# taz.de -- Klischeefreies Kiffen in Groningen: Das besondere Küstengefühl | |
> Die Niederländer*innen haben einen entspannten Umgang mit Cannabis. Für | |
> viele Studierende aus Oldenburg ist das ein Grund für einen Besuch. | |
Bild: Trotz des Pflasters fahren viele Fahrrad: Gasse in Groningen | |
Groningen taz | Eine frische Brise Nordsee liegt in der Luft. In Groningen | |
stellt sich schnell das besondere Küstengefühl ein, das viele haben, wenn | |
sie die Region besuchen und wonach viele sich sehnen, wenn sie schon mal | |
dort gewesen sind. Wege, um nach Groningen zu gelangen, gibt es viele; zum | |
Beispiel die Reise mit dem Fernbus von Oldenburg über Ostfriesland. | |
Das norddeutsche Verhältnis zu den Niederlanden ist vielleicht auch wegen | |
der räumlichen Nähe oft verklärt, weswegen jede Fahrt dorthin, und sei sie | |
noch so unspektakulär, mit Cannabis assoziiert wird. Da werden eigentlich | |
ganz normale Fernbusse plötzlich zu Drogenbussen uminterpretiert. Damit | |
holen die Student*innen der einen deutschen Universitätsstadt angeblich | |
ihren Stoff von der Universitätsstadt jenseits der Grenze. „Aus Holland“ | |
ist für Marihuana ein Gütesiegel, weiß jede*r Kiffer*in. | |
Und doch zieht es nicht viele Oldenburger*innen an diesem Wochenende vor | |
den Feiertagen in den Fernreisebus. Es ist nur eine kleine Gruppe junger | |
Frauen, die einsteigt und wohl eher auf einer Einkaufstour als auf der | |
Suche nach dem besten Gras ist. Spannender ist die Option des straffreien | |
Kiffens wohl für die vielen deutschen Studierenden, die sich länger dort | |
aufhalten wollen: Die Niederlande sind auf dem zweiten Platz hinter | |
Österreich, wenn es um die Beliebtheit von Auslandssemestern für | |
Studierende aus deutschen Universitäten geht. | |
Im Bus, der aus Berlin kommt und über Oldenburg, Westerstede und Leer in | |
Ostfriesland nach Groningen fährt, sitzt im vorderen Teil eine Gruppe | |
niederländischer Männer, die wohl von einem Party-Trip heimfährt. Die | |
jungen Männer unterhalten sich über ihre Erlebnisse und über Greta | |
Thunberg, die sie nachahmen, ihren mittlerweile berühmt gewordenen Satz | |
„how dare you“, der auf Deutsch so viel wie „wie kannst du es wagen“ | |
bedeutet, sprechen sie genauso verächtlich aus wie Teile ihrer Rede auf dem | |
Klimagipfel in Madrid | |
Die 150 Kilometer lange Fahrt mit dem Bus dauert ohne Unterbrechung zwei | |
Stunden. In Groningen angekommen, entlässt der Busfahrer seine Gäste direkt | |
vor der kleinen Museumsinsel, die die Innenstadt mit dem Bahnhofsviertel | |
verbindet: Als Erstes fallen dort die vielen Fahrräder auf, die sich | |
teilweise an den Straßenrändern türmen. Immer wieder bückt sich jemand, um | |
ein umgekipptes und dadurch mit einem anderen Fahrrad verheddertes Rad | |
wieder aufzuheben. In rasendem Tempo fahren die Fahrradfahrer*innen an den | |
ankommenden Gästen vorbei, einer von ihnen schreit „Fahrradweg!“. Am | |
Bürgersteig steht ein gelbes Schild mit schwarzen Lettern: „Pas op!“ steht | |
da. | |
Die engen Straßen in der Groninger Innenstadt sind gepflastert mit alten | |
Steinen, die klackern, sobald man auf sie tritt. Das „alte Viertel“ aus dem | |
19. Jahrhundert, in dem überwiegend Wohngebiete stehen, befindet sich | |
nördlich, östlich und westlich der Altstadt und blieb während des Zweiten | |
Weltkriegs von Zerstörungen durch die Nazis weitgehend verschont. Die in | |
Groningen sogenannten Hofjes dienten einst dazu, Armen und Kranken ein | |
Obdach zu bieten. Heute sind sie ebenfalls durchgentrifiziert wie in jeder | |
größeren Stadt, – egal ob niederländisch oder deutsch – aber nicht wenig… | |
urig als der Rest Groningens, das mit gut 200.000 Einwohner*innen die | |
größte Stadt im niederländischen Norden ist. | |
Die Menschen verteilen sich in Scharen auf dem Marktplatz und auch die | |
Koffieshops genannten Cannabis-Lokale laden gerade die männliche | |
Studentenschaft aus Deutschland ein. Der Geruch der Nordsee hält sich noch | |
bis in die dicht gedrängten Gassen der Innenstadt. Auf der Straße sind die | |
Menschen am Wochenende vor Weihnachten ausgelassen. Viele sitzen in den | |
kleinen pittoresken Cafés oder in den vielen Restaurants. Und auch für | |
Menschen, die gerade auf dem Sprung sind, gibt es schnelle Leckereien: | |
Kleine Hamburger sind in gläsernen Schließfächern aufgereiht. Die | |
Passant*innen müssen nur 2,60 Euro in den Geldschlitz werfen und bedienen | |
sich selbst. | |
Eine Gruppe junger Männer, die nach dem süßlichen Duft von Cannabis riecht, | |
stellt sich davor auf und bedient sich gekonnt und mit passendem Kleingeld. | |
Die Jungs finden die Hamburger so lecker, dass sie gleich mehrere direkt | |
vor den Schließfächern verspeisen. Währenddessen schwärmen sie von der Soße | |
und blicken selig und vom Cannabis vernebelt in den Nachthimmel. Neben | |
ihnen stehen niederländische Männer, ähnlich dreinblickend – nur holen sie | |
Frikandel am Spieß aus den gläsernen Boxen – eine holländische Spezialitä… | |
Im Katzencafé gibt es zwar kein Cannabis, dafür kommt aber die | |
internationale Kundschaft das erste Mal so richtig miteinander ins | |
Gespräch. Damit kein Katzen-Neid aufkommt, sprechen sich drei | |
Holländer*innen mit einem Deutschen und einem chinesischen Pärchen ab, | |
welche Katze von ihnen bespielt und mit Leckerlis gefüttert wird. Sie | |
unterhalten sich über ihre Pläne für den Restabend und was sie noch alles | |
ausprobieren müssen. Ganz vorne dabei: hausgemachte Poffertjes mit Vla. Die | |
kleinen Pfannkuchen mit Puderzucker und der berühmte holländische Pudding | |
sind bei dem chinesischen Pärchen sehr beliebt. Die Deutschen wollen sich | |
nur noch mal umschauen, besondere Ziele haben sie nicht für ihren Ausflug. | |
Der Cannabis-Shop im Süden Groningens heißt The Flying Dutchman: der | |
fliegende Holländer. Das Angebot des tiefgrün beleuchteten Lokals, in dem | |
das Kiffen drinnen nicht möglich ist, ist überschaubar. Als ältester Shop | |
in Groningen lockt der fliegende Holländer mit einem nach verdunkelter | |
Hotellobby aussehenden Eingangsbereich und mehreren Menschen hinter der | |
Theke, die den Kund*innen beratend zur Seite stehen. Das Publikum in diesem | |
Laden ist überwiegend männlich, der Verkauf geht schnell, viele bezahlen | |
mit der Karte. An der Wand hängt die überschaubare „Menükarte“, die aber | |
mit Indica, Sativa und Hybriden alle wichtigen Obersorten des Cannabis | |
anbietet. Das Personal spricht in den drei wichtigen Sprachen Groningens: | |
Niederländisch, Englisch und Deutsch. | |
Von der Sativa geht das allgemeine Klischee aus, dass Menschen, die gerne | |
kiffen, ihren Horizont erweitern möchten: Die Wirkung des Berauschtseins | |
äußert sich durch einem hohen Tatendrang, Sativas werden aber auch zur | |
Behandlung von Depressionen verwendet. Indica-Gras hingegen lässt alle | |
sonstigen Klischees der Kiffer hochleben: Wer das raucht, bleibt lieber | |
liegen und will eigentlich unaufhörlich etwas essen, im besten Fall etwas | |
Süßes. | |
Indica wirkt sich also beruhigend und müde machend aus, während Sativa den | |
Menschen zum Aktionismus, manchmal auch zum völlig sinnlosen, anstiftet. | |
Die Hybriden sind Kreuzungen aus Sativa und Indica-Cannabis. Mit dem Hybrid | |
wird quasi versucht, die beiden Klischees zusammenzuführen: also das Beste | |
aus Sativa und Indica herauszuholen. | |
Vor dem Cannabis-Shop stehen ebenfalls nur Männer: Weil der fliegende | |
Holländer für seine Gäste keine Möglichkeit zum Sitzen anbietet, rauchen | |
viele von den Kund*innen ihre Joints einfach vor der Tür. | |
Dabei beobachten die durch Cannabis entspannten Männer die vorbeilaufenden | |
Menschen: Ein deutsches Studentenpärchen hat Streit vor dem Shop. Die Frau | |
will nicht so viel Geld für den für sie wohl nebensächlichen und gleichwohl | |
obligatorischen Gang zum Coffee-Shop ausgeben, ihr Freund allerdings wäre | |
gerne auf den Geschmack gekommen. Dabei streiten sie, wie es sich für | |
Deutsche in der Öffentlichkeit gehört: leise. Vielen deutschen Studenten | |
(Männern), die abreisen, ist das Gras der Niederländer so wichtig, dass sie | |
bis zur Ladenöffnung um 10 Uhr Sonntagmorgens in der Kälte eine Zigarette | |
rauchend auf die Ladenbesitzer warten, um sich noch mit zwei, drei Joints | |
für den Heimweg zu versorgen. | |
Auf dem „Eemskanaal Noordzijde“ liegt das Hotelboot Gretha etwa zwei | |
Kilometer von der Innenstadt entfernt. Nicht viele Menschen schlafen Mitte | |
Dezember auf diesem Boot, das die Wärme nur schwer halten kann. In einer | |
kleinen Kabine mit einer Doppelkoje schläft man auf zu dünnen Matratzen mit | |
zu dünnen Decken. Klaustrophobisch frühstückt man auch auf dem Mitteldeck | |
des Schiffes; zur eigentlich besten Abreisezeit am Sonntagmorgen allerdings | |
auch alleine. Das Frühstück besteht im Gegensatz zur deutschen Kost aus | |
viel Süßem: Marmelade in allen Sorten, viele Sirupsorten oder bunte | |
Streusel als Brotaufstrich. | |
Der Kapitän des Hotelboots hat mehrere Jahre auf der Mecklenburgischen | |
Seenplatte gearbeitet. Es habe ihm zwar in Deutschland gefallen, sagt er | |
jetzt. Aber am Ende wollte er einfach wieder zurück in seine Stadt. Der | |
Kapitän sieht so aus, als hätte er eigentlich Feierabend: Leicht | |
alkoholisiert und mit einem Korncola-Glas begrüßt er seine Gäste und | |
versorgt sie mit den nötigsten Informationen. Während er seine wenigen | |
Gäste zu ihren Kabinen begleitet, spricht er kaum. | |
Die Rückfahrt offenbart etwas, das unterschwellig schon die ganze Zeit da | |
war: An der deutschen Grenze angekommen ist es plötzlich vorbei mit der | |
friedlichen Koexistenz von den Kiffer-Niederlanden und dem in Ordnung | |
verliebten Deutschland. Die Bundespolizei hält den Bus auf und kontrolliert | |
die Mitreisenden. Der Bundespolizist fragt einen deutschen Studenten, der | |
bis gerade noch schlief, wo er denn in Groningen gewesen sei und ob er Spaß | |
hatte. Freundlich fragt er den Deutschen auch, ob er alles, was in | |
Deutschland illegal ist, und das ist in Teilen auch Cannabis, denn in | |
Groningen gelassen habe. Er fragt so, als wäre es kein Problem gewesen, | |
dass der junge Student ausschließlich zum legalen Kiffen in die Niederlande | |
fuhr: „Ist ja nichts Verbotenes da“, sagt der Polizist weiter freundlich. | |
Weniger freundlich sind die Polizisten, wenn sie den Verdacht haben, dass | |
jemand ohne gültige Papiere einreisen möchte. Dabei geht die Polizei nach | |
einem offensichtlichem Schema vor: Nur bei den EU-Ausländern kassiert sie | |
die Pässe, auf schlechtem Englisch erklären sie kurz, dass der Bus weiter | |
stehen bleibt, bis diese Pässe kontrolliert wurden. Vorher kontrollieren | |
sie aber auch noch die Gepäckstücke der Mitreisenden; das geht so schnell, | |
dass sie kaum nach Cannabis gesucht haben können, sondern nach größeren und | |
in Deutschland verbotenen Gegenständen – die Pause dauert etwa eine halbe | |
Stunde, während man andernorts kaum merkt, dass man die Grenze vom einen | |
Land zum anderen überschritten hat. Niemand im Bus ist illegal oder | |
kriminell aufgefallen, die Fahrt kann weitergehen. | |
1 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Yasemin Fusco | |
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