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# taz.de -- Apokalyptischer Jahreswechsel: Was brennt, brennt aus. Oder?
> Zum Jahresende wurde mal wieder klar, die rechte Blase ist eine Bitch,
> Bekehrung zwecklos. Im neuen Jahr deshalb weghören und Kinderlieder
> summen.
Bild: Auch erschöpft von rechter Hetze und Klimawandel?
Die Idee war ja mal ganz hübsch: im finstersten aller Monate ein paar
Lichter anzünden und so die eigene Angst verjagen vor dem, was da in der
Dunkelheit lauert – den anderen Menschen. Die Idee war sogar so gut, dass
sie sich einigermaßen kulturübergreifend verbreitet hat. Ich selbst habe
als eklektische Agnostikerin dieses Jahr Chanukka- und Weihnachtsbaumkerzen
angezündet. Aber auch wer mit dem irgendwie religiös bemäntelten
Kerzenlichtgewitter gar nichts anfangen mag, kann beim bezugslosen
Jahreswechsel mitballern, die Dämonen vertreibt man damit ebenso gut. Und
auf Blitz muss Donner folgen, sonst ist das Ganze nicht richtig
kathartisch.
Statt Läuterung (von guten Vorsätzen mag ich schon gar nicht mehr sprechen,
ich will ja niemanden überfordern) ist die Sache mit dem Anzünden dieses
Jahr aber ausgeartet, wie man es nur erwarten würde, wenn die Eltern vom
Eierpunsch ausgeknockt in der Ecke liegen und die Kinder psychopathisch
veranlagt sind. Also – guckt man sich das Personal an – genau so, wie man
es erwarten würde.
Statt Kerzen haben die Australier gleich ihr eigenes Land angezündet, fünf
Millionen Hektar sind dort schon abgebrannt, selbst 10.000 Feuerwehrleute
können nichts mehr tun, nur noch zusehen und versuchen, Menschen vor den
Flammen zu retten. [1][Die Tiere sind wahrscheinlich schon alle tot]. Ein
derartiges Spektakel können wir uns aus Platzmangel in Deutschland nicht
leisten, fünf Millionen Hektar, da wären Brandenburg und Sachsen-Anhalt
schon weg, und jetzt bitte keine blöden Witze über Ossis, auch die gehören
zu Deutschland.
Außerdem ist reelles Zündeln hier mehr und mehr verboten, auch wenn es
immerhin noch gelungen ist, mehr als 30 [2][eingesperrte Menschenaffen] im
Krefelder Zoo mit hübschen kleinen Himmelslaternen zu töten. Keine
Menschen, okay, aber unsere nächsten Verwandten, auf jeden Fall Wesen, die
Angst und Schmerz empfinden. War aber keine Absicht, sorry. Wie das mit dem
Klimawandel ja eigentlich auch nicht. Shit happens.
Es geht aber auch besser: In Neukölln konnte man selbst zwei Tage vor
Silvester noch den Hund vor Augen erkennen, statt wie früher durch dichten
Nebel zu tapsen. Andererseits waren wir Deutsche schon immer erfinderisch
in Sachen Destruktion. Wenn man uns die Streichhölzer wegnimmt, kokeln wir
eben digital.
Da reichen ein paar [3][trockene AfD-Zweiglein] oder einfach ein paar
Twitterer aus dem rechten Spektrum, die wegen eines Kinderlieds Staatsfunk
und Schlimmeres schreien (Stichwort #Omagate oder – für den
unwahrscheinlichen Fall, dass Sie das ganze Jahresendspiel verpasst haben –
Umweltsau, gesungen im WDR zur Melodie von „Meine Oma fährt im Hühnerstall
Motorrad“). Und schon brennt die rechte Blase. Bitte, genau das soll sie,
denn alles, was brennt, brennt irgendwann aus. Oder?
Leider nicht, wenn alle anderen, allen voran eigentlich schlaue
Journalisten, die Sache ernst nehmen und damit Sauerstoff und Leben in die
kleinen, stinkenden Flammen pusten. (Bevor Sie mir jetzt Hochmut vorwerfen,
ich beziehe mich da schon selbst mit ein.) Statt cool zu gucken und uns ein
paar Notizen zu machen, rennen wir halt gern wie Hündchen dahin, wo was
passiert. Es macht auch zugegebenermaßen ab und zu Spaß, sich aufzuregen
über die Aufregung der anderen.
Blöderweise ist die rechte Blase eine Borderline-Bitch: manipulativ,
durchtrieben und obsessiv darauf bedacht, alle Liebe auf sich zu ziehen.
Ich, ich, ich, guckt mal alle, hier bin ich, guckt, was ich schon wieder
gemacht hab. Und wenn’s keine Liebe gibt (weil man eben eine bösartige
Bitch ist), dann bitte wenigstens alle Aufmerksamkeit, alles Drama.
Hauptsache, die Welt dreht sich um sie.
Was ich mir also fürs neue Jahr hinter meine Ohren schreibe ist: Bekehrung
der Bitch funktioniert nicht. Wenn sie schreit, werd ich einfach die
Augen schließen und ein Kinderlied summen. Vielleicht ist das Eskapismus,
vielleicht ist es gefährlich. Aber geschwächt ist das rechte Spektrum auch
nach der gefühlt dreihundertachtzigsten hitzigen Twitter-Debatte noch
immer nicht.
Wer nicht weiterkommt, muss halt mal die Strategie ändern. Und als
Superdemokratin lache ich ja auch gerne und oft über die dünnhäutigen,
überspannten Donald Trumps dieser Welt, [4][die überall austeilen] und
damit gern auch hie und da einen Krieg riskieren, anstatt wie echte
Erwachsene die Provokatiönchen der Borderliner, die es ja nicht nur in
der deutschen Twitter-Blase, sondern auch im real life gibt, stoisch
lächelnd abprallen zu lassen. Oder man muss einfach selbst was machen, das
tatsächlich interessant ist. Es muss nicht gleich die große, argumentative
Weltrettung sein. Einfach nett sein (und nicht groß drüber reden) genügt.
In diesem Sinne: Ein stilles Neues Jahr!
6 Jan 2020
## LINKS
[1] /Australische-Tierwelt-in-Gefahr/!5653594
[2] /Petition-zum-Krefelder-Zoo/!5649957
[3] /Proteste-wegen-Umweltsau-Video/!5653516
[4] /USA-toeten-General-Soleimani/!5649976
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Schwerpunkt Tom Buhrow
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Klimawandel
Rechte
Australien
Köln
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