# taz.de -- Der Bundesliga-Aufsteiger und sein Image: Aus Kult wird Kitsch | |
> Der FC Union Berlin will nichts Besonderes sein, um was Eigenes zu | |
> bleiben. Das ist richtig harte Arbeit in der überhypten Stadt. | |
Bild: Verschworene Gemeinschaft: Die Union-Gemeinde fühlt sich auch durch bitt… | |
Union will nix Besonderes sein. Da beharren sie drauf, die Fans; bloß nicht | |
glänzen müssen, bloß kein Gegenentwurf sein, das eigene Ding durchziehen, | |
das ja, aber eben: Es ist das eigene Ding. Da haben andere nicht mit | |
reinzupfuschen. Im Grunde muss man in jedem Gespräch mit Unioner*innen | |
beweisen, dass man würdig ist, über Union zu sprechen; und wenn man nicht | |
mal im Nieselregen irgendwo in Brandenburg mit 250 anderen | |
Schlechtgelaunten ein trauriges 0:0 miterleben musste, damals, zu glorreich | |
dunklen Zeiten, dann juckt die Unioner*innen nicht, was man zu sagen hat. | |
Wer nicht mit dem Herzen dabei ist, aus dessen Kopf kann nichts | |
Interessantes kommen. In dieser Hinsicht ist der Klub ein Sinnbild der | |
Berliner Abgrenzungsmentalität. Nicht: mia san mia. Sondern: ick bin icke. | |
Diese Wagenburgmentalität zeichnet die Mannschaft aktuell auch aus. Diese | |
Rückbesinnung auf das Eigene, diese leicht skurril wirkende Abgrenzung von | |
äußeren Maßstäben, das sieht man seit jeher auch auf dem Feld: Fußball wird | |
an der Alten Försterei nur ganz selten gespielt. | |
Es sind schwere Zeiten für Unioner*innen, emotional haben sie gerade sehr | |
viel zu tun: Sie müssen sich viel freuen wegen des guten bis großartigen | |
Saisonstarts. Und sie müssen sich viel ärgern, weil so viele dahergelaufene | |
Tölpel jetzt erklären wollen, [1][was Union eigentlich ist]. Und das | |
Stadionerlebnis! Und das Weihnachtssingen! Und das Bodenständige! Und, | |
natürlich, das Ostige. Für alles müssen sie herhalten, und dann ist auch | |
noch dieses Stadion ständig ausverkauft. | |
Michael Parensen guckt meistens so, als könnte ihn nicht mehr viel | |
überraschen. Auch dass er jetzt Bundesliga spielt, das ist nun einmal so. | |
Mit 33 hat er debütiert, gegen Freiburg, und er hat das gemacht, was man | |
von einem Fundament erwartet: Er war solide, robust, unauffällig. Zum | |
ersten Mal in dieser Saison spielte Union zu null. Michael Parensen, könnte | |
man meinen, kann nichts, davon aber alles, und das obendrein ziemlich gut. | |
Fürs Spektakuläre sind die anderen zuständig, bei ihm sieht Fußball noch so | |
aus, als wäre das der gleiche Sport wie in der Landesliga. | |
## Fern von Leichtigkeit | |
Es ist etwas Nostalgisches in diesem Spiel, aber gleichzeitig ein | |
brutalistischer Realismus; keine Leichtigkeit, sondern vor allem Mühe. | |
Ehrlicher Fußball, raunt man dann pflichtschuldig, und das sagt er ja auch | |
selbst ständig: In diesem Jahr hat er öffentlich vielleicht drei Sätze | |
gesagt, in denen nicht irgendeine Abwandlung des Wortes „Arbeit“ vorkam. | |
Außer er wird zu dem ganzen Bohei befragt, das man um Union drumherum | |
gerade macht. Der Tagesspiegel fragte ihn vor dem allerersten | |
Bundesligaspiel, gegen RB Leipzig war das, ob die beiden Mannschaften | |
eigentlich Antipoden seien; eine These, die schon viele Tastaturen hat | |
rauchen lassen. Und er antwortete sinngemäß: Guck mal, Kirche, Dorf. „Der | |
wahre Gegenpol“, sagte er, „sind die wirklich kleinen Vereine, die Basis, | |
wo ehrenamtlich gearbeitet wird, wo Kinder hingehen und beim Fußballspielen | |
das erste Mal Gemeinschaft erfahren.“ | |
Das ist natürlich eine maximal unspektakuläre Antwort. Mit so einer | |
Perspektive bekommt man kein Theaterstück inszeniert. Das Problem, das | |
viele Unioner*innen haben, ist, dass diese paradebeispielhafte | |
Gegnerschaft, die überall herangeschrieben wird, Union Leipzig immer | |
ähnlicher macht. Das Selbstverständnis verkommt zum [2][Kult], das Kultige | |
degradiert zum Kitsch, und am Ende sitzen 50 Leute in weißen Jacken im | |
Stadion und kreieren ein Telekom-T, auf den besten Plätzen natürlich. Und | |
das sind ganz bestimmt keine Menschen, die schief singen. | |
Union will nix Besonderes sein, um was Eigenes zu bleiben. Das ist maximal | |
unspektakulär, eigentlich eine Provinzklubmentalität, mitten im überhypten | |
Berlin. Gerade deshalb bleibt es harte Arbeit. | |
23 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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