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# taz.de -- Dramen um Profiboxer: Todesfalle Ring
> In den vergangenen fünf Monaten sind fünf Berufsboxer nach Knock-outs
> gestorben. Wie kann das sein? Und vor allem: Was muss getan werden?
Bild: Dwight Ritchie (r.) boxt im August dieses Jahres gegen seinen australisch…
Dwight Ritchie wurde 27 Jahre alt. Der australische Profiboxer, Vater von
drei Kindern, starb vor einer Woche, nachdem er im Training beim Sparring
einen Körpertreffer kassiert hatte und kurz darauf zusammengebrochen war.
Der Amerikaner [1][Patrick Day] wurde ebenfalls nur 27 Jahre alt. Er starb
im Oktober an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, vier Tage nachdem er in
einem Kampf schwer k. o. gegangen und hart mit dem Kopf auf dem Ringboden
aufgeschlagen war.
Im September kassierte der Bulgare Boris Stanchov in der fünften Runde
eines Kampfes schwere Kopftreffer und starb wenig später. Er wurde 23 Jahre
alt. Der Russe Maxim Dadaschew und der Argentinier Hugo Alfredo Santillán
starben im Juli. Dadaschew steckte in einem Kampf 260 Treffer ein. Das
Duell wurde nach der elften Runde abgebrochen, doch der Vater eines
zweijährigen Sohnes brach auf dem Weg aus dem Ring zusammen. Drei Tage
später erlag er seinen schweren Hirnverletzungen, er wurde nur 28 Jahre
alt. Santillán starb mit 23 Jahren. Er brach nach der Siegerehrung nach
einem Zehn-Runden-Kampf zusammen und erlitt im Krankenhaus ein multiples
Organversagen infolge schwerer Hirnverletzungen.
Fünf tote Profiboxer in fünf Monaten. Das ist entsetzlich. Und das wirft
Fragen auf: Wieso passiert das immer wieder? Können Todesfälle wie diese
verhindert werden? Kann zumindest das Risiko für tödliche Verletzungen beim
Boxen minimiert werden? Oder sollte der Sport schlicht und einfach verboten
werden?
## Verbote oder Duldung des Status quo?
Boxen ist gefährlich. Das wissen die Kämpfer, die Trainer, die Manager,
alle Beteiligten – und sie alle vergessen nicht, darauf hinzuweisen, wenn
sie über den Tod im Ring sprechen.
Boxen ist gefährlich. Heißt: Wer stirbt, ist selbst schuld, weil er die
Gefahr gekannt hat? Wenn es so ist, sollte das Boxen in der Tat verboten
werden. Dann ist dem Sport nicht zu helfen. Egal ob fünf Tote oder einer,
solche Fälle dürfen nicht einfach als Schicksal hingenommen werden.
Allerdings birgt ein Verbot immer die Gefahr, etwas in die Illegalität zu
verlagern. „Dann würde alles noch viel schlimmer werden“, sagt Bernd Bönt…
lange Jahre Manager der Klitschko-Brüder und heute Miteigentümer der
Beratungsagentur PYX Global Sports, die Profiboxer managt.
Auch Stephan Bock, Allgemeinmediziner in Duisburg und Ringarzt des Bundes
Deutscher Berufsboxer (BDB), hält nichts von einem Verbot. „Boxen ist ein
ehrlicher Sport mit guten Regeln, Mann gegen Mann, darin liegt eine gewisse
Ästhetik, das wollen die Menschen sehen“, sagt er. Aber das Profiboxen sei
natürlich nicht frei von Missständen. Dafür ist oft zu viel Geld im Spiel
und es sind zu häufig windige (Unterwelts-)Gestalten am Werk.
Ritchie, Day, Stanchov, Dadaschew, Santillán – diese fünf tragischen
Todesfälle haben wenig gemein. Der Körpertreffer bei Ritchie lässt ein
Herzversagen nach einem unglücklichen Schlag auf die Herzspitze vermuten.
Day war nach einem ersten Treffer angeschlagen, bevor er einen weiteren,
tödlichen Schlag abbekam. Das passierte so schnell, dass dem Ringrichter
sein unterlassenes Eingreifen kaum vorgeworfen werden kann.
Stanchov boxte unter falscher Lizenz, er war als sein Cousin Isus Velichkov
angetreten, über mögliche Vorerkrankungen bei ihm war somit nichts bekannt.
Dadaschew machte trotz einer Vielzahl von Treffern immer weiter und hörte
nicht auf seinen Trainer, der wiederholt einen Abbruch empfahl.
## In rostigen Minibussen
Und Santillán kämpfte, obwohl ihm das nach einer Schutzsperre noch nicht
wieder erlaubt war. Er hatte im Juni bei einem Kampfabend in Hamburg eine
schwere Niederlage gegen Artem Harutyunyan einstecken und dabei enorm viele
harte Treffer kassieren müssen. Zu seinem Schutz verbot ihm der Bund
Deutscher Boxer für zwei Monate den Faustkampf. Santillán stieg nach 34
Tagen wieder in den Ring.
Boxen ist gefährlich. Das steht außer Frage. Mancher Todesfall ist nicht zu
verhindern.
Häufig ist es aber nicht allein der Sport, der den Tod bringt, sondern die
Rahmenbedingungen kommen erschwerend hinzu. Für sehr viele Kämpfer aus sehr
vielen Ländern ist Boxen bis heute in erster Linie ein Broterwerb, eine
Möglichkeit, Geld zu verdienen, auch ohne gute Schulbildung. Da geht es
nicht um Millionengagen, wie sie die Klitschkos kassiert haben oder
[2][Floyd Mayweather junior], der absolute Topverdiener seiner Zunft. Es
geht darum, das Nötigste einzunehmen, um die Familie durchzubringen. Dafür
steigen Kämpfer, die wissen, dass sie es niemals auf die große Bühne
schaffen werden, in rostige Minibusse und lassen sich von düsteren Managern
zu Kampfabenden großer Promoter fahren.
Aus den Boxern der großen Promoter sollen mal große Kämpfer werden,
schließlich wollen die Promoter irgendwann mehr als das Nötigste mit ihnen
verdienen. Also müssen die Kämpfer aus den Minibussen verlieren, wieder und
immer wieder. Dafür werden sie bezahlt. Sie kassieren Schläge und ein paar
Euro und ziehen weiter.
„Der BDB hat hohe Gesundheitsvorgaben“, sagt Mediziner Stephan Bock. Bevor
ein Kämpfer auf einer BDB-Veranstaltung in den Ring steigen darf, muss er
Blut abliefern (um HIV auszuschließen) und ein MRT des Gehirns (wer
deutliche Vorschädigungen hat, darf nicht kämpfen). Frauen müssen mit einem
Schwangerschaftstest nachweisen, dass sie kein Baby erwarten.
Das Problem: Kämpfer, die unter falschem Namen boxen oder gefälschte MRTs
abliefern, werden nicht immer entdeckt. „Und wenn sie irgendwann
neurologisch auffällig sind, boxen sie einfach in anderen Ländern, wo nicht
so genau hingeschaut wird“, sagt Bock. „Die kassieren ihr ganzes Leben lang
Schläge, das ist einfach supergefährlich.“ Denn tödlich ist in aller Regel
nicht der eine Knock-out-Schlag, sondern eine Vielzahl an Kopftreffern, die
das Gehirn zunehmend schädigen.
## Schutzsperren nach harten Duellen
Bernd Bönte hält zudem Doping für eine riesige Gefahr im Boxen. „Ich
glaube, dass sehr viele Boxer dopen“, sagt er. Und gedopte Kämpfer sind
nicht nur eine Gefahr für den Gegner, sondern auch für sich selbst. „Wenn
du gedopt bist bis unter die Schädeldecke, kannst du viel länger
durchhalten und viel mehr Schläge absorbieren“, erklärt Bönte. Die
Schmerzwahrnehmung ist geblockt, der natürliche Überlebensinstinkt
ausgeschaltet. Das Risiko ist hoch, dass später der Zusammenbruch folgt,
weil das Gehirn all die Treffer eben doch nicht aushalten konnte.
Doping ist verboten. Es gibt einige Regeln zur Risiko-Minimierung für die
Boxer: Die medizinischen Checks vor einem Kampf, die Schutzsperren nach
besonders harten Duellen, die Möglichkeit für den Trainer, das Handtuch zu
werfen, oder für den Ringrichter, bei einem angeschlagen wirkenden Kämpfer
die Einschätzung des Ringarztes einzufordern. Es hakt an der Einhaltung
dieser Regeln.
Die Weltverbände schieben die Verantwortung für die Überwachung des
Dopingverbots auf die kleinen Verbände, denen sind die Kontrollen oft zu
teuer. Kämpfer, für die Boxen Existenzsicherung ist, halten sich nicht an
Schutzsperren und umgehen Gesundheitstests. Promoter organisieren
ungleiche Duelle, sogenannte „Mismatches“, um die Bilanzen ihrer
aufstrebenden Boxer aufzuhübschen.
„Der Boxsport steht immer wieder auf der Kippe, im Fernsehen, bei Olympia
und überhaupt“, sagt Bock. „Wir brauchen Schutzprogramme, die weltweit
funktionieren.“
Auch ein paar Regeländerungen könnten helfen. Die Einführung des
Kopfschutzes etwa. Davon halten die meisten Insider allerdings nichts. Sie
beklagen eine eingeschränkte Übersicht mit Kopfschutz und befürchten, dass
dieser dazu verleitet, den Kopf im Kampf weniger gut zu schützen. Eine
Verkürzung der Rundenzeit (von drei auf zwei Minuten wie bei den Frauen)
oder eine stärkere Polsterung der Handschuhe werden ebenfalls diskutiert.
Mediziner Bock wünscht sich die Einführung eines sogenannten „Concussion
Protocol“ wie in der National Football League (NFL), mit dem nach möglichen
Kopfverletzungen überprüft wird, ob der Spieler, verglichen mit früheren
Testergebnissen, neurologische Einschränkungen erlitten hat. Außerdem
fordert Bock mehr Macht für den Ringarzt.
## „Es geht um Menschenleben“
Der Duisburger erinnert an den Kampf von Vitali Klitschko gegen Shannon
Briggs im Oktober 2010 in Hamburg. Briggs wurde nach Strich und Faden
verprügelt, fiel aber nicht um. „Es war der Horror, da zu sitzen und nicht
eingreifen zu können“, sagt Bock. Denn abbrechen kann nur der Ringrichter.
„Vitali hatte sich zum Glück die Fäuste heiß geschlagen und konnte nicht
mehr so fest zulangen, sonst wäre das eine Katastrophe geworden.“
Bernd Bönte fordert, den „Standing Eight Count“ (Anzählen im Stehen) und
die „Three Knockdown Rule“ (Abbruch, wenn ein Boxer dreimal zu Boden
gegangen ist) wieder einzuführen. „Es geht um Menschenleben“, sagt er, „…
sind nicht im alten Rom bei Brot und Spielen bis zum Tod“.
Dagegen stehen der Wunsch der Zuschauer, viel Spektakel zu sehen, der
Wunsch der Fernsehsender, viel Pausenzeit an Werbekunden zu verkaufen, der
Wunsch aller Beteiligten, viel Geld in die eigene Tasche zu stecken und
möglichst wenig für Dopingkontrollen, ärztliche Checks oder teure
Aufbaugegner auszugeben.
Boxen ist gefährlich. Aber nicht jeder Todesfall ist unvermeidlich.
16 Nov 2019
## LINKS
[1] https://edition.cnn.com/videos/world/2019/10/17/patrick-day-boxer-dies-afte…
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Floyd_Mayweather_junior
## AUTOREN
Susanne Rohlfing
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