# taz.de -- Malaysisches Magazin „Malaysiakini“: So relevant wie nie | |
> Das malaysische Politikmagazin „Malaysiakini“ wird 20 Jahre alt. Damals | |
> konnte es nur entstehen, weil die Regierung das Internet nicht begriff. | |
Bild: Der Newsroom von Malaysiakini in Kuala Lumpur | |
Kai Hui Wong hatte ihren Heureka-Moment in einer sternenklaren Nacht vor | |
fünf Jahren auf dem Merdeka-Platz in Kuala Lumpur. Wong nahm auf diesem | |
Platz an einer Demonstration von Bersih, der Bewegung für freie Wahlen in | |
[1][Malaysia], teil. „Ich habe in der Nacht über mich, meine Familie und | |
mein Land nachgedacht. Mir wurde klar, dass ich wissen und verstehen will, | |
was in diesem Land passiert“, erzählt Wong, die heute als Journalistin | |
arbeitet. Die 25-Jährige sitzt in einer Kantine, die teilweise überdacht | |
und teilweise unter freiem Himmel ist, in eine Mauer der Kantine sind | |
Ziegelsteine mit Namen eingelassen. | |
Die Menschen, deren Namen dort stehen, haben für das unabhängige, | |
investigative malaysische Politikmagazin Malaysiakini gespendet. Wong, eine | |
malaysische Chinesin, ist seit ein paar Jahren Reporterin und Redakteurin | |
des Onlinemagazins. Malaysiakini hat vor ein paar Tagen seinen 20. | |
Geburtstag gefeiert, als erste reine Internetzeitung hat das Magazin | |
malaysische und asiatische Mediengeschichte geschrieben. | |
Wong, die im vergangenen September in Berlin an einem taz-Workshop für | |
asiatische Journalisten teilgenommen hat, erlebt Malaysiakini im Umbruch. | |
Die Medien genießen seit dem Wahlsieg der Opposition im Mai 2018 mehr | |
Freiheiten. „Wir müssen unsere Rolle neu definieren“, sagt Wong, die in | |
Taiwan Philosophie und Kommunikation studiert hat. Sie arbeitet in der | |
chinesischsprachigen Redaktion des Onlinemagazins, das auch auf Malaiisch, | |
Englisch und Tamilisch erscheint. | |
Im Gegensatz zu Wong, die gerade fünf Jahre alt war, als Malaysiakini an | |
den Start ging, ist Steven Gan schon von Anfang an dabei. Der Chefredakteur | |
war während seines Studiums Aktivist und hat Malaysiakini mitgegründet. Für | |
ihn ist die größte Errungenschaft, dass „wir finanziell überlebt und unsere | |
Unabhängigkeit bewahrt haben“. | |
## Vom Feind zur Institution | |
Der Tag, an dem er mit der taz spricht, bedeutet einen Einschnitt für die | |
malaysische Medienlandschaft. Erst ein paar Stunden vor dem Gespräch ging | |
das malaiisch-islamische Hetzblatt Utusan bankrott. Utusan wurden engste | |
Verbindungen zur Partei United Malays National Organisation (UMNO) | |
nachgesagt, die gemeinhin als nationalistisch und islamisch charakterisiert | |
wird. „Utusan war eine Institution. Wir waren der Feind. Nun sind wir eine | |
Institution. Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl“, sagt Gan. | |
Am 8. Mai 2018 wurde UMNO als Regierungspartei abgewählt. Die Opposition | |
konnte mit einem ungewöhnlichen Spitzenkandidaten triumphieren: Mahathir | |
bin Mohamad, 94, der bis 2003 schon einmal Premierminister war, und zwar | |
ausgerechnet für die UMNO, zu deren Niederlage er nun beigetragen hat. | |
Malaysiakini-Chef Gan erinnert sich gut an die Stimmung nach der Wahl. | |
„Unsere Leser schauten nach dem 8. Mai optimistisch in die Zukunft. Wir bei | |
Malaysiakini taten das nicht. Wir fanden es merkwürdig, dass Mahathir nun | |
die Probleme beseitigen soll, die er selbst in den 22 Jahren seiner ersten | |
Amtszeit geschaffen hat.“ | |
In seiner langen ersten Amtszeit wurde die malaysische Gesellschaft | |
gespalten. Muslimische Malaien wurden Bürger erster Klasse, denen sich | |
Chinesen, Inder, Christen, Buddhisten und Hindus unterzuordnen hatten. Der | |
Islam wurde mithilfe konservativer muslimischer Gruppen und der | |
Unterstützung Saudi-Arabiens zu einer politischen Waffe. Die Opposition und | |
die Medien wurden unterdrückt. Ironischerweise ist es aber ausgerechnet | |
Mahathir, dem das kritische Onlinemagazin seine Existenz zu verdanken hat. | |
Der Politiker mit Hang zu Megaprojekten schuf 1995 einen „digitalen | |
Korridor“, der das zensurfreie malaysische Silicon Valley werden sollte. | |
„Das war für uns das Schlupfloch“, sagt Gan. | |
## In der Grauzone | |
„Mahathir sah das Internet ausschließlich als Wirtschaftsfaktor. Dass das | |
Netz auch ein Ort der Meinungsfreiheit werden könnte, kam ihm nicht in den | |
Sinn.“ Daher habe es damals, anders als für die traditionellen Medien | |
üblich, keinerlei Regulierungen für Medien gegeben, die im Netz erschienen. | |
In dieser Grauzone entsteht Malaysiakini, für das damals Ajinder Kaur als | |
eine der ersten fest angestellten Journalistinnen berichtete. Eine von | |
Kaurs ersten Geschichten: der Prozess gegen [2][Anwar Ibrahim], den | |
politischen Rivalen Mahathirs. Während der ersten Amtszeit Mahathirs Ende | |
der 1990er Jahre war Anwar Ibrahim dessen Stellvertreter und | |
Finanzminister, aber auch Führer der malaysischen Reformasi-Bewegung. | |
Während damals auf dem Höhepunkt der asiatischen Finanzkrise in anderen | |
asiatischen Ländern die Regime mit brutaler und blutiger Gewalt gegen ihre | |
Kritiker vorgingen, warf Mahathir seinen Konkurrenten Anwar wegen | |
angeblicher Homosexualität einfach ins Gefängnis. | |
„Unsere Artikel wurden weltweit übernommen“, erinnert sich Ajinder Kaur. | |
Sie verabschiedete sich jedoch bald wieder von Malaysiakini, weil ihr die | |
ständige Verfolgung durch Polizei und Geheimdienst unerträglich gewesen | |
sei. Zum 20. Geburtstag des Magazins ist sie als Programmdirektorin der | |
neuen Kini Academy aber wieder eingestiegen. „Mit praxisorientierten Kursen | |
wollen wir junge Journalisten fit machen für den mobilen digitalen | |
politischen Journalismus.“ | |
Seit seiner Gründung deckt Malaysiakini Skandale auf, bringt Themen wie | |
Menschenrechte ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, hatte sogar einen | |
beachtlichen Anteil am Wahlerfolg der Opposition. Für ihren mutigen | |
Journalismus wurden Gan und seine Mitstreiter international mit vielen | |
Preisen geehrt. In Malaysia hingegen gehören Polizeirazzien in den | |
Redaktionsräumen, Cyberattacken auf die Server, Einschüchterungen von | |
Redakteuren, Ausschluss von Pressekonferenzen der Regierung und Parteitagen | |
der UMNO zum Alltag. | |
In seiner ersten Amtszeit hatte Mahathir die Redaktion von Malaysiakini | |
noch als „Verräter“ bezeichnet. Nun ist er Chef einer Reformregierung. Sind | |
Mahathir und Malaysiakini also mittlerweile beste Freunde? „Nein“, sagt Gan | |
mit Nachdruck. „Ich habe keine Ahnung, ob er unsere Arbeit respektiert. | |
Aber ich bin mir sicher, dass er weiß, dass wir weiterhin die Wahrheit | |
sagen werden.“ | |
2 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michael Lenz | |
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