| # taz.de -- Wie man nachhaltig Weihnachten feiert: Was vom Feste übrig bleibt | |
| > Es ist schon fast Weihnachten und jedes Jahr stellt sich eine Frage | |
| > drängender: Was anfangen mit diesem Fest? Geschenke, Ente, Baum? | |
| > Schwierig 43–45 | |
| Bild: Ziemlich ökologisch: Mini-Baum, fast ohne Plastik und Energie sparender … | |
| Einmal, kurz vor Weihnachten, saß mein Vater mit unserem Förster in der | |
| Dorfkneipe und besprach mit ihm sein Weihnachtsbaum-Problem. Wir wohnten | |
| abgelegen, in einem einsamen Haus im Wald, und wir hatten kein Auto. | |
| „Säg dir doch einen ab“, sagte der Förster, und ab sofort ging mein Vater | |
| an jedem 24. Dezember mit der Säge vor die Tür und kehrte mit einem Baum | |
| zurück. Am ersten Feiertag schlachtete er eines seiner Karnickel, und das | |
| war unser Weihnachtsbraten. Wenn man ihnen nicht zugestehen müsste, dass | |
| sie es recht unkomfortabel hatten, dann könnte man fast sagen, unsere | |
| Eltern hatten es einfach. | |
| Ich selbst bin eine große, ein fast schon besessene Freundin des | |
| Weihnachtsfestes, aber es wird mir zunehmend eine Herausforderung. Nachdem | |
| ich jahrelang an einem perfekten Entenbraten gefeilt habe, ging es mir | |
| irgendwann auf, dass diese Tiere weder gut gehalten und schon gar nicht | |
| freundlich geschlachtet wurden. | |
| Ich suchte und fand eine recht gute Entenbraten-Bezugsquelle. Das Tier | |
| wurde nun recht teuer, aber einige Jahre leistete ich mir das, bis es mir | |
| aufging, dass auch ein solches, ökologisch und artgerecht gehaltenes Tier | |
| nur ein kurzes Leben und einen unschönen Tod hat. | |
| ## Mittlerweile kann ich ein vegetarisches Menü | |
| Mittlerweile kann ich ein vegetarisches Weihnachtsmenü kochen, und an dem | |
| Feiertag, an dem die Familie zusammenkommt, gibt es Raclette. Aber das | |
| Essen von Milchprodukten ist auch keine moralisch ganz saubere Sache. Ein | |
| Raclette ohne Käse aber …? Möglicherweise wird auch diese Tradition also | |
| bald weichen müssen. | |
| Das größte Problem aber stellt der Weihnachtsbaum dar. Ich liebe den | |
| Weihnachtsbaum. Den Geruch, das Harz, ich liebe das Ritual, gemeinsam zum | |
| Weihnachtsbaumhändler zu gehen, gemeinsam einen Baum auszusuchen, ihn | |
| gemeinsam aufzustellen, ihn gemeinsam zu schmücken, mit allem, was die | |
| große Weihnachtsbaumkiste hergibt. | |
| Sämtliche Bastelarbeiten der Kinder, sämtliche Engel mit Wattehaaren, | |
| sämtliche angeschlagenen Weihnachtskugeln, Unmengen von Lichterketten, | |
| Papiersternen und jedem kleinen Scheiß, den wir jemals dafür erworben | |
| haben. | |
| Aber wenn ich ernsthaft über diese wundervolle Tradition nachdenke, und das | |
| tue ich schon seit einigen Jahren, dann wird es mir natürlich klar, dass es | |
| keine gute Sache sein kann, einen ganzen Baum abzuhacken, um ihn nach ein | |
| paar Tagen wegzuwerfen. Ein Wahnsinn ist das eigentlich. Und dennoch habe | |
| ich an dieser Tradition bisher festgehalten. Im letzten Jahr habe ich mich | |
| für einen immerhin ökologischen Weihnachtsbaum entschieden. | |
| ## Ökologisch aber kahl | |
| Da es in meinem Stadtteil keine ökologischen Weihnachtsbäume gab, habe ich | |
| den ökologischen Baum bestellt, was auch nicht direkt eine ökologische | |
| Variante ist, das Bestellen. Dieser Baum hat dann schon nach zwei Tagen die | |
| Hälfte seiner Nadeln verloren, und ich weiß nicht, ob es an den fehlenden | |
| Pestiziden lag, aber schön war das nicht. | |
| Ich überlegte, einen Plastikbaum zu kaufen, der ja immerhin | |
| wiederverwertbar ist, aber in allen Artikeln, die ich dazu recherchierte, | |
| stand geschrieben, dass ein künstlicher Baum keine ökologische Alternative | |
| darstellt. Ein künstlicher Baum ist ein riesiges Plastikding, dass man | |
| irgendwann angeekelt wegwirft. Mittlerweile ist es mir klar geworden, dass | |
| es nur einen wirklich annehmbaren Weihnachtsbaum gibt – keinen. | |
| Da stehe ich also, als eine der größten, fast schon besessenen, | |
| Weihnachtsfreundinnen dieser Welt, ohne Ente, ohne Baum, bald schon ohne | |
| Raclette, und vom Schnee will ich gar nicht reden, vor einem Ende meiner | |
| Traditionen (Und da habe ich noch nicht einmal das Problem mit den | |
| Geschenken besprochen. Den Wahnsinn der Einkäufe, den Wahnsinn der | |
| Verpackung, den Überfluss, die Verschwendung.). | |
| Ich habe es ja eine Zeit lang versucht, diese moralischen Aspekte zu | |
| ignorieren, aber es funktioniert nicht mehr. Eine Ente kann mich nicht mehr | |
| glücklich machen. Ein Weihnachtsbaum kann mich nicht mehr glücklich machen. | |
| Rotkohl geht noch. Rotwein auch. Ich muss mir wohl was Neues erfinden. | |
| Und – hatten unsere Eltern es wirklich einfacher? In einem Haus mitten im | |
| Wald, ohne Auto? War es besser, war es schöner? Sie hatten immer viel | |
| Arbeit, sie waren immer müde, mein Vater schlief oft am Heiligabend schon | |
| früh in seinem Sessel ein. Sie hatten Mühe, Geschenke für uns zu besorgen, | |
| weil es wenig gab, weil sie kaum irgendwo hinkamen, und weil sie nur sehr | |
| wenig Geld hatten. | |
| Sie hatten ihre Probleme, wir haben unsere. Vielleicht sollten wir die | |
| Herausforderung annehmen und neue Traditionen schaffen, das Leben ist | |
| Veränderung, warum sollten Traditionen es nicht auch sein? | |
| 13 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Seddig | |
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