Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Katholische Kirche ganz anders: Priester im Overall
> Albert Koolen steht keiner Gemeinde vor. Der 59-Jährige jobbt und
> versteht sich als Arbeiterpriester – er hilft denen, die ganz unten
> stehen.
Bild: „Für Arbeit in Würde“: Albert Koolen (links) und Betriebsratsmitgli…
Aachen taz | Das Büro des Betriebsrats im Erdgeschoss eines
achtgeschossigen Parkhauses wirkt etwas ungewöhnlich. Ein Förderband mit
Mietwagen fährt durch eine Waschstraße direkt vor der Tür. Doch hier
entsteht etwas Neues. Es ist nur ein paar Monate her, dass die 320
Mitarbeiter von Arwe, einem Autovermietungs-Logistikunternehmen am
Flughafen Düsseldorf, ihren Betriebsrat gewählt haben. Niemand hätte es
zuvor für möglich gehalten, dass es so etwas geben könnte. Warum also einen
Büroraum vorbereiten?
Betriebsräte sind bei großen Arbeitgebern, in der Industrie und im
öffentlichen Sektor stark und wichtig. Aber weniger in Teilen des
Dienstleistungssektors mit seinen prekären Arbeitsverhältnissen,
Mindestlöhnen, harten Arbeitsbedingungen und vielen ausländischen
Mitarbeitern.
Albert Koolen, der neu gewählte Betriebsrat, begrüßt die Besucher in seinem
Büro. Es fühle sich alles neu und seltsam an, sagt er, zumal er jetzt
ganztägig als freigestellter Arbeitnehmervertreter tätig ist. Bis zum
Oktober hatte er zehn Jahre lang als einer der Männer gearbeitet, die
Mietwagen auf Schäden untersuchen, wenn diese nach dem Urlaub oder einer
Geschäftsreise zurückgeben werden.
Eines der ersten Dinge, die man an Albert Koolen bemerkt, einem
freundlichen, jugendlich wirkenden 59-Jährigen, ist der verstümmelte Finger
an seiner rechten Hand, Ergebnis eines Arbeitsunfalls, wenige Wochen
nachdem er Anfang der 1990er Jahre in einer Textilfabrik in Krefeld eine
Arbeit aufgenommen hatte. Handarbeit, einschließlich solcher Risiken, ist
schon immer sein Leben gewesen.
## „Dienst mit normalen Arbeitern“
Eines der letzten Dinge, die man an Koolen bemerkt – wenn man es denn
überhaupt bemerkt – ist die Tatsache, dass er ein katholischer Priester
ist. Er trägt keinen Priesterrock bei der Arbeit, sondern bevorzugt
Overalls und Arbeitsstiefel. Koolen posaunt auch nicht damit herum, dass
er schon seit Jahrzehnten ordiniert ist und gelegentlich Gottesdienste
gibt.
„Arbeit ist in unserem Leben so wichtig, sie prägt, wer wir sind, und
unsere Beziehungen“, sagt er. „Ich habe vor langer Zeit erkannt, dass ich
meinen Dienst mit den normalen Arbeitern zusammen machen möchte.“
Albert Koolen bittet Elen Becirevic, ein weiteres Mitglied des
Betriebsrats, zu unserem Treffen. Er spielte zusammen mit Becirevic, dem
örtlichen Verdi-Gewerkschaftsvertreter, eine Schlüsselrolle, als es darum
ging, die Beschäftigten zur Gründung eines Betriebsrats zu ermutigen, um
ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Aber Koolen möchte nicht im
Mittelpunkt stehen. Es sei schließlich eine Teamleistung gewesen, sagt er.
Albert Koolen ist das, was man einen sogenannten Arbeiterpriester nennt.
Dies sind ordinierte Theologen, die ihre Arbeit, oft in manuellen Berufen,
als ihre Berufung betrachten. Anstatt eine Gemeinde und eine Kirche zu
betreuen, leben sie ihren Glauben, indem sie einen weltlichen Job
übernehmen. Sie sind weder Missionare noch Seelsorger am Arbeitsplatz, wie
sie in Krankenhäusern und anderswo üblich sind. Sie glauben, dass die
Kirche zu bürgerlich und zu engstirnig geworden ist und sich den Realitäten
des Lebens öffnen sollte, insbesondere denen armer und abgehängter
Menschen.
## Sozialwohnung statt katholisches Haus
Albert Koolen, der aus einer mittelständischen Familie in Aachen stammt,
lernte während seines Theologiestudiums Ende der 1970er Jahre in einem
Auslandssemester in Belgien erstmals einen Arbeiterpriester kennen. Damals
hatte Koolen Zweifel beschlichen, ob er als Priester in der konservativ
geprägten katholischen Kirche in Deutschland arbeiten könnte. „Nach dieser
Erfahrung in Belgien wurde mir klar, dass ich auch ordiniert werden könnte,
wenn ich als Arbeiterpriester tätig werde.“
Während seiner Ordinationsausbildung arbeitete er als Priester in einem
armen Viertel von Krefeld. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt verhielt er
sich ungewöhnlich für einen angehenden Priester. Er lehnte das ihm von der
Kirche zugeteilte Haus ab und lebte stattdessen lieber in einer
Sozialwohnung unter seinen Gemeindemitgliedern. Damals blätterte er eines
Tages durch die Gelben Seiten des Krefelder Telefonbuchs, landete beim
Anfangsbuchstaben „T“ für Textilfirmen und versuchte in einer der Firmen
einen Job zu bekommen. Ungewöhnlich genug gewann Koolen die Unterstützung
des Bischofs seiner Diözese bei seinem Versuch, ein Arbeiterpriester zu
werden.
Immer am Morgen und am Nachmittag tourt Albert Koolen heute über den
Parkplatz der Mietwagenfirma, schüttelt den Mitarbeitern die Hände und
fragt, ob es Probleme gibt. In der Firma finden sich nur wenige deutsche
Mitarbeiter, die meisten kommen aus Osteuropa, Griechenland, der Türkei,
dem Balkan, Sri Lanka und anderen Ländern. „Es ist ein bisschen wie bei den
Vereinten Nationen“, scherzt Koolen.
## „Mein Job ist ein bisschen wie Seelsorge“
Im vierten Stock, wo er selbst viele Jahre lang gearbeitet hat, begrüßt er
seine ehemaligen Teamkollegen, die sich in einem Baucontainer warm halten,
der die Kaffeepausen erträglicher macht. Ein Auto fährt vor. Die
Mitarbeiter greifen zu ihren tragbaren Computern. Sie gehen um das Fahrzeug
herum und suchen nach Schäden. Die Papiere sind rasch erledigt. Sie müssen
schnell arbeiten. Die Teams arbeiten an manchen Tagen während ihrer
achtstündigen Schicht 250 Fahrzeuge ab. Die Arbeit ist stressig, die Kunden
sind in Eile, und es ist ungemütlich auf dem zugigen Parkdeck. Kollegen
nehmen ihn mit ihren Problemen gern beiseite. „Mein Job ist ein bisschen
wie Seelsorge“, erzählt Koolen später.
Zurück im Betriebsrat zeigt Albert Koolen Fotos einer anderen Gruppe von
Arbeitern am Flughafen Düsseldorf. Er und sein Kollege Elen Becirevic
protestieren auf den Bildern solidarisch mit Putzfrauen, die sich für
höhere Löhne einsetzen. Nur rund 2.000 der 30.000 Mitarbeiter am Flughafen
hätten einen Betriebsrat, sagt Koolen.
Die Nachricht, dass sich bei dem Autovermieter Arwe ein Betriebsrat
gebildet hat, machte auf dem Flughafen schnell die Runde. Ist das ein
Zeichen des Fortschritts? Koolen ist auf seine unmittelbaren Aufgaben
konzentriert, die Verhandlungen mit der Firma über grundlegende
Verbesserungen, über Schichtpläne und Lohnsätze. Der Firma müsse man zugute
halten, dass sie sich der Zusammenarbeit verpflichtet fühle, auch wenn die
Betriebsleitung anfänglich wenig von der Idee eines Betriebsrats begeistert
gewesen sei. Arwe mochte entsprechende Fragen nicht beantworten.
Elen Becirevic, der ursprünglich aus Bosnien kommt, berichtet, dass er den
Namen von Albert Koolen erst einmal gegoogelt habe, bevor er sich dazu
entschloss, mit ihm im Betriebsrat zusammenzuarbeiten. Er fand heraus, dass
Albert Erfahrung hat – er war Vorsitzender des Betriebsrats der
Textilfirma, in der er früher gearbeitet hatte. Und Becirevic kümmerte sich
nicht weiter um das Video, das Koolen bei der Leitung einer Mahnwache in
Krefeld für die Opfer der NSU-Morde im Gebet zeigt. „Albert ist Albert.
Religion ist hier kein Thema“, sagt Becirevic.
Und Albert Koolen selbst, was ist seine Motivation als Priester am
Arbeitsplatz? „Jeder sollte in der Lage sein, seine Arbeit in Würde zu
verrichten“, sagt er. „Wenn ich zeigen kann, dass dies möglich ist, reicht
das aus.“
19 Jan 2020
## AUTOREN
Hugh Williamson
## TAGS
Katholische Kirche
Priester
Arbeiter
Evangelische Kirche
Netflix
katholisch
Synode
## ARTIKEL ZUM THEMA
Senat trifft Evangelische Kirche: „Ich empfinde da immer mehr Nähe“
Regierungschef Müller (SPD) berichtet nach einem Senatstreffen mit Bischof
Stäblein von seiner intensiven Verbindung zur Kirche.
Netflix-Film „Die zwei Päpste“: Die Wortfechter
„Die zwei Päpste“ erzählt von der Begegnung zwischen Benedikt XVI. und
seinem späteren Nachfolger Franziskus. Und von den Eigenheiten der Kirche.
Mönch über sein Leben außerhalb des Klosters: „Vor Neuem habe ich Lampenfi…
Nikodemus Schnabel ist Benediktinermönch in Jerusalem, jetzt hat er ein
Jahr im säkularen Berlin verbracht. Wie hat ihn das geprägt?
Sächsischer Bischof tritt zurück: Rentzing, der rechte Hirte
Den sächsischen Bischof Carsten Rentzing holt die Vergangenheit ein. Nach
seinem Rücktritt hinterlässt er eine entzweite Landeskirche.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.