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# taz.de -- Verfassungsklage gegen Paragraf 219a: Jetzt ist Karlsruhe am Zug
> Das Bundesverfassungsgericht soll über eine Klage zum Abtreibungsrecht
> entscheiden. Gerichtsinterne Manöver könnten dabei den Ausschlag geben.
Bild: „Never again!“ Protestierende in Gießen Mitte Dezember
Die Verfassungsbeschwerde der Berliner Frauenärztin Bettina Gaber gegen
ihre Verurteilung nach Paragraph 219a Strafgesetzbuch ist kein
Selbstläufer. Wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, ist völlig
offen. Eine wichtige Vorentscheidung ist, ob der Erste oder Zweite Senat
die Prüfung der Klage übernimmt.
Die Gynäkologin Bettina Gaber hatte [1][auf ihrer Webseite] mitgeteilt:
„Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in
geschützter Atmosphäre gehört zu unseren Leistungen“.
Zwar ist es seit März 2019 erlaubt, wenn Ärzte mitteilen, dass sie
Abtreibungen durchführen. Sie dürfen aber immer noch nicht darüber
informieren, welche Methoden sie anwenden.
Gaber wurde deshalb vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten [2][im Juni 2019] zu
einer Geldstrafe in Höhe von 2000 Euro verurteilt. Das Kammergericht Berlin
bestätigte die Strafe im November. Dagegen legte Gaber
Verfassungsbeschwerde ein.
## Drei mögliche Ergebnisse
Das Bundesverfassungsgericht hat drei Möglichkeiten den Fall zu
entscheiden. Erstens kann es den umstrittenen Paragraph für
verfassungswidrig erklären, weil er einen unverhältnismäßigen Eingriff in
die Berufsfreiheit von Ärzten darstellt. Dann wäre auch das darauf
gestützte Strafurteil verfassungswidrig. Die Klage Gabers hätte also
Erfolg.
Oder die Klage wird – zweitens – abgelehnt, wenn das Gericht keine
verfassungsrechtlichen Einwände gegen den Paragraph und das Urteil hat.
Dazwischen liegt Möglichkeit drei: Das Gericht legt Paragraph 219a
verfassungskonform aus, wobei es wieder verschiedene Möglichkeiten gibt.
Wenn Karlsruhe dem Kammergericht folgt, ist der Paragraph
verfassungskonform, weil Ärzte auf die zulässige Methoden-Information durch
andere Stellen nicht nur hinweisen, sondern diese auf der Ärzte-Homepage
auch wörtlich zitieren dürfen.
Die Anwälte von Gaber schlagen eine noch weitergehende Auslegung des
Paragraphen vor. Danach soll jede sachliche Information über die
angebotenen Methoden rechtmäßig sein und nur die reißerische Werbung wäre
verboten. Eine solche Auslegung wäre natürlich auch ein Erfolg für Gaber.
## Erster oder Zweiter Senat
Als Vorfrage der Entscheidung steht auch im Raum, ob das
Bundesverfassungsgericht an seinem Konzept festhält, dass das „werdende
Leben“ zwingend durch strafrechtliche Normen geschützt werden muss. Es gibt
bisher keine Anzeichen, dass Karlsruhe von diesem oft als frauenfeindlich
kritisierten Ansatz abrücken wird.
Es ist also sogar denkbar, dass Karlsruhe zwar einerseits Paragraph 219a
für verfassungswidrig erklärt, zugleich aber die grundsätzliche
Kriminalisierung von Abtreibungen als zwingend notwendig bestätigt.
Wie Karlsruhe entscheiden wird, dürfte wesentlich davon abhängen, welcher
der beiden Senate die Rechtssache übernimmt. Der Erste Senat ist für die
Berufsfreiheit zuständig. Er gilt generell als der liberalere Senat und hat
schon mehrfach zugunsten von Abtreibungsärzten entschieden.
Der Zweite Senat ist für das Strafrecht zuständig und gilt als eher
konservativ. Es war auch der Zweite Senat, der 1975 die Fristenregelung und
1993 die ursprüngliche Beratungslösung kippte.
Beide Zuständigkeiten lassen sich gut begründen.
## Die Frage nach dem Wann
Wenn beide Senate das Verfahren haben wollen und sie sich nicht informell
über die Zuständigkeit einigen können, entscheidet der sogenannte
Sechser-Ausschuss, dem je drei Verfassungsrichter jedes Senats angehören.
Bei einem Patt gibt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts den
Ausschlag. Nach Informationen der taz stimmt der Präsident in der Regel für
den jeweils eigenen Senat.
Der aktuelle Präsident Andreas Voßkuhle gehört zum Zweiten Senat. Im Mai
endet allerdings seine Amtszeit. Der designierte Nachfolger Stephan
Harbarth, ist Vorsitzender des Ersten Senats. Vermutlich käme es also
darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Sechser-Ausschuss über die
Zuständigkeit für Gabers Klage entscheidet.
Auch nach der Bestimmung des zuständigen Senats ist nicht zwingend mit
einer baldigen Entscheidung zu rechnen. Manchmal lassen die Richter
Verfassungsbeschwerden jahrelang liegen, weil sie andere Prioritäten haben.
Möglich ist auch, dass Gablers Verfassungsbeschwerde ohne jede Begründung
durch eine dreiköpfige Kammer des Gerichts abgelehnt wird. Die meisten der
jährlich rund 6000 Verfassungsbeschwerden werden auf diese Weise erledigt,
manchmal auch durchaus brisante Klagen.
Dass sich das Bundesverfassungsgericht grundlegend zu Paragraph 219a
äußert, ist also keineswegs garantiert.
18 Dec 2019
## LINKS
[1] http://www.gyn-am-schloss.de/leistungsspektrum.html
[2] http://xn--Das%20Wort%20narkosefrei%20ist%20zu%20viel-g91tyb
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
§219a
Bundesverfassungsgericht
Andreas Voßkuhle
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Kristina Hänel
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