# taz.de -- Produkte aus dem Westjordanland: Zurück zu den Regeln | |
> Anders als die USA hält die EU am Völkerrecht fest. Wer Etiketten für | |
> Westbank-Produkte ablehnt, handelt im Sinne der Siedler, nicht | |
> proisraelisch. | |
Bild: Im Wein liegt die Wahrheit? Zumindest steht künftig auf dem Etikett, wen… | |
Boykott, Schande, Skandal-Urteil – und sogar: Antisemitismus! Heftiger | |
hätten die Reaktionen einiger deutscher Medien und PolitikerInnen auf das | |
jüngste [1][EuGH-Urteil zur israelischen Siedlungspolitik] kaum ausfallen | |
können. Während die USA erklärten, sie sähen den Siedlungsbau nicht mehr | |
grundsätzlich als völkerrechtswidrig an, hatte der Europäische Gerichtshof | |
[2][kurz zuvor nämlich gegenteilig geurteilt]: Produkte, die nicht aus | |
Israel selbst, sondern aus einer Siedlung im besetzten Westjordanland | |
kommen, müssen in der EU nun als solche gekennzeichnet werden – etwa mit | |
einem Etikett „Erzeugnis aus dem Westjordanland (israelische Siedlung)“. | |
[3][Die Bild] schickte gleich einen Reporter in eine Siedlung, um sich | |
solidarisch mit einem dortigen Winzer zu zeigen. [4][Die Welt ] behauptete, | |
Handelsrecht habe nichts mit Politik zu tun, und sah Antisemitismus am | |
Werk. Und genauso [5][wie die taz] begründete auch der | |
Antisemitismusbeauftragte Felix Klein [6][in der Bild] seinen | |
Antisemitismusvorwurf an die EU mit einem kuriosen Vergleich: Im Falle der | |
Krim müssten Produkte nicht gekennzeichnet werden. Der jüdische Staat werde | |
sonderbehandelt. | |
Hätte sich Klein informiert, bevor er diese abenteuerliche Argumentation in | |
Deutschlands auflagenreichster Zeitung verbreitete, hätte er mit wenigen | |
Google-Anfragen Folgendes erfahren: Die EU kann gar keine Kennzeichnung für | |
Produkte von der Krim verlangen, für diese hat sie ein | |
[7][Komplett-Embargo] erlassen: Produkte von der russisch besetzten | |
Halbinsel dürfen auf dem EU-Markt nicht gehandelt, Investitionen auf der | |
Krim nicht getätigt werden. | |
Das nennt sich Boykott. Was dagegen der EuGH im Fall der Siedlungsprodukte | |
verlangt, nimmt eine wichtige Unterscheidung vor: jene zwischen Israel und | |
den besetzten palästinensischen Gebieten. Ebendiese Differenzierung ist es, | |
die die umstrittene Boykott-Bewegung BDS vorzunehmen verweigert. Sie | |
fordert einen Komplettboykott aller israelischen Produkte, was ihr den | |
Vorwurf des Antisemitismus einbringt. Der EuGH dagegen rüttelt in keinster | |
Weise am regen Handel zwischen der EU und Israel, der durch das | |
[8][Europa-Mittelmeer-Assoziierungsabkommen] mit seinen zahlreichen | |
Freihandelsbestimmungen richtigerweise extra gefördert wird. | |
Während der Krim-Vergleich schlichtweg falsch ist, hinken auch andere | |
vorgebrachte Vergleiche, etwa mit der Westsahara oder Nordzypern. Richtig | |
ist, dass es in beiden Fällen keine Etikettierungspflicht gibt. | |
Handelskonflikte gibt es in beiden Fällen jedoch viele. Alles andere wäre | |
auch fragwürdig: Die EU kann nicht ein Gebiet als besetzt erklären – also | |
die Anerkennung der Souveränität eines Drittstaates über dieses Gebiet | |
verweigern –, es handelspolitisch aber gleich behandeln wie das Mutterland. | |
Im Falle der Westsahara [9][hat der EuGH 2016 im Verfahren „Front | |
Polisario“] die Frage, ob ein EU-Handels- und Assoziierungsabkommen mit | |
Marokko auf das völkerrechtlich nicht als marokkanisch anerkannte Gebiet | |
der Westsahara angewendet werden darf, eindeutig verneint. Dass die | |
EU-Kommission in diesem Jahr aus wirtschaftlichem Eigeninteresse versuchte, | |
das Assoziierungsabkommen zu erweitern, um doch den Handel mit der | |
Westsahara vorantreiben zu können, ist ein Skandal und sollte dringend | |
Gegenstand einer öffentlichen Debatte werden. | |
Es ist also alles komplizierter, als manche KommentatorInnen glauben machen | |
wollen. Wer sich für den Handel mit Siedlungsprodukten unter dem Label | |
„Made in Israel“ ausspricht und eine Debatte darüber als antisemitisch | |
diskreditiert, handelt nicht proisraelisch, sondern im Sinne der | |
Siedlerbewegung – und außerdem [10][im Einklang mit der US-Administration] | |
unter Donald Trump. | |
Die Siedler-Apologeten von Springer bis taz sollten sich im Klaren sein, | |
was für problematische Grundannahmen mit ihrer Positionierung einhergehen: | |
In Bezug auf den Nahostkonflikt treten sie dafür ein, nicht mehr zwischen | |
Israel und den 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden. Dieses Narrativ, | |
das seit Jahren von der Siedlerbewegung vorangetrieben wird, steht im | |
Widerspruch zur Position der UNO, der EU, der Bundesregierung und übrigens | |
auch der israelischen Regierung, die zwar Ostjerusalem und die Golanhöhen, | |
bislang aber nicht die Westbank-Siedlungen annektiert hat. | |
## Faire Verhandlungsposition | |
In Bezug auf internationale Politik allgemein bedeutet das: Wer die | |
Siedlungspolitik verteidigt, akzeptiert, dass Verstöße gegen das | |
Völkerrecht, wenn es politisch opportun erscheint, ohne Konsequenzen | |
bleiben können. Das entspricht zwar – blickt man auf Leute wie Trump, Putin | |
und Erdoğan – dem Zeitgeist, steht aber in krassem Widerspruch zu einer auf | |
Regeln basierten Weltordnung. | |
Schließlich ist auch das immer wieder angeführte Argument grotesk, | |
palästinensische ArbeiterInnen würden von den Siedlungen profitieren und | |
[11][unter Maßnahmen wie der Etikettierungspflicht am Ende selbst leiden]. | |
Den Gedanken muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der materielle | |
Vorteil eines Teils der ansässigen Bevölkerung soll die Besiedlung und | |
wirtschaftliche Nutzbarmachung des Landes durch eine Besatzungsmacht | |
rechtfertigen. Wer ernsthaft so argumentiert, fällt in kolonialistische | |
Argumentationsmuster zurück. | |
Dass die EU anders als die USA an ihrer am Völkerrecht orientierten | |
Position festhält und handelspolitisch konsequent agiert, ist richtig. Den | |
Friedensprozess mag das – wie US-Außenminister Mike Pompeo bemerkte – nicht | |
konkret voranbringen, aber es schafft eine wichtige Voraussetzung [12][für | |
künftige Friedensverhandlungen]: Es sichert den PalästinenserInnen eine | |
faire Verhandlungsposition zu. Die Verurteilung der Siedlungspolitik heißt | |
nicht, dass alle Siedlungen im Westjordanland abgebaut werden müssen. Doch | |
sie zu normalisieren, bevor eine politische Verständigung erreicht ist, ist | |
verantwortungslos. | |
21 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=220534&a… | |
[2] /Von-Israel-besetzte-Gebiete/!5637101 | |
[3] https://www.bild.de/politik/ausland/politik-inland/israel-urteil-des-eugh-z… | |
[4] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article203447596/EuGH-Urteil-Kennzei… | |
[5] /Etikettenpflicht-fuer-Siedlungsprodukte/!5638510 | |
[6] https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/israel-urteil-ueber-mad… | |
[7] https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/06/20/illegal-… | |
[8] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A22000A0621(01) | |
[9] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2016-12/cp160146de… | |
[10] /USA-zu-Israels-Siedlungspolitik/!5638866 | |
[11] /Etikettenpflicht-fuer-Siedlungsprodukte/!5638510 | |
[12] /US-Aussage-zu-Israels-Siedlungsbau/!5638912 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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Urteil des EuGH ist also nur belehrend, Frieden stiftet es sicher nicht. |