# taz.de -- Azubis auf der Bühne: Er macht es richtig | |
> Betriebe suchen Nachwuchs, doch Geflüchtete haben es schwer: Beim Skill | |
> Slam in der Urania will Samiullah Malikzada seine Geschichte erzählen. | |
Bild: Sami Malikzada will anderen Geflüchteten Mut zu einer Ausbildung machen | |
Wie ein Selbstdarsteller wirkt Samiullah Malikzada, genannt Sami, nicht. Er | |
spricht ruhig, mit zurückhaltenden Gesten und scheint es nicht gewohnt zu | |
sein, fotografiert zu werden. Am Freitag aber will der in Kabul geborene, | |
frisch gebackene Kaufmann für Büromanagement auf der Theaterbühne der | |
Urania seine Geschichte erzählen. Beim Skill Slam, einem Bühnenwettstreit | |
von Auszubildenden, wird der 26-Jährige seine Motivation und seinen | |
Werdegang zum Besten geben. Nur zehn Minuten hat er dann Zeit, um das | |
Publikum von sich zu überzeugen. Es ist eine Premiere, nicht nur für | |
Malikzada, auch für die Urania. | |
„Neben Samiullah werden auch ein Veranstaltungstechniker, eine Metzgerin in | |
Ausbildung, eine Bühnenmalerin und eine Fitnesskauffrau antreten“, erzählt | |
Jochen Müller von der [1][Urania] der taz. Müller, der selbst als | |
Science-Slammer auftritt, erklärt, dass es nach zehn Jahren erfolgreicher | |
Wissenschaftsslams auch mal wichtig sei, „die Azubis auf die Bühne zu | |
holen“. | |
Das Ausbildungssystem in Deutschland werden in anderen Ländern oft als | |
vorbildlich wahrgenommen – und doch strebten hierzulande fast alle jungen | |
Menschen an die Unis. Die Folge sei der Fachkräftemangel in | |
Ausbildungsberufen, meint der promovierte Neurowissenschaftler, der die | |
Sonderprojekte der Urania organisiert. Dem gelte es entgegenzuwirken, auch | |
mit dem neuen Format Skill Slam. | |
Sami Malikzada aber möchte mit seiner Performance nicht in erster Linie dem | |
Fachkräftemangel abhelfen, sondern jungen Menschen Mut machen, die wie er | |
eine Fluchtgeschichte erlebt haben. Insbesondere an Berufschüler*innen | |
denke er dabei. „Ich möchte ein wahres Beispiel geben, dass das möglich | |
ist: die Herausforderungen als Zuwanderer zu erleben, zu kämpfen und dann | |
auch Erfolg zu haben“, sagt der angehende Slammer der taz. Es gelte | |
weiterzumachen, trotz allem. | |
## Ein Problem: die Fachsprache | |
Trotz allem – das meint die Schwierigkeiten, die bei Zugewanderten | |
hinzukommen. „Zum Beispiel ist da die [2][Fachsprache]“, meint Malikzada. | |
Selbst wenn man, wie er, schnell und gut Deutsch gelernt habe, seien | |
branchenspezifische Begriffe, die Rechtschreibung, aber auch | |
zwischenmenschliche Codes unter den Kolleg*innen eine Herausforderung: „Die | |
deutsche Kultur ist sehr diplomatisch. In Afghanistan sagt man direkt, wenn | |
etwas nicht stimmt“, meint der Bürokaufmann, der in einem Berliner | |
Verlagshaus seine dreijährige Ausbildung gemacht hat. | |
In der Berufsschule wiederum sei neu für ihn gewesen, dass es jede Woche | |
Tests gab. In einer Art Fachhochschule hatte er in Kabul nach der neunten | |
Klasse schon Vorkenntnisse sammeln können. „Dort gab es aber nur einmal im | |
Jahr eine große Prüfung.“ Aktive Benachteiligung habe er aber weder im | |
Lehrbetrieb noch im Oberstufenzentrum Handel in Kreuzberg erlebt. „Ich habe | |
eigentlich ziemlich gutes Feedback bekommen. Meine Leistungen in der | |
Berufsschule waren am Anfang noch schlecht, später hatte ich aber nur noch | |
Noten zwischen Eins und Drei.“ | |
Doch auch die äußeren Voraussetzungen gehören zu einer | |
Ausbildungsgeschichte. „Ich hatte ja keine finanzielle Unterstützung durch | |
meine Familie“, erklärt Malikzada. Eher sei es so, dass er seiner Familie | |
in Afghanistan unter die Arme greifen möchte. Deshalb habe er während der | |
Ausbildung am Wochenende auf Basis von Honorarverträgen als Dolmetscher in | |
einem Wohnheim für Geflüchtete gearbeitet. Daneben ist Malikzada noch | |
ehrenamtlich in einem diskriminierungsfreien Sportverein im Wedding | |
engagiert „Manchmal blieb einfach keine Zeit mehr für mich selbst. Dazu | |
kommt noch die Wohnungssuche“, erklärt er. | |
Und wie ist das mit Heimweh? „Wenn ich Heimweh habe, dann sage ich mir: | |
Heimat ist dort, wo du sicher bist, wo du frei bist, wo du eigenständig | |
arbeiten kannst. Das ist meine Antwort auf das Heimweh. In Afghanistan bist | |
du nur ein Stückchen. Du kannst nichts verändern. Alle sind an allem | |
beteiligt.“ 2013 ist Malikzada vor den Konflikten in Afghanistan nach | |
Deutschland geflohen. | |
## Job bei der Internationalen Handelskammer | |
Nach Herzberg in Brandenburg ist er zunächst gekommen. Dort habe er | |
Vorurteile, aber auch offene Fremdenfeindlichkeit erlebt, so Malikzada. Vor | |
der Unterkunft dort hätten sich Herzberger*innen auch zu Montagsdemos | |
getroffen. Der Aufenthaltstitel habe ihm schließlich erlaubt, nach Berlin | |
zu einem Bekannten zu ziehen. „Hier fühlst du dich als Ausländer einfach | |
weniger einsam. Außerdem komme ich aus Kabul, ich habe auch die Großstadt | |
vermisst.“ | |
Der Job, den er jetzt nach seiner Ausbildung bei der Internationalen | |
Handelskammer angenommen habe, erleichtere sein Leben deutlich, sagt der | |
Mittzwanziger. „Ich muss jetzt keine Prüfungsleistungen mehr bringen, bin | |
nicht mehr auf einen Doppeljob angewiesen und habe einen guten Verdienst.“ | |
Zu lernen war allerdings, selbstständig, ohne die Unterstützung seiner | |
Ausbilderin zu arbeiten. | |
Und was antwortet Malikzada auf die abgedroschene Frage, wo er sich | |
beruflich in fünf Jahren sieht? „In meiner Ausbildung habe ich Marketing, | |
Vertrieb und Buchhaltung gelernt. Ich will in den nächsten Jahren meine | |
Stärke herausfinden und mich darauf spezialisieren. Und vielleicht kann ich | |
irgendwann Verantwortung für eine Abteilung übernehmen. Wenn man hart | |
arbeitet, möchte man auch Ergebnisse sehen.“ Und schließlich ist er frisch | |
verlobt und bereit, eine Familie zu gründen. | |
Malikzada ist kein Selbstdarsteller, aber ehrgeizig. Beim Skill Slam wird | |
er sicher überzeugen. Zur Verabschiedung zitiert der Kaufmann einen Lehrer | |
aus Kabul, den er sehr mochte: „Entweder man macht gar nichts, aber wenn du | |
etwas machst, mach es richtig.“ | |
6 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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Elke Breitenbach | |
Elke Breitenbach | |
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