Personal einen Staubsauger, | |
der in einem abgestelltem Reaktor einen Brand auslöste: Die Sanierung | |
dauerte fast ein Jahr und verursachte Kosten von über 250 Millionen Euro. | |
Dabei hatten die Ringhals-Reaktoren von Beginn an Probleme mit dem | |
Kühlsystem. Vor Jahren waren bei Ringhals-2 schwere Korrosionsschäden im | |
meterdicken Fundament entdeckt worden, deren Ursachen vermutlich schon beim | |
Bau gelegt wurden. Medien zitierten aus internen Berichten, in denen | |
„unzureichende Sicherheitsmarginalen gegen Lecks“ bemängelt wurden. | |
Stündlich verschwinde literweise Wasser im Boden des Sicherheitsbehälters, | |
wo eigentlich ein „Null-Verlust“ herrschen soll. Der Reaktor wurde zu | |
Reparaturversuchen für mehr als zwei Jahre abgeschaltet. Seit 2016 darf er | |
lediglich mit einer Ausnahmegenehmigung, in den letzten Betriebsmonaten nur | |
mit vermindertem Effekt laufen. | |
Trotz der klaren Ansage des Betreibers Vattenfall, ein Weiterbetrieb sei | |
aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar, gibt es auf politischer | |
Ebene Versuche, die Reaktorstilllegung zu stoppen oder rückgängig zu | |
machen. Erst kamen solche Forderungen nur von Seiten der | |
rechtspopulistischen Schwedendemokraten, [1][doch in den letzten Monaten | |
schlossen sich ihr auch Konservative und Liberale an]. Ende Januar wird es | |
zum Thema eine Abstimmung im Reichstag geben. Eine Mehrheit für eine | |
Resolution zum Aufschieben der Stilllegung gilt aber als unwahrscheinlich | |
und wäre für den AKW-Betreiber auch nicht verpflichtend. | |
## Schweden produziert Stromüberschüsse | |
Atomstrom stand in den letzten Jahren für etwa 40 Prozent der schwedischen | |
Stromproduktion. Nach Schließung der Ringhals-Reaktoren dürfte Atomstrom | |
bis Ende des Jahres noch rund ein Drittel ausmachen. Der Anteil von | |
Windkraftstrom hat sich 2019 um 17 Prozent erhöht und steht nun für 12 | |
Prozent der Produktion. Tendenz weiter kräftig steigend. | |
[2][Zudem liefern Schwedens Kraftwerke ständig hohe | |
Strom-Exportüberschüsse.] 2019 betrug der Netto-Exportüberschuss nach der | |
gerade veröffentlichten Jahresschlussbilanz 25,8 Twh, vergleichsweise etwa | |
der Produktion von drei Atomreaktoren. Das sind rund 16 Prozent der | |
jährlichen Stromgesamtproduktion, womit Schweden in der EU eine | |
Spitzenposition einnimmt. | |
## Atommüllproblem bleibt auch in Schweden ungelöst | |
Das offizielle Argument der Atomkraftbefürworter: Schweden werde in Zukunft | |
mehr Elektriziät brauchen, die Erneuerbaren seien dafür nicht ausreichend. | |
Tatsächlich dürfte vor allem innenpolitische Taktik hinter der plötzlich | |
wiederentdecken Atomkraftliebe stecken. Rechtspopulisten und Konservative | |
versuchen sich derzeit auf möglichst vielen Politikfeldern zu einer | |
„bürgerlichen Alternative“ zu Schwedens rot-grüner Minderheitsregierung | |
aufzustellen, um diese damit unter Druck zu setzen und womöglich zu kippen. | |
Zwei Reaktoren sollen auch in Ringhals weiter in Betrieb bleiben. Bei den | |
abgeschalteten beiden ältesten sollen in zwei Jahren die Brennelemente | |
entfernt und bis 2030 deren Abriss beendet sein. Erfahrungen damit werden | |
derzeit beim bereits begonnenen Abriss des südschwedischen AKW Barsebäck | |
gesammelt. Zusammen mit den zwei vor drei bzw fünf Jahren stillgelegten | |
Reaktoren beim ostschwedischen AKW Oskarshamn werden von den sechs | |
Reaktoren dann riesige Mengen Strahlenmüll übrig bleiben. Das | |
Atommüllproblem wartet auch in Schweden noch auf eine Lösung. | |
1 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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