| # taz.de -- Neuer Ferienpark auf dem Priwall: Ein Dorf ist nicht genug | |
| > Die Halbinsel Priwall in der Travemündung lag bis vor ein paar Jahren im | |
| > Dornröschenschlaf. Dann kamen die Investoren. | |
| Bild: Viel Veränderung: Der Investor Sven Hollesen vor seinem im Bau befindlic… | |
| Travemünde taz | Es weht ein kalter Wind in Travemünde. Schneidend und | |
| eisig dringt er durch jede Jacke. Die kleine Autofähre, die gerade | |
| zurückkommt, schaukelt auf den Wellen. Das Meer ist tiefblau, der Himmel | |
| oben drüber hell, fast weiß. Kleine Schaumkronen wandern auf den Wellen | |
| Richtung Land. Ein Fährarbeiter in neongelber Arbeitsjacke verkauft | |
| Fährtickets durch die Autofenster. Vor seinem Bauch hängt eine | |
| Schaffnertasche mit Münzwechsler. Nordisch wortkarg lotst ein weiterer | |
| Neongelber die Autos Richtung Fähre, die gerade angelegt hat. | |
| Travemünde, der östlichste Stadtteil von Lübeck, liegt direkt an der | |
| Ostsee. Das Seebad mit dem berühmten Maritim-Hotel, dem höchsten | |
| Leuchtfeuer Europas, ist ein beliebter Badeort. Bis zu seiner Schließung | |
| 2012 machte das berühmte Casino Travemünde auch weit über Lübecks Grenzen | |
| hinaus bekannt. Auf der Promenade drängen sich im Sommer viele Tausend | |
| Badegäste. Blickt man, Travemünde im Rücken, Richtung Osten über die Trave, | |
| liegt dort der Priwall, eine kleine Halbinsel in der Travemündung. Weil der | |
| Priwall zu Travemünde und damit zu Lübeck gehört, wurde er durch die | |
| Grenzschließung zwischen BRD und DDR nach dem zweiten Weltkrieg praktisch | |
| abgeschnitten. Im Osten war der Grenzzaun, im Westen die Trave. | |
| Setzte man im Sommer mit dem Rad über, war man wie in einer anderen Welt. | |
| Zum wuseligen Travemünde war der Priwall ein Kontrast. Mit dem Rad fuhren | |
| wir mitten auf der Straße an verschlafenen, gemütlichen Kleingärten und | |
| Campingplätzen vorbei nach Osten. Überall war es grün, hohe Bäume | |
| verdeckten den direkten Blick aufs Wasser. Über Trampelpfade schoben wir | |
| unsere Räder irgendwann an den breiten Strand. Die Küste war hier wild und | |
| der Strand meist sehr viel leerer als auf der anderen Seite der Trave. | |
| Keine fünf Minuten dauert die Überfahrt. Auf der anderen Seite angekommen | |
| führt die zwei Kilometer lange Mecklenburger Landstraße bis nach Pötenitz, | |
| einem kleinen Dorf auf Seite der damaligen DDR. Es ist noch die alte | |
| Straße, von Birken gesäumt. Einen Fahrradweg gibt es immer noch nicht. Kurz | |
| hinter dem Fähranleger preist ein Schild aber jetzt die „Beach Bay“ an. | |
| Links abbiegen, dann ist man schon da. Vor mir liegt eine große Baustelle. | |
| Die meisten Gebäude stehen schon. | |
| Vor ein paar Jahren fing der Investor Sven Hollesen damit an, einen | |
| Ferienpark mit frei stehenden Häusern im dänischen Stil auf dem Priwall zu | |
| bauen. Hinter Bäumen geduckt liegen sie in den Dünen, etwa 400 Meter vom | |
| Jachthafen entfernt. Jetzt lässt Hollesen zusätzlich ein etwa 61.000 m2 | |
| große Areal direkt an der Wasserkante zur Trave bebauen, für etwa 175 | |
| Millionen Euro. Der massive Komplex soll 2020 fertig sein und erstreckt | |
| sich bereits jetzt als dominante Front entlang der Marina auf dem Priwall. | |
| Es ist das gleiche Projekt, der zweite Teil. Im Vergleich zum | |
| skandinavischen Feriendorf in den Dünen wird hier aber ordentlich | |
| aufgestockt. | |
| Noch schallt Baulärm durch die neuen Straßen, Kabel und Anschlüsse ragen | |
| aus dem Boden, Bagger und LKW rollen hin und her, Baumaterialien liegen | |
| verpackt am Straßenrand. Schon 2006 wurde das Projekt von dem Dänen | |
| Hollesen und seiner Ferienimmobilien-Gruppe Planet-Haus angekündigt. 2014 | |
| folgte die Baugenehmigung der Stadt für den Teil des Geländes, der direkt | |
| am Jachthafen liegt. Im September 2014 musste nach 55 Jahren der | |
| Campingplatz „Strandcamping Priwall“ schließen, auf dem viele Dauercamper | |
| ihren Sommer verbrachten, und Platz machen für das „Ferienresort Travemünde | |
| Waterfront“ mit 32 sogenannten Dünenvillen. Vor den Dünenvillen, direkt | |
| entlang des alten Jachthafens, bilden 16 weiße, viereckige | |
| „Promenadenvillen“ eine Front zum Wasser hin. In allerbester Lage, direkt | |
| am Kai, stehen vier „Passatvillen“. Diese roten Gebäude erinnern an | |
| Schiffscontainer und ragen teilweise auf Stelzen bis übers Wasser. Vor | |
| dieser ganzen Kulisse prangt, alt und stolz, ihr Namensgeber, das | |
| Wahrzeichen von Travemünde: die 1911 bei Blohm & Voss in Hamburg erbaute | |
| Viermastbark „Passat“. | |
| Die Promenadenvilla Nummer 10 ist schon fertig, zumindest fast. Im ersten | |
| Stock gibt es eine Musterwohnung: zwei Schlafzimmer, Bad mit Sauna, | |
| Terrasse mit Hafenblick. Die Türklinken sind niedriger als gewöhnlich, es | |
| gibt keine Türschwellen oder Stufen. Es ist eine rollstuhlgerechte Wohnung. | |
| Ein Großteil der neuen Ferienwohnungen soll rollstuhlgerecht oder zumindest | |
| barrierefrei werden. | |
| Sven Hollesen, ein schlacksiger Mann, der blaue Wildlederschuhe trägt, | |
| schaut vom Balkon der Promenadenvilla 10 auf eine der Passatvillen. Das | |
| Gebäude ist noch komplett eingerüstet. Leise weht Radiomusik der | |
| Bauarbeiter herüber. „Ja, das ist noch nicht ganz fertig“, lacht er. „Ab… | |
| gucken Sie doch mal, wie schön der Blick ist.“ Der gebürtige Däne ist | |
| freundlich und gut gelaunt. Er ist zuversichtlich, dass das Projekt 2020 | |
| fertig wird. Die konkreten Pläne hätten sich immer mal wieder geändert. „Es | |
| gibt sehr unterschiedliche Wege, die ans Ziel führen, aber das Ziel ist | |
| immer gleich geblieben“, sagt er. | |
| Die Priwallaner, wie sich die Bewohner der etwa drei Kilometer langen | |
| Halbinsel nennen, seien nicht alle überzeugt, meint Hollesen. Immer wieder | |
| versuchten sie das Projekt in seiner jetzigen Gestalt zu verhindern, es gab | |
| Bürgerinitiativen und Klagen. „Bei solchen Sachen gibt es immer zwei | |
| Meinungen, weil wir alle Demokraten sind. Und das ist auch gut so“, sagt | |
| Hollesen. Daran, dass das Projekt kommen würde, hätte es aber nie Zweifel | |
| gegeben. „Kommen Sie, wir gucken uns ein bisschen um.“ | |
| Hollesen zieht eine gelbe Baujacke über sein Stoffsakko, verlässt die | |
| Musterwohnung und geht mit schnellen Schritten voran über die Promenade, | |
| vorbei an der „Passat“, bis zur nördlichsten Spitze des Projekts. Direkt | |
| bei der Personenfähre, die noch kleiner ist als die Autofähre, steht ein | |
| eindrucksvolles Gebäude mit großer Fensterfront zum Strand und riesigen | |
| Türen. Der Boden besteht noch aus blankem Estrich, dicke Lüftungsrohre | |
| stehen mitten im Raum. Der Fernsehkoch Steffen Henssler macht hier ein | |
| „Ahoi“-Restaurant auf. „Am 26. November ist große Eröffnung“, Hollesen | |
| steigt über Leitungen und Kabel und deutet in den Raum, der später einmal | |
| die Küche werden soll. „Hier wird dann bald fleißig gekocht.“ Die | |
| Küchengeräte aus Edelstahl stehen schon, noch in Plastik verpackt. | |
| Etwa 300 Meter die Promenade runter entsteht ein großes Hotel. „Slow Down“ | |
| soll eine Hotelkette werden und in Hollesens Privatbesitz bleiben. Das | |
| Tagungscenter im Hotel wird bereits fleißig beworben. Auch das Hotel soll | |
| 2020 fertig werden, aber im Inneren sind die Wände noch unverputzt, auf dem | |
| Boden liegen die Leitungen noch frei. „Hier kommt ein riesiger Screen hin“, | |
| sagt Hollesen und zeigt auf eine zwei Stockwerke hohe Wand. Im Erdgeschoss | |
| hat das Gebäude noch keine Fenster. Es ist kalt. Auf einem Gerüst arbeiten | |
| zwei Männer an den Rohren an der Decke. „Da vorne steht dann eine Glaswand, | |
| die auf Knopfdruck zu Milchglas wird. Und dahinter kommt auch ein riesiger | |
| Screen an die Wand.“ Hollesen sagt: „Man wird hier unten einen Knopf | |
| drücken können und alle Screens gleichzeitig an machen und eine Rede halten | |
| oder so. Dann kann man das auch in den Zimmern sehen.“ Dabei strahlen seine | |
| Augen und seine Hände beschreiben einen großen, alles umschließenden Kreis. | |
| 2,5 Kilometer weiter Richtung Osten, kurz vor der ehemaligen Grenze fühlt | |
| man sich wie in einer anderen Welt. Zurück auf dem alten Priwall, wie er | |
| war, bevor Investoren wie Hollesen kamen. Hier ist die Halbinsel nur etwa | |
| 150 Meter breit. Niedrige Wohnhäuser bilden eine kleine Siedlung. Nach dem | |
| Krieg für Flüchtlinge gebaut, heute von vielen alteingesessenen | |
| Priwallanern bewohnt, thronen die Häuschen nur etwa drei Meter über | |
| Normalnull zwischen der Ostsee und der Trave-Ausbuchtung Pötenitzer Wiek, | |
| die den Priwall im Süden begrenzt. Hier wohnt Günter Wosnitza mit seiner | |
| Frau. Das kleine Haus mit dem schönen, wilden Garten ist umgeben von | |
| anderen kleinen Holzhäusern und Hütten, alle dicht beieinander, Garten an | |
| Garten. Man hat das Gefühl in einer Kleingartensiedlung zu stehen. Die Wege | |
| sind nur zu Fuß erreichbar. Parken muss man am Straßenrand an der | |
| Hauptstraße. | |
| Gleich am Eingang des Gartens begrüßt mich ein großer getigerter Kater. Im | |
| Haus der Wosnitzas ist es warm und es riecht nach Kaffee. Betritt man die | |
| Hütte, steht man bereits in der Küche, die zugleich das Wohnzimmer ist. | |
| Viele Pflanzen hängen und stehen verteilt. Es stapeln sich Bücher und | |
| Zeitschriften neben dem Sofa. | |
| ## Ein ganzer Stadtteil nur für Feriengäste | |
| Günter Wosnitza ist ein echter Priwallaner. Seit 1952 wohnt er hier. Das | |
| Haus ist sein Elternhaus. Er hat aus der Holzhütte nach und nach ein Haus | |
| gemacht. „Mein Mann hat damals Steine von den Nachbarn geschenkt bekommen. | |
| Da war das Haus noch komplett aus Holz. Baumaterialien gab es ja nicht so | |
| einfach nach dem Krieg“, sagt seine Frau. „Ich habe noch mitgeholfen, das | |
| Dach zu decken“. | |
| Günter Wosnitza räumt den Esstisch frei. Er schiebt eine Zeitung zur Seite | |
| und findet darunter seine Lesebrille. Es gibt Wasser aus dem Wasserhahn. | |
| Wosnitza setzt sich an den Tisch. Er streckt seine Beine aus. Die Füße | |
| stecken in weißen Birkenstock-Schlappen. „Das hier war ja früher eine | |
| Flüchtlingssiedlung“, sagt er und deutet aus dem Fenster. Die Einwohnerzahl | |
| habe sich damals verdoppelt und das mit katastrophalen Folgen. „Hier wurden | |
| dann Baracken bis an die Grenze gebaut, alles ganz eng zusammen.“ | |
| Wosnitza sieht das neue Projekt am Passathafen kritisch. „Die bauen da was | |
| hin, was hier nicht her passt“, sagt er. Das erste Feriendorf von Hollesen | |
| findet Wosnitza in Ordnung. „Die sind im skandinavischen Stil, das ist ja | |
| auch Geschmackssache, aber mir gefällt das ganz gut.“ Er blättert in einer | |
| Ausgabe der Travemünde Aktuell, dem lokalen Nachrichtenmagazin für | |
| Travemünde und den Priwall. „Die fügen sich gut in die Dünen ein und sind | |
| nicht so eng an eng gebaut, das ist schon in Ordnung so.“ Das was Hollesen | |
| und seine Planet-Gruppe jetzt aber am Hafen vorn aus dem Boden stampfen | |
| würden, wäre das Ergebnis völlig verfehlter Politik. „Da wird ein ganzer | |
| Stadtteil neu gebaut, nur für Feriengäste.“ | |
| ## Abgang der Jungen | |
| Im Herbst 2015 schloss die „Arche Noah“, der einzige Kindergarten auf dem | |
| Priwall. Es war ein Symptom dessen, was sich seit Jahren abzeichnet: Junge | |
| Leute, geschweige denn Familien leben auf dem Priwall so gut wie keine | |
| mehr. Das liegt auch daran, dass der Ort noch immer abgeschnitten ist, von | |
| Travemünde aus ist er nur mit einer der Fähren über die Trave erreichbar, | |
| eine Jahreskarte für einen PKW kostet 665 Euro. Oder man fährt einen | |
| riesigen Umweg vom Osten über Dassow in Mecklenburg. Beides ist vielen zu | |
| unbequem. Die Berufsschule am Hafen schließt jetzt auch bald, das | |
| Krankenhaus ist bereits zu und teilweise abgerissen, auf dem Gelände | |
| eröffnete jetzt ein neuer Edeka Lebensmittelmarkt. Am Fährhafen gibt es ein | |
| Seniorenheim, obere Preisklasse. Das bleibt. | |
| „Man müsste doch mal über bezahlbares Wohnen nachdenken“, sagt Günter | |
| Wosnitza. Für Familien sei es einfach zu teuer. „Hier dominieren die, ich | |
| sage jetzt mal besser gestellten Senioren. Das ist doch eine völlige | |
| Schieflage.“ | |
| Veränderungen stünde er ja prinzipiell offen gegenüber, sagt Wosnitza. Dass | |
| der Priwall jetzt zum Freizeitresort wird, sei ihm aber zuwider. „Ich sehe | |
| das schon kommen, im Winter ist es hier wie ausgestorben.“ | |
| 4 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Mahé Crüsemann | |
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