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# taz.de -- Thomas Melles Stück „Ode“ in Berlin: Der Tod des Theaters
> Im Stück „Ode“ spielen Linksaktivisten rechtsextremen Kräften in die
> Hände. Eine Uraufführung am Deutschen Theater Berlin.
Bild: In „Ode“ wird getanzt und projiziert
Der Schauspieler und Regisseur Orlando rutscht mit Putzlappen in der Hand
auf Knien über die strahlend weiße Bühne. Das schwarze Wasser im Eimer
färbt den Boden immer dunkler – ein Bühnenbeschmutzer, dieser Orlando. Er
hat es gewagt, als weißer, privilegierter Mann in die Rolle einer minder
privilegierten Putzfrau mit Migrationshintergrund zu schlüpfen – und sich
auch noch ein Kopftuch umzubinden.
Bis eine Schauspielkollegin, hier Katrin Wichmann, ihm die neuen Grundsätze
erklärt: „Du kannst doch nicht so tun, als wärst du Reinigungspersonal! Als
könntest du nachvollziehen, was es heißt, anders zu sein oder woanders
herzukommen. Von jetzt an darfst du nur noch über dich selbst erzählen und
nie von anderen unter dir. Das Kopftuch gehört nur ihr und ihresgleichen.
Du hast da nichts zu erzählen und zu stehlen.“ Besser kann man nicht auf
den Punkt bringen, wie sich das Theater mit eigens auferlegten Regeln der
„kulturellen Aneignung“ und der Identitätspolitik derzeit in die Parade
fährt.
In Thomas Melles „Ode“ wird die Kunstfreiheit von allen Seiten bekämpft.
[1][Von rechts gibt es die Forderung nach Nationalkultur, Brauchtum,
Verständlichkeit]. Von der linken Seite die Frage nach Repräsentation: Wer
darf für wen auf der Bühne sprechen? Was darf gezeigt werden – wenn nur
noch politisch korrekte Wunschrealität zugelassen ist? Hier also das
Biedermeier der nationalen Rechten – dort der ideologische Moralismus der
neuen Linken.
## Verbote spielen den Falschen in die Hände
Melles Analyse: Die Verbotsattitüde von links spielt den rechten Kräften
in die Hände. Er möchte die Kunst herausholen aus der grassierenden
Aktualitätshuberei und ihre anarchische, zweckungebundene Natur feiern.
In seinem Roman [2][„Die Welt im Rücken“] hat der Autor in bewegender
Sprachgenauigkeit seine bipolare Störung beschrieben, im Drama „Bilder von
uns“ die Folgen eines Missbrauchs an einer katholischen Schule als
kriminalistische Versuchsanordnung erzählt.
Ein nicht weniger halsbrecherisches Unternehmen ist es, aus den oben
genannten Debatten ein Theaterstück zu machen. Melle hat einen mit
Geistesgeschichte angefütterten Text geschrieben, in dem keine Charaktere
aufeinandertreffen, sondern Prinzipien in Gestalt allegorischer Figuren,
die schlaglichtartig beleuchtet werden. Es ist das mediale Stimmengewirr
unserer aufgeregten Gesellschaft, dem er das existenzielle Eintreten für
die Kunst entgegensetzt.
Zu Beginn präsentiert die staatlich geförderte Akademiekünstlerin Fratzer
(der Name ist Brechts amoralischem „Fatzer“ entlehnt) eine Skulptur mit dem
Titel „Ode an die alten Täter“ – eine Hommage an die Nationalsozialisten,
die Fratzers gewalttätigen Großvater getötet und ihr selbst dadurch das
Leben gerettet haben. Das (unsichtbare!) Kunstwerk wird verboten, die
Künstlerin bringt sich um.
Dann springt das Stück zehn Jahre in die Zukunft. Nun versucht Orlando, die
Geschichte der verbotenen Skulptur auf der Bühne zu inszenieren – und
scheitert an seinen Mitspielern, die weder die Rechten geben möchten noch
überhaupt jemand anderen als sich selbst.
## Diskurs Theater
Die Regisseurin Lilja Rupprecht verlegt das Stück in einen Kunstraum,
einen weißen leeren Halbkreis, und fährt einiges an ästhetischen Mitteln
auf – es wird gesungen und choreografiert, ein mediales Bilderflimmern
projiziert, an die Wand gepinselt, sich selbst bemalt. Die Intention: aus
dem abstrakten Diskurs Theater entstehen zu lassen. Die Schauspieler,
darunter Juliana Götze und Jonas Sippel vom inklusiven Ramba-Zamba-Theater,
entwickeln ihre Rollen zu mehr und mehr überzeugten Nationalisten – bis sie
schließlich in schwarz-rot-goldener Abendgarderobe die Deutschlandflagge
hereintragen, als die Diktatur durchgesetzt ist.
Die Inszenierung gewinnt stets an Fahrt, sobald es ans wahre Spiel geht.
Wenn Manuel Harder als privilegierter Orlando von der Bühne gejagt wird,
ist das grotesk-komisch: „Dies ist also das Ende des Theaters, wie wir es
kennen. Wir zeigen hier den Tod des Theaters!“
Weniger gut gelingt es, Melles abstrakte Monologe mit Leben zu füllen. Vor
allem der dritte Teil, in dem sich die Sprache des Textes gänzlich ändert
und das Künstlerwesen „Präzisa“, hier in Gestalt von Natali Seelig und
Alexander Khuon, eine lyrische, emphatische Ode an die freie Kunst hält,
gerät die Inszenierung allzu schwülstig.
Es ist paradox: Thomas Melle schwört auf die Zweckfreiheit der Kunst, auf
das Rollenspiel – doch sein Stück gerät stellenweise selbst mehr zur
politischen Meta-Analyse, zum (am Ende dann poetischen) Appell statt zum
Theatertext. Trotzdem: ein wichtiger, kluger Abend, bei dem man im
Anschluss gar nicht anders kann, als über seine Aussagen zu diskutieren.
26 Dec 2019
## LINKS
[1] /Kulturpolitik-in-der-saechsischen-AfD/!5604721
[2] /Schriftsteller-Thomas-Melle/!5348875
## AUTOREN
Barbara Behrendt
## TAGS
Thomas Melle
Deutsches Theater
Kunstfreiheit
Political Correctness
Rechtsextremismus
Theater
Zentrum für Politische Schönheit
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Thomas Melle
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