# taz.de -- Verseuchter Ackerboden: Leben mit dem Gift | |
> Im Raum Baden-Baden sind mindestens 130 Millionen Kubikmeter Grundwasser | |
> verseucht. Landwirte und Konsumenten stellt das vor drängende Fragen. | |
Bild: Verseuchter Boden? In Hügelsheim werden Proben entnommen | |
RASTATT/IFFEZHEIM/BADEN-BADEN taz | Es ist das Jahr sieben nach dem Beginn | |
der Krise, aber zur Informationsveranstaltung in einer Mehrzweckhalle in | |
Baden-Baden strömen immer noch über 200 Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen | |
wissen, was mit ihrem Trinkwasser ist und ob sie den Spargel und die | |
Erdbeeren von den Feldern hier im Umland tatsächlich weiter essen können. | |
Konzentriert folgen sie den Fachvorträgen über lang- und kurzkettige per- | |
und polyfluorierte Chemikalien, kurz PFC. Diese Fluorchemikalien sind es, | |
die das Grundwasser einer ganzen Region gefährden und damit Landwirte und | |
Konsumenten vor drängende Fragen stellen: Was, wenn das Grundwasser nicht | |
mehr ohne Filter trinkbar ist, die Ernte auf Jahre ausfallen könnte? | |
„Hat das Land genug getan?“, fragen die Bürger an diesem Abend die | |
Experten. „Ist es wirklich gerecht, dass für eine Filteranlage, die die | |
Giftstoffe zurückhält, der Wasserpreis in Baden-Baden steigt? Und was ist | |
eigentlich mit dem Verursacher dieser Umweltkatastrophe, von der eine | |
breite Öffentlichkeit bisher noch nicht einmal Kenntnis genommen hat? | |
Es muss wohl Anfang der 2000er Jahre gewesen sein, als der | |
Kompostunternehmer Franz Vogel aus Bühl Bauern in der Region | |
Papierschlämme, gemischt mit Kompost, als Düngemittel anbot – kostenlos. In | |
der Region gibt es viele Papierfabriken, der Schlamm fällt bei der | |
Produktion an. Viele Papiere werden mit PFC behandelt, um sie schmutz- und | |
fettabweisend zu machen. | |
## Rolle der Papierfabriken juristisch ungeklärt | |
Es lässt sich wohl nicht mehr lückenlos nachweisen, woher Vogel | |
Papierabfälle für seinen Kompost bezogen hat. Sicher ist: Allein zwischen | |
2006 bis 2008 hat Vogel 106.000 Tonnen Papierschlämme angenommen und an | |
Bauern in der Rheinebene abgegeben, die sie auf ihre Felder ausbrachten. | |
Die meisten dieser Flächen weisen heute PFC-Belastungen auf. | |
Bislang hat man die Chemikalien auf 877 Hektar Boden gefunden. Das | |
entspricht einer Fläche mehr als vier mal so groß wie das Fürstentum | |
Monaco. Nach Schätzung der Rastatter Wasserwerke sind mindestens 130 | |
Millionen Kubikmeter Grundwasser verseucht. Mindestens 150 Landwirte sind | |
in irgendeiner Form von der PFC-Belastung betroffen. | |
Die Rolle der Papierfabriken und diverser Zwischenhändler im PFC-Skandal | |
ist juristisch nach wie vor ungeklärt. Vogel selbst bestreitet, dass seine | |
Papierschlamm-Kompostmischungen für die Verunreinigung in der Rheinebene | |
verantwortlich seien. Im Januar 2017 wurde ein Strafverfahren gegen ihn | |
eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte nur wegen minder schwerer | |
Umweltdelikte ermittelt, auch deshalb sind mögliche frühere Taten verjährt. | |
Das Verwaltungsgericht geht hingegen davon aus, dass die Papierschlämme mit | |
PFC belastet waren und für die Bodenbelastung verantwortlich sind. | |
Dabei sind per- und polyfluorierte Chemikalien eigentlich eine praktische | |
Sache. Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend. Man findet sie in | |
Feuerlöschschäumen, Teflonpfannen, [1][Outdoorbekleidung], Backpapier und | |
Make-up-Produkten. Bisher gibt es weder eine Kennzeichnungspflicht für PFC | |
noch bundesweite Höchstwerte. Und das, obwohl die Moleküle bisher | |
ungehindert in die Umwelt gelangen und sich dort immer weiter anreichern. | |
Man findet sie in Trinkwasser und Fisch, aber auch in Innereien, | |
Milchprodukten oder pflanzlichen Lebensmitteln. | |
Nur für Trinkwasser gibt es verschiedene sogenannte Leitwerte, die die | |
kommunalen Wasserversorger bei Verdacht auf PFCs untersuchen müssen. Die | |
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat Ende 2018 immerhin „neue | |
gesundheitsbezogene Richtwerte“ für die beiden bekanntesten | |
PFC-Verbindungen, PFOA und PFOS, veröffentlicht und die wöchentliche Menge | |
in Lebensmitteln, die als gesundheitlich unbedenklich gilt, drastisch | |
gesenkt. | |
PFC stehen im Verdacht, [2][für den Menschen krebserregend zu sein]. Die | |
Stoffe nehmen auch Einfluss auf das Immun- und Hormonsystem. Die | |
Universität Padua untersuchte in der Region Venetien, einer der vier am | |
stärksten mit PFC belasteten Regionen weltweit, die Wirkung der Chemikalien | |
auf den Hormonhaushalt. Dabei wiesen die Wissenschaftler unter anderem eine | |
schlechtere Spermienqualität, verringertes Hodenvolumen und eine reduzierte | |
Penislänge nach. | |
In den letzten Jahren wurden auch in Deutschland immer wieder neue | |
PFC-Belastungen entdeckt. Die Wasserwerke Rastatt haben im Oktober eine | |
bundesweite PFC-Schadenskarte erstellen lassen, die rund 250 Fälle zeigt. | |
Nirgends ist die Kontamination stärker als in Mittelbaden. | |
Der belastete Boden, 877 Hektar groß, nahe dem Rhein, das ist nur ein | |
vorläufiger Wert. „Ein Ende ist immer noch nicht in Sicht“, sagt Reiner | |
Söhlmann im Landratsamt Rastatt. Einen Umweltskandal dieser Dimension kann | |
man nicht beseitigen, man kann nur versuchen, ihn zu managen. Bei Söhlmann | |
im Landratsamt von Rastatt laufen die Fäden in Sachen PFC zusammen. 2015 | |
wurde hier im Zentrum des Gebiets eine PFC-Geschäftsstelle eingerichtet, | |
einer Art Kompetenzzentrum, das mittlerweile bundesweit Anerkennung findet. | |
Damit Landwirtschaft in der Region überhaupt noch möglich ist, haben das | |
Landratsamt und das Regierungspräsidium Konzepte entwickelt. Es werden | |
Bodenproben entnommen, Filter für das Grundwasser getestet und Ackerfrüchte | |
vor der Ernte auf ihren PFC-Gehalt untersucht. | |
So auch Erdbeeren, Himbeeren und Spargel bei Landwirt Joachim Huber. Huber | |
hat einen Hof in Iffezheim bei Baden-Baden. Der Ort ist vor allem wegen | |
seiner Pferderennen bekannt. Hubers Hofladen hat in der Region einen guten | |
Ruf zu verlieren. Außerdem betreibt er seit ein paar Jahren in der Saison | |
auch noch ein Restaurant auf seinem Hof. Der PFC-Skandal ist nicht gut für | |
sein ohnehin schon hartes Geschäft. „Das Wichtigste ist, dass in unseren | |
Produkten nie etwas gefunden wurde“, sagt Huber. Am Computer in seinem Büro | |
plant er die kommende Erntesaison. | |
Seit auf seinen Äckern PFC gefunden wurde, muss er an der Fruchtfolge auf | |
seinen Böden lange tüfteln. Belastete Äcker braucht er nicht ganz | |
brachliegen lassen. In Freiland- und Laborversuchen hat man in den letzten | |
Jahren herausgefunden, dass etwa Mais kaum PFC aufnimmt. In Weizen und im | |
Pollen von Raps lagern sich PFC dagegen stark ab und gelangen auf diese | |
Weise in Nahrungsmittel. | |
Huber hat keinen Kompost von Vogel angenommen, er fand das kostenlose | |
Angebot damals schon suspekt. Aber er hat mit einem der Bauern, die wohl | |
die belasteten Schlämme genutzt haben, Land getauscht. Jetzt hat er den | |
Schlamassel. „Mir bleibt nichts, als das Problem auszusitzen, wir können ja | |
hier nicht weg.“ Einmal im Jahr bekommt Huber nun Besuch vom | |
Regierungspräsidium Karlsruhe, das ihm das aktuelle Managementkonzept für | |
seine PFC-Flächen erläutert. | |
Wenn es nur der Boden wäre. Aber Joachim Huber weiß heute schon, dass | |
seinen Hof über das Grundwasser wohl zusätzliche PFC-Schadstoffe erreichen | |
werden. Kommen sie eines Tages in Iffezheim an, wird er wohl teure Filter | |
einbauen müssen. Für die Beregnung ganzer Weizenfelder wird das zu teuer. | |
Er kann dann nur noch Früchte anbauen, die er mit sparsameren Techniken | |
bewässern kann. Huber sagt mit fatalistischem Unterton: „Mit diesem Problem | |
wird sich auch noch mein Sohn herumschlagen, wenn er den Hof übernommen | |
hat.“ | |
Die Sache mit dem Grundwasser war es, die Ulrich Schumann und Andreas Adam | |
zu PFC-Experten hat werden lassen. Die beiden Männer stehen im idyllischen | |
Park des Schlosses Favorite nahe Rastatt. Von hier aus kann man das | |
Wasserwerk Kuppenheim sehen. Der Kulturhistoriker Schumann und der Jurist | |
Adam wissen seit Sommer 2013, dass das Grundwasser hier mit PFC verseucht | |
ist. Die Stadt hat damals pflichtschuldig im Anzeigenblatt die Bürger | |
darüber informiert. Mehr geschah erst mal nicht. Deshalb gründeten die | |
beiden eine Bürgerinitiative und verteilten Flugblätter über die Belastung | |
des Grundwassers für all jene, die das Amtsblatt nicht lesen. Mittlerweile | |
ist nach Angaben der Initiative das Kuppenheimer Trinkwasser so belastet, | |
dass es für Säuglinge und Kleinkinder nicht mehr trinkbar sei. Die | |
Bürgerinitiative hat auch die ersten Blutproben in der Bevölkerung auf | |
eigene Kosten organisiert. | |
Damals hat man ihnen Panikmache vorgeworfen, inzwischen hat das | |
Landessozialministerium selbst eine groß angelegte Blutuntersuchung | |
organisiert, die die Belastung in der Region zeigt und nun alle zwei Jahre | |
wiederholt werden soll. Dabei wurden bei einem Landwirt nahe Baden-Baden an | |
die tausend Mikrogramm PFOA pro Liter Blut festgestellt. Die allgemeine | |
Grundbelastung der Bevölkerung liegt bei 6 Mikrogramm, die Werte, die das | |
Umweltbundesamt für unbedenklich hält, liegen noch darunter. | |
Jetzt müssen die Trinkwasserversorger der Region die PFC-Spuren | |
kostenintensiv herausfiltern. Die Stadtwerke Baden-Baden haben dafür eine | |
Niederdruckumkehrosmoseanlage für über 4 Millionen Euro eingebaut, die | |
Rastatter Wasserwerke haben sich für Aktivkohlefilter entschieden, die | |
Kosten liegen hier bislang bei 6 Millionen Euro. Kosten, die auf den | |
Verbraucher umgelegt werden. | |
Aus Sicht von Adam und Schumann wird von der Politik zu wenig getan, um die | |
PFC aus der Natur herauszuhalten. Eine großflächige Sanierung des | |
verunreinigten Grundwassers und der belasteten Böden, die sie sich wünschen | |
würden, ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu machen. Insgesamt hat das | |
Land aber bereits mehr als 8 Millionen Euro in die Erfassung des Schadens, | |
in Forschungsvorhaben und Managementansätze gesteckt. | |
Doch kann es tatsächlich sein, dass Bürger und Verwaltung Millionenschäden | |
schultern müssen und die mutmaßlichen Verursacher davonkommen? Fragt man | |
beim Verband der Papierindustrie nach, was sie tut, um Verunreinigungen wie | |
die bei Baden-Baden künftig zu verhindern, stößt man auf ohrenbetäubendes | |
Schweigen. Mit dem Hinweis auf laufende juristische Verfahren verweigert | |
deren Sprecher, Gregor Geiger, jede Stellungnahme. Auch deshalb wissen | |
Behörden bis heute nicht, welche PFC in den Papierschlämmen enthalten | |
waren, wonach sie also gezielt suchen könnten. Unklar bleibt deshalb auch, | |
ob anderswo in Deutschland belastete Schlämme in den Kompost geraten sind. | |
Der ehemalige Nabu-Chef und heutige Staatssekretär im | |
baden-württembergischen Landesumweltministerium, Andre Baummann, sprach | |
deshalb schon vor Jahren von einem hektargroßen „trojanischen Pferd“, das | |
die Papierindustrie hinterlassen habe. | |
Wie groß das trojanische Pferd mit Namen PFC aber tatsächlich ist, das weiß | |
nicht einmal das Umweltbundesamt. Die Behörde hat trotz bundesweiter | |
Abfrage nur PFC-Daten aus sechs Bundesländern vorliegen. Was wohl nicht | |
bedeutet, dass die anderen Länder keine Belastung haben, sondern eher, dass | |
dort nicht untersucht wurde. Der Rastatter Landrat Toni Huber vermutet in | |
den fehlenden Regionen eine Vogel-Strauß-Politik: „Das will keiner gern | |
wissen. Aber wenn die mal zu suchen anfangen, dann werden die | |
wahrscheinlich ganz schön überrascht sein“, sagt er. | |
Um endlich einen Überblick über das Ausmaß der Belastung zu bekommen, ist | |
das Bundesumweltministerium (BMU) dabei, eine bundesweite Untersuchung von | |
Äckern, Wiesen und gegebenenfalls auch Wäldern auf PFC-Verbindungen zu | |
finanzieren. Ein Verbot ist jedoch nicht einfach umzusetzen, sagt Thomas | |
Straßburger vom BMU: „Es ist ein bisschen wie das Hase-und-Igel-Spiel. Die | |
Regulierung über die europäische Chemikalienverordnung ist ein mühsamer | |
Prozess.“ Vor allem aber ist es frustrierend. „Kaum ist die Verwendung | |
einer bestimmten Verbindung eingeschränkt, hat die Industrie bereits neue | |
PFC entwickelt, über die man im Zweifelsfall noch weniger weiß.“ | |
Immerhin testen Flughäfen inzwischen PFC-freie Löschschäume, Unternehmen | |
wie Vaude und Jack Wolfskin verzichten auf PFC in ihrer Outdoorkleidung, | |
und L’Oréal hat einige der PFC aus der Kosmetikproduktion gestrichen. Für | |
eine EU-weite Vermeidung hat sich unter anderem auch Bundesumweltministerin | |
Svenja Schulze (SPD) ausgesprochen. Bislang sind jedoch nur zwei der | |
Stoffe, nämlich PFOA und PFOS, weltweit verboten. | |
Eine PFC-Verbindung alle zehn Jahre? Geht die Regulierung der rund 5.000 | |
bekannten Verbindungen in dieser Geschwindigkeit weiter, lässt sich leicht | |
ausrechnen, wie viele Tausend Jahre es bräuchte, um die Gefahr verseuchter | |
Grundwässer zu stoppen. | |
19 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Klatt | |
Benno Stieber | |
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