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# taz.de -- Festgenommene Deutsche bei G7: Zehn Wochen Präventivhaft
> Drei Nürnberger Linke wurden auf bloßen Verdacht hin verurteilt. Nun sind
> sie wieder frei – und ärgern sich auch über deutsche Behörden.
Bild: Großaufgebot: 13.000 Polizisten sicherten den G7-Gipfel in Biarritz Ende…
Berlin taz | Vor wenigen Tagen stand Martin Stoltner schon wieder auf der
Straße. Auf einer Kundgebung von Nürnberger Linken gegen die türkischen
Angriffe auf die Kurden im Norden Syriens. Da war der 22-Jährige gerade
erst wieder zurück zu Hause. Bei seiner Familie. In der linken Szene.
Zehn Wochen hatte Stoltner zuvor in Frankreich in Haft gesessen. Rein
präventiv, wegen eines umstrittenen französischen Sicherheitsgesetzes. Am
21. August war der Nürnberger auf einer Autobahn mit zwei befreundeten
Linken, 23 und 18 Jahre alt, [1][festgenommen worden]. Der Vorwurf: Das
Trio sei auf dem Weg zum G7-Gipfel in Biarritz gewesen, habe dort Krawalle
geplant.
Der Fall sorgte für Schlagzeilen, die linke Szene startete eine
[2][bundesweite Solidaritätskampagne]. Auch weil das Trio bis zum Schluss
seine Unschuld beteuerte: Sie seien nur auf dem Weg zu einem Campingurlaub
gewesen. Es half nichts. Nur der 18-Jährige wurde Anfang Oktober
freigelassen und nach mehreren Tagen in Abschiebehaft nach Deutschland
ausgeflogen.
Stoltner und der 23-Jährige saßen bis zuletzt in Haft. Erst jetzt sind alle
drei Männer wieder frei. „Natürlich bin ich erleichtert“, sagt Stoltner d…
taz. „Aber da bleibt auch eine ordentliche Portion Wut. Ein Erschrecken,
wie schnell man in Europa seine Rechte loswerden kann.“
## 13.000 Polizisten im Einsatz
Es war ein Sicherheitsgroßaufgebot, das den G7-Gipfel in Biarritz damals
umrahmte: 13.000 Polizisten sicherten das Treffen der Staatschefs,
französische Behörden fürchteten Ausschreitungen von Gipfelgegnern.
Kooperiert wurde daher im Vorfeld auch mit ausländischen
Sicherheitsbehörden.
Und das deutsche Bundeskriminalamt arbeitete kräftig zu, wie nun die
Antwort auf eine Linken-Anfrage belegt, die der taz vorliegt: Demnach wurde
den Franzosen vor dem Gipfel eine Warnliste mit 121 Namen deutscher Linker
geliefert.
Eine Liste, die offenbar auch Martin Stoltner und den anderen beiden
Nürnbergern zum Verhängnis wurde.
Stoltner, Erzieher in der Ausbildung, heißt eigentlich anders. Auch schon
vor der Haft in Frankreich trug er seinen Namen nicht in die
Öffentlichkeit: Er ist Teil der linksradikalen Szene Nürnbergs, die ihre
Identitäten für sich behält. Am 21. August sei er mit anderen auf dem Weg
zu einem Zeltplatz im baskischen Lekeitio gewesen, erzählt Stoltner. An
einer Mautstation nahe Biarritz habe die Polizei sein Auto mit den beiden
anderen Nürnbergern plötzlich gestoppt. „Wir haben erst mal gar nicht
gecheckt, was los ist“, erinnert sich Stoltner. Dann sei man verhaftet
worden.
## Verzweifelte Eltern, schnelle Urteile
Es sind die Eltern der drei, die sich in den Folgetagen an die
Öffentlichkeit wenden, auch an die taz. „Mein Sohn ist seit letzten
Mittwoch verschwunden“, schrieb Stoltners Mutter. Nur durch Medien habe sie
von der Verhaftung erfahren. „Die Umstände und Gründe bleiben im Dunkeln.“
Es gebe keinen Kontakt, die Verhafteten hätten keine eigenen Anwälte.
„Unsere Verzweiflung wächst.“
Tatsächlich waren Martin Stoltner und die anderen beiden da bereits
verurteilt, in einem Schnellverfahren nach zwei Tagen: zu zwei und drei
Monaten Haft. Grundlage ist ein französisches Sicherheitsgesetz, das es
verbietet, sich zu „Gewalttaten gegen Personen oder Gegenständen“
zusammenschließen – die unterstellte Absicht reicht hier bereits. Und das
französische Gericht verwies auf Gegenstände, die im Auto der Nürnberger
gefunden worden seien: linke Literatur und Aufkleber, Sturmhauben,
Pfefferspray, ein kleiner Hammer, Schutzkleidung. „Die perfekte Ausrüstung
für den schwarzen Block.“
Stoltner weist das zurück. Alle Gegenstände seien legal, der Hammer „eine
reine Erfindung“. Und die Schutzkleidung sei lediglich Box-Equipment
gewesen, mit dem man im Urlaub trainieren wollte. Tatsächlich blieb auch
vor Gericht die Lage unklar, weil die angeblichen Beweisstücke aus dem Auto
nicht mehr auffindbar waren. Das Trio wurde schließlich vom Waffenbesitz
freigesprochen – aber dennoch für die vermeintlich geplante Randale
verurteilt. Für Stoltner ein Unding. Und: „Selbst wenn wir zum G7-Gipfel
gewollt hätten, wäre das kein Grund gewesen, uns für nichts einzusperren.
Das ist einfach nur politische Willkür.“
Und offenbar war es die Zuarbeit der deutschen Behörden, welche die
Grundlage für die Verhaftung legte. Denn Martin Stoltner und der Älteste
des Nürnberger Trios werden laut Bayrischen Rundfunk bei der Polizei als
„Gewalttäter links“ geführt. So habe Stoltner bei Protesten gegen einen
AfD-Parteitag einen Polizisten mit einer Fahnenstange geschlagen. Er selbst
spricht von einem „Demo-Gerangel“.
## Wer stand auf der BKA-Liste?
Das bayrische LKA und die Bundesregierung geben sich bedeckt, ob die drei
Nürnberger zu den 121 Linken gehören, deren Daten an die Franzosen
geschickt wurden. „Aus Gründen des Staatswohls“ könne man dazu nichts
sagen, erklärt das Innenministerium. Dies ließe Rückschlüsse auf die Arbeit
der Sicherheitsbehörden zu. Martin Stoltner aber sagt, im Zuge der
Prozesses in Frankreich sei klar geworden, dass sie auf einer Liste der
Polizei standen. Einem der Mitbeschuldigten sei zudem offenbart worden,
dass er ein Einreiseverbot nach Frankreich habe. Dieser, erzählt Stoltner,
hätte allerdings selbst nichts davon gewusst.
Auf Anfrage der Linken im Bundestag räumt das Innenministerium zumindest
ein, dass die 121 übermittelten Namen Personen betrafen, die als
linksmotivierte Straftäter eingetragen seien und bei internationalen
Großereignissen polizeilich in Erscheinung traten oder die „intensive
Kontakte zu ausländischen Aktivisten“ mit Gewaltbezug unterhielten. Dazu
habe auch die Bundespolizei 19 Personendaten mitgeteilt. Auch seien den
Franzosen „Anreisen bzw. geplante Teilnahmen an Protestveranstaltungen
gegen den G7-Gipfel in Biarritz übermittelt“ worden.
Für das Nürnberger Trio endete das in Haft. Auch eine Berufungsverhandlung
vor einem Gericht im französischen Pau bestätigte Mitte Oktober die
Verurteilung. In Deutschland mobilisierte die linke Szene derweil zu
Solidaritätsaktionen für „die drei von der Autobahn“, hisste ein Großban…
an der Nürnberger Stadtmauer. Und Stoltner schrieb einen Brief aus der Haft
zurück: „Dieser Scheiß ist eben auch ein Part von unserem revolutionären
Weg.“ Die Solidarität aber sei „großartig“. Ein Bekenntnis. „Wir habe…
verneint, dass wir Linke sind“, sagt Stoltner. Und nur der öffentliche
Druck habe die Chance ermöglicht, ein völlig überzogenes Urteil zu
verhindern.
Beim G7-Gipfel in Biarritz blieben die erwarteten Ausschreitungen derweil
weitgehend aus. Und Stoltner wurde schließlich am 30. Oktober abgeschoben,
der Älteste der Nürnberger wenige Tage zuvor vor die Gefängnistür gesetzt.
Als Stoltner schließlich in München landete, wurde er nach eigenen Angaben
auch dort noch mehrere Stunden von Bundespolizisten befragt. Stoltner
bleibt nun ein dreijähriges Einreiseverbot nach Frankreich.
## Angriff auf Demonstrationsfreiheit
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke nennt den Fall einen Skandal – an dem
deutsche Behörden mitschuldig seien. Deren Datenübermittlung an die
Franzosen sei ein „reiner Willkürakt“. „Die Denunziation von 121 Personen
als vermeintliche Linksextremisten ist ein Angriff nicht nur auf deren
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch auf ihre
Demonstrationsfreiheit.“ Im Fall der drei Nürnberger habe man gesehen,
welche fatalen Folgen dies haben könne.
Martin Stoltner indes macht politisch weiter, wie jüngst auf der
Rojava-Kundgebung. „Es gibt genug Gründe, gegen den Rechtsruck und die
Schweinereien in Europa anzukämpfen“, sagt der Nürnberger. Der
Knastaufenthalt in Frankreich habe ihn darin nur noch bestärkt.
NaN NaN
## LINKS
[1] /Festgenommene-Deutsche-bei-G7/!5620710
[2] https://www.redside.tk/2019/09/02/ueberblick-und-solidaritaetsaktionen-zu-d…
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
G7 Gipfel Biarritz
G7
Schwerpunkt Frankreich
BKA
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Radikale Linke
Pfefferspray
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