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# taz.de -- Abgeschobener Kurde aus Nürnberg: Odyssee mit Hungerstreik
> Murat Akgül ist in Deutschland aufgewachsen. Im letzten halben Jahr
> erlebte er Abschiebung, Ankerzentrum und U-Haft. Jetzt ist er erst mal
> wieder frei.
Bild: Vor der U-Haft: Murat Akgül, abgeschoben und zurückgeflüchtet, in Dona…
Nürnberg taz | Am Donnerstag, dem 18. Tag seines Hungerstreiks, kommt Murat
Akgül aus der Untersuchungshaft frei. Der Kurde aus dem Osten der Türkei,
seit 30 Jahren wohnhaft in Nürnberg, hat zu diesem Zeitpunkt eine
juristische Odyssee hinter sich. Oder wie sein Anwalt Yunus Ziyal
unmittelbar nach der Inhaftierung seines Mandanten feststellte: „Viele
Sachen in diesem Verfahren laufen anders, als man es gewohnt ist.“
Murat Akgüls Geschichte erregte bereits Anfang August Aufsehen. Der Kurde
hatte sich in seiner Heimatstadt Nürnberg immer wieder an Demos und
Kundgebungen beteiligt und, so der Staatsschutz, auch eine Fahne der Miliz
YPG getragen ([1][die taz berichtete]). Es folgten Ende Mai die Ausweisung
in die Türkei und Akgüls Flucht zurück, über die Balkanroute zu seiner
Familie.
Der 36-Jährige hat vier Kinder in Nürnberg, eine Eigentumswohnung, eine
Anstellung. Alle öffentlichen Veranstaltungen, deren Teilnahme ihm zur Last
gelegt wird, waren angemeldet und legal. Auch das Symbol der Kurdenmiliz
YPG ist grundsätzlich [2][in Deutschland nicht verboten], sämtliche
Strafverfahren gegen Murat Akgül wurden eingestellt.
Nach seiner Rückkehr durfte Akgül keineswegs zu seiner Familie
zurückkehren. Da er, um nicht direkt wieder abgeschoben zu werden, Asyl
beantragt hatte, verlegten die deutschen Behörden ihn zunächst ins
Ankerzentrum Donauwörth und später ins Ankerzentrum Augsburg. Mittels
Eilantrag konnte Anwalt Yunus Ziyal verhindern, dass Akgül auf Basis des
Dublin-Verfahrens erneut abgeschoben wurde, diesmal nach Slowenien.
## In Handschellen nach Fürth
Zwei Tage nach diesem juristischen Triumph erhielt Murat Akgül von der
Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth einen Strafbefehl. Die Polizei überführte
ihn in Handschellen von Augsburg nach Fürth. Bei seiner Abschiebung in die
Türkei war ein Einreiseverbot verhängt worden. Das war nur hinsichtlich
seiner Dauer ungewöhnlich: zehn Jahre. In der Regel endeten solche
Verfahren jedoch mit Geldstrafen, maximal Bewährung, so Anwalt Ziyal.
Nicht so im Sonderfall Akgül. Wegen angeblicher Fluchtgefahr ordnete das
Amtsgericht Fürth Untersuchungshaft an. Die Staatsanwaltschaft erklärte am
7. November auf Anfrage, sie halte es angesichts der Umstände für
wahrscheinlicher, dass sich Akgül einem Verfahren entziehe, statt dass er
zu seiner Familie zurückkehre. „Ich halte das für grotesk“, so Yunus Ziya…
„Murat hat hohe Risiken auf sich genommen, um bei seiner Familie zu sein.
Er kommt der Verfügung nach, sich dreimal wöchentlich bei der Polizei zu
melden. Fluchtgefahr liegt meiner Einsicht nach fern.“
Das Fürther Bündnis für Frieden in Kurdistan bezeichnete die Inhaftierung
in einer Pressemeldung als „Racheaktion“ der Justiz, nachdem diese mit der
erneuten Abschiebung gescheitert war. Murat Akgül befand sich zu dem
Zeitpunkt bereits seit mehr als drei Monaten wieder in Deutschland, ohne
dass ein Haftbefehl nötig gewesen wäre.
## Aus Protest in den Hungerstreik
Warum, so das Bündnis, sollte er nun, da ihm keine Abschiebung mehr droht,
fliehen wollen? Nach seiner erfolgreichen Flucht berichtete Murat Akgül von
der Angst, in der Türkei für 15 oder mehr Jahre als Terrorist inhaftiert zu
werden, von der lebensgefährlichen Rückkehr über die Balkanroute, von der
psychischen wie finanziellen Belastung der Abschiebung und ihren Folgen.
Aus Protest gegen die Entscheidung des Fürther Gerichts trat Murat Akgül
noch am Tag des Haftantritts am 28. Oktober in den Hungerstreik. Ärzte
kontrollierten seinen körperlichen Zustand täglich. Gleichzeitig legte sein
Anwalt Haftbeschwerde beim Landgericht Fürth ein, der nun stattgegeben
wurde. Ziyal: „Ich bin froh, dass wir uns nach diesem sinnlosen Intermezzo
auf das Asylverfahren konzentrieren können. Erfreulicherweise konnte in der
Zwischenzeit auch geklärt werden, dass dieses in Deutschland durchzuführen
ist.“
Murat Akgül selbst lässt ausrichten, es gehe ihm so weit gut. Er sei froh,
wieder in Freiheit zu sein. Am Ende der Odyssee, die mit der Abschiebung in
die Türkei begann, ist er damit noch nicht. Bis zum 20. November ist er
wegen den Folgen des Hungerstreiks noch krankgeschrieben. So lange darf er
bei seiner Familie in Nürnberg bleiben. Danach muss er zum jetzigen Stand
zurück ins Ankerzentrum Augsburg
Seine Hoffnung besteht aber darin, dass seine Niederlassungserlaubnis
reaktiviert wird. Und Murat Akgül das Leben zurückbekommt, das er 30 Jahre
lang lebte.
16 Nov 2019
## LINKS
[1] /Abschiebung-in-die-Tuerkei/!5632814
[2] /Kurdische-Symbole-in-Deutschland/!5629632
## AUTOREN
Andreas Thamm
## TAGS
Abschiebung
Kurden
Ankerzentrum
Türkei
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Abschiebung
Türkei
Schwerpunkt Flucht
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flüchtet zurück nach Deutschland. Nun lebt er in einem Ankerzentrum.
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