# taz.de -- Israels Premier Netanjahu: Der König des Likud | |
> Die Mitglieder des rechtskonservativen Likud haben Benjamin Netanjahu | |
> trotz aller Skandale erneut zum Parteichef gewählt. Warum? | |
Bild: Netanjahus Anhänger*innen lassen sich von der Anklage der Bestechlichkei… | |
TEL AVIV taz | Es scheint absurd: Da scheitert der amtierende | |
Ministerpräsident Israels, Benjamin Netanjahu, zweimal in Folge an einer | |
Regierungsbildung. Der Generalstaatsanwalt klagt ihn wegen Betrug, | |
Bestechung und Untreue an. Aufnahmen von Telefongesprächen werden | |
öffentlich, in denen sich Netanjahu mit dem Herausgeber einer der größten | |
Zeitungen Israels über Inhalte von Artikeln, Überschriften und sogar über | |
das Feuern von Journalisten abgesprochen hat. | |
Umfragen machen die Runde, die zeigen, dass die Aussichten für Netanjahu | |
gering sind, bei den Neuwahlen im März – den dritten innerhalb eines Jahres | |
– eine Regierung zustande zu bringen. Hinzu kommt die juristische Frage, ob | |
Netanjahu überhaupt bei den Wahlen im März wird antreten können. Denn am | |
31. Dezember entscheidet der Oberste Gerichtshof darüber, ob ein | |
Angeklagter eine Partei in die Wahlen führen darf. | |
Und trotz alldem [1][machten bei der Wahl am Donnerstag] 72,5 Prozent der | |
Likud-Mitglieder ihr Kreuz für ebendiesen Kandidaten Benjamin Netanjahu. | |
Nur 27,5 Prozent stimmten für seinen Herausforderer, den ehemaligen Innen- | |
und Erziehungsminister Gideon Saar. Netanjahu bleibt also Parteichef des | |
rechtskonservativen Likud – und wird auch wieder dessen Spitzenkandidat. | |
Was aber bringt die Likud-Basis dazu, Netanjahu die Stimme zu geben? | |
## „Bester Anführer aller Zeiten“ | |
„Keiner hat dem Land so viel Gutes gebracht wie König Bibi“, sagen | |
Netanjahu-Unterstützer*innen auf der Straße. Netanjahu ist in den Augen | |
der Rechten derjenige, der Israel ökonomischen Aufschwung beschert hat. Sie | |
sprechen von dem hohen Lebensstandard, der IT-Bereich boomt. Dass | |
gleichzeitig auch die Schere zwischen Reich und Arm so weit geworden ist | |
wie nie zuvor in der Geschichte Israels, wird gern ignoriert. | |
Fans von Netanjahu nennen ihn mitunter auch „Mr. Security“ und schreiben | |
ihm die vermeintlich gute Sicherheitssituation zu. Tatsächlich gab es in | |
der Zeit von Netanjahu, der seit 2009 ununterbrochen regiert, keine | |
Anschläge wie während der Zweiten Intifada, als ganze Busse in die Luft | |
gesprengt wurden. | |
Doch so sicher ist die Lage auch unter Netanjahu nicht: 2015 gab es über | |
einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren eine Reihe von Messerattacken auf | |
israelische Soldaten und Zivilist*innen, bei denen 47 Israelis umgekommen | |
sind. 2014 wurde Tel Aviv für zwei Monate bombardiert, etwas, was in der | |
Geschichte Israels bis dahin nicht vorgekommen war. Nicht zuletzt baut | |
Netanjahu ein Bild von sich auf als von demjenigen, der Israel gegen Iran | |
verteidigen kann. Doch während seine Vorgänger bereits Pläne entwickelt | |
hatten, Irans Nuklearreaktoren außer Gefecht zu setzen, unternahm Netanjahu | |
wenig in dieser Hinsicht. | |
Sein Image als „bester Anführer aller Zeiten“ funktioniert trotzdem. | |
Möglicherweise sind in einem Land, das sich quasi in permanentem | |
Kriegszustand befindet, die Prioritäten andere: Ob jemand korrupt ist, wird | |
angesichts seiner vermeintlichen Errungenschaften in dieser Hinsicht | |
unwichtig. | |
Dass die Likudniks trotz aller Skandale zu Netanjahu halten, hat auch mit | |
der Struktur der Partei zu tun. Der Likud ist als ausgesprochen loyal | |
bekannt. Seit der Gründung des Vorläufers „Cherut“ im Jahr 1948 hatte die | |
Partei lediglich vier Chefs. Keiner von ihnen wurde vonseiten des Likud aus | |
dem Amt befördert. | |
Netanjahu aber hat diese Struktur perfektioniert. „Netanjahu hat den Likud | |
als Partei abgeschafft“, so Gayil Talshir, Politikprofessorin an der | |
Hebräischen Universität Jerusalem und Spezialistin für die Likud-Ära: „Es | |
gibt keine Unterscheidung zwischen der Partei und ihrem Anführer Netanjahu | |
mehr.“ Vielmehr geriere sich Netanjahu als König, der mit seiner | |
Königsfamilie, seiner Frau Sara und seinen Kindern über den Likud und das | |
Land herrscht. | |
„Fair im eigentlichen Sinne“ seien die Wahlen demnach auch nicht gewesen, | |
so Talshir. Netanjahu hat die Kontrolle über die Strukturen innerhalb des | |
Likud inne und nutzte sie. Der offizielle Sprecher des Likud ist auch der | |
offizielle Sprecher von Netanjahu. | |
So wundert es kaum, dass das offizielle Statement des Likud nach Saars | |
Ankündigung, Netanjahu herauszufordern, lautete: „Saar, wie immer, null | |
Loyalität, maximale Subversion.“ Saars Büro sprach auch davon, dass das | |
Likud-Wahlgremium die Stimmabgabe für Saar-Wähler*innen schwer gemacht | |
habe, etwa indem im Süden Tel Avivs kein Wahlbüro eingerichtet wurde oder | |
Wahlbeobachter*innen vom Betreten der Büros abgehalten worden seien. | |
Die meisten der einflussreichen Gruppierungen innerhalb des Likud sind auf | |
Netanjahus Seite, was wohl auch Netanjahus geschicktem Taktieren zu | |
verdanken ist. Politische Gegner bindet er ein. Als Netanjahu etwa nach den | |
Wahlen im September 2019 fürchtete, dass Naftali Bennett von der Partei | |
Jüdisches Heim in eine Koalition mit Gantz’ Parteienbündnis Blau-Weiß | |
einsteigen könnte, gab er ihm kurzerhand den Posten des | |
Verteidigungsministers – ein Amt, mit dem Bennett schon seit Jahren | |
geliebäugelt hatte. | |
So könnte er nun auch mit den Unterstützer*innen von Saar verfahren. | |
Solange diese in der Knesset sitzen werden, so lange wird er sie wohl | |
umgarnen. Denn angetrieben wird Netanjahu in erster Linie von seinem | |
persönlichen Interesse: 61 Abgeordnete in der Knesset zu finden, die ihre | |
Hand heben, um ihm Immunität zu verleihen und ihn vor einer Gefängnisstrafe | |
zu bewahren, die im schlimmsten Fall zehn Jahre betragen könnte – in Israel | |
die Höchststrafe für Bestechlichkeit. | |
Für die kommenden Wahlen wird Netanjahu wohl weiterhin seine Strategie | |
verfolgen, sich als Opfer einer Hexenjagd – der Justiz, der Medien und der | |
Linken – zu inszenieren und dabei gewohnt aggressiv vorzugehen. Alle, die | |
sich seinem Vorhaben in den Weg stellen, diffamierte er in der | |
Vergangenheit als Linke – in Israel ein Schimpfwort – und attestierte ihnen | |
undemokratisches Vorgehen. So erging es dem Generalstaatsanwalt Avichai | |
Mendelblit, seinem Konkurrenten Gideon Saar oder auch dem Polizeichef Roni | |
Alsheich: Alle drei sind ganz klar politisch rechts zu verorten. | |
Die populistische Strategie des Trump-Verbündeten geht auf – zumindest bei | |
der Likud-Basis im religiösen und konservativen Jerusalem und an der | |
Peripherie, in den ärmeren Gegenden. Blickt man genauer auf Wahlergebnisse, | |
so ist der Sieg Netanjahus allerdings nicht so erdrutschartig, wie man | |
glauben könnte. In Teilen der Partei bröckelt der Rückhalt für Netanjahu | |
dann doch. Zum ersten Mal seit 14 Jahren wurde Netanjahu immerhin von einem | |
internen Konkurrenten herausgefordert. Und es dürfte Netanjahu unruhig | |
machen, dass im reicheren Tel Aviver Norden Gideon Saar den Stimmen nach | |
sogar gewonnen hat. | |
## Israel in der Sackgasse | |
Netanjahus Strategie für die kommenden Wahlen ist, möglichst alle | |
Wähler*innen des rechten Blocks zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung in den | |
Vorwahlen von knapp unter 50 Prozent spricht nicht dafür, dass seine | |
Rechnung aufgehen wird. Anders als bisher plant Netanjahu, jenseits von | |
sozialen Medien auf persönliche Ansprache zu setzen und potenzielle | |
Wähler*innen persönlich anzurufen und auf Wahlkampfveranstaltungen | |
anzusprechen. | |
Insgesamt mag sich Netanjahu für seinen, wie er sagt, „großartigen Sieg“ | |
feiern lassen. Derzeitige Umfragen sagen allerdings voraus, dass Israel | |
nach Neuwahlen wieder in eine Sackgasse geraten wird: Weder das | |
rechtsreligiöse noch das Mitte-links-Lager wird demnach in der Lage sein, | |
eine eigene Mehrheit zu bilden. Die Netanjahu-Wähler*innen haben die | |
Möglichkeit für eine große Koalition verbaut, denn der Anführer von | |
Blau-Weiß, Benny Gantz, wird wohl zu seinem Wort stehen und mit einem | |
angeklagten Politiker keine Koalition bilden. Wenn ihr Interesse eine | |
Regierungsbildung mit dem Likud ist, so haben sie wahrscheinlich auf das | |
falsche Pferd gesetzt. | |
28 Dec 2019 | |
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[1] /Vorwahlen-bei-Likud/!5652798 | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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