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# taz.de -- IS-Unterstützungsprozess in Hamburg: Terrorhilfe als Familiensache
> Ein Hamburger Gericht verurteilt eine muslimische Familie aus Neumünster
> wegen Unterstützung des IS, weil sie einer Tochter Geld zum Leben
> überwies.
Bild: Von dort kam das letzte Lebenszeichen von Nalan B.: Rakka 2017 unter Besc…
Hamburg taz | „Komm, komm doch zurück meine Kleine, solange du noch die
Möglichkeit hast“. Als der Richter die Worte des Angeklagten, des Vaters an
seine Tochter verliest, muss dieser sich ein Taschentuch vor´s Gesicht
halten, um seine Tränen zu verbergen. „Ich glaube an nichts von alledem,
was ihr macht“ hat Osman B. seiner Tochter Nalan geschrieben, 2017, ein
gutes halbes Jahr, nachdem sich die [1][junge Frau mit ihrem kleinen Sohn
ins syrische Rakka aufgemacht hat,] um sich dem Islamischen Staat (IS)
anzuschließen, um die Waffe in die Hand zu nehmen.
Ob Nalan B. noch lebt, weiß niemand, bei einem Bombenangriff auf [2][Rakka]
soll sie schwer verwundet, ihre beiden Söhne getötet worden sein. Osman B.
sitzt an diesem Mittwoch als Angeklagter im einem Gerichtssaal des
Sicherheitstrakts des Hamburger Strajustizgebäude. Neben ihm sitzt seine
Frau Yüksel, hinter den beiden die gemeinsamen Kinder Abdul und Canan. Es
ist „das erste Mal“, so betont der Vorsitzende Richter Norbert Sakuth, dass
eine ganze Familie auf der Anklagebank vor der Staatsschutzkammer des
hanseatischen Oberlandesgerichts Platz nimmt.
„Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung“ lautet der gemeinsame
Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft. Die Familie habe Nalan B., der
Jüngsten, insgesamt 27.200 Euro zukommen lassen, wohlwissend dass aus der
Tochter, der Schwester eine IS-Kämpferin geworden war, gewillt alle
Ungläubigen zu töten und im Zweifel auch sich selber. Den Sprengstoffgürtel
für ein Selbstmordattentat, den trug sie im Kampf immer bei sich.
Keiner der vier Angeklagten hat den Weg von Nalan B. ideologisch
unterstützt. Der Vater, ein gläubiger, aber kein radikaler Muslim hat nach
seiner Auswanderung aus der Türkei vor über 30 Jahren alles dafür getan,
dass sich seine Familie, vor allem seine Kinder in Deutschland, im
selbstgewählten Wohnsitz Neumünster, tadellos integrieren. Abdul und Canan
B. haben das Abitur in der Tasche und jeweils ein Studium aufgenommen.
## Eine ganze Familie wurde angeklagt
Nur Nelan, die Kleine, scherte aus der Integrationsgeschichte aus. Als sie
anfing sich immer stärker zu verschleiern, gab es Streit mit dem Vater, der
dadurch ihre Karriereaussichten getrübt sah. Doch dass seine Tochter sich
immer stärker radiikalisierte, dass sie schließlich, Mitte 2016, nach
Syrien aufbrach um für den Gottesstaat zu kämpfen konnte auch Osman B.
nicht verhindern.
„Ich konnte meine Tochter doch nicht aus meinem Leben streichen, nur weil
sie einen Fehler begangen hat“, sagt der Vater. „Meine Kinder sind mein
ganzes Leben“, sagt die Mutter. Und so unterstützen sie die verlorene
Tochter, die abtrünnige Schwester, mit Geldzahlungen, von denen die Familie
glaubt, dass „Nalan Anspruch darauf hat“. Der Vater zahlt fast 10.000 Euro
Schulden an sie zurück, die er sich einst von ihr geliehen hatte, um eine
Rentenversicherung für seine Frau abzuschließen.
Die Geschwister machen auf Anweisung von Nalan B. ihr Hab und Gut zu Geld.
Sie alle wollen Nalan und ihren inzwischen zwei kleinen Söhnen helfen im
Krieg zu überleben. Aber sie wissen auch, dass der IS „Steuern“ von Nalan
B. erhebt, ein Teil der zusammengekratzten 27.000 Euro ihm und seinem
Terrorkampf zugute kommt.
Damit ist für die Staatsanwaltschaft und das Gericht die faktische
Unterstützung der Terror-Vereinigung IS erwiesen, auch wenn – wie Richter
Sakuth in seinem Urteil betonen wird, diese „nicht das primäre Ziel“ des
Geldtransfers gewesen sei, sondern die Angeklagten „aus familiärer
Verbundenheit“ gehandelt hätten. Der Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafen
zwischen zwei und dreieinhalb Jahren für die vier Angeklagten, nur für den
Vater soll eine Zwei-Jahres-Haft zur Bewährung ausgesetzt werden.
## Für das Gericht ist die Unterstützung des IS erwiesen
Das Gericht ist da milder, nimmt in den Blick, dass die Familie bislang
untadelig gelebt hat, niemand hier vorbestraft ist und keineR der Vier die
Leidenschaft von Nalan für den IS teilte. 9 Monate für den Vater, jeweils
15 Monate für Mutter und Bruder und 18 Monate für die Schwester von Nalan
B, die den Geldtransfer maßgeblich organisierte und ihrer Schwester
ideologisch wohl noch am nähesten stand, urteilt das Gericht und setzt alle
vier Haftstrafen zur Bewährung aus.
Das Verfahren markiert einen Wendepunkt in der Strafverfolgung von
IS-SympathisantInnen. Immer öfter klagen die Staatsanwaltschaften Muslime
aufgrund alltäglicher wirkender Handlungen an, die vor dem Hintergrund des
IS-Terrors aber zu einer schweren Straftat mutieren. Bis vor wenigen
Monaten landeten in Hamburg nur Männer als IS-Unterstützer auf der
Anklagebank – zehn Strafverfahren hat das Oberlandesgericht hier seit 2015
durchgeführt. Inzwischen müssen sich aber [3][immer öfter auch Frauen] und
nun erstmals eine gesamte Familie vor Gericht verantworten.
28 Nov 2019
## LINKS
[1] /Islamisten-rekrutieren-Teenager/!5628808
[2] /US-gefuehrte-Angriffe-in-Syrien/!5590800
[3] /IS-Prozess-in-Hamburg/!5610918
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
IS-Terror
Islamismus
„Islamischer Staat“ (IS)
Gefährder
Prozess
Anti-IS-Koalition
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