# taz.de -- Feuer im Londoner Grenfell Tower: Warum kam denn niemand? | |
> Fast zweieinhalb Jahre nach der Feuerbrunst im Grenfell Tower in London | |
> diskutieren Überlebende und Angehörige der Opfer. Wer war schuld? | |
Bild: Feuer im Grenfell Tower: die Angehörigen Hamdan El Alami und Flora Neda … | |
LONDON taz | Eine Gruppe beginnt einen Tagungsraum des House of Commons mit | |
grüner Baumustertapete zu füllen. Ein Mann setzt sich auf den großen Stuhl | |
für Vorsitzende und verlautet „Willkommen zur Auktion!“ Sein Humor verbirgt | |
den ernsten Sinn dieses Treffens. | |
Emma Dent Coad, die parlamentarische Labourabgeordnete Kensingtons, hat | |
eingeladen. Sie ist verantwortlich für den Bezirk, in dem der am [1][14. | |
Juni 2017] abgebrannte Grenfell Tower steht, in dem 72 Menschen ihre Leben | |
verloren hatten. | |
Hier sollen sich an diesem Mittwochabend Überlebende und Anwohner*Innen aus | |
der unmittelbaren Umgebung zu dem ersten Bericht der öffentlichen | |
Untersuchung zum Inferno äußern, der am gleichen Morgen [2][veröffentlicht] | |
wurde. | |
Einige der etwa 60 Anwesenden haben bereits am frühen Nachmittag aus der | |
öffentlichen Galerie die Reden Premierministers Johnson und | |
Oppositionsführers Corbyn zum Thema gehört und sich danach der Presse | |
gestellt. Nach einem langen Tag ist dies endlich ein Treffen unter den | |
Betroffenen, obwohl ein paar ausgewählte Journalist*Innen zuschauen dürfen, | |
darunter die taz und ein Journalist der linken britischen Zeitung Daily | |
Mirror. | |
## „Meine Familie verlor alles. Nichts wurde bisher getan“ | |
Dent Coad eröffnet das Treffen, dem durchgehend auch andere | |
Labourabgeordnete beiwohnen, wie die Schatteninnenministerin Diane Abbott. | |
Labour-Leute kommen und gehen – von Politiker*innen anderer Parteien keine | |
Spur. Ihrer Meinung nach bezieht sich der vorliegende Bericht zu sehr auf | |
die Fehler der Londoner Feuerwehr. | |
Joe Delaney wohnte zum Zeitpunkt des Feuers direkt neben dem Tower. Er | |
findet, es müsse erwähnt werden, dass die Londoner Feuerwehr vor dem | |
Inferno unter dem damaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson starke | |
Kürzungen über sich ergehen lassen musste. Er glaubt, dass dies das Agieren | |
der Feuerwehr vor dem Tower mit beeinflusst hat. | |
Andere fragen, wie es sein kann, dass bis jetzt zweieinhalb Jahre nach dem | |
Unglück nicht genug getan wurde, und warum immer noch Hochhäuser mit dem | |
gleichen brennbaren Außenmaterial stehen und weshalb keine neuen Gesetze | |
verabschiedet wurden. | |
„Ich habe vier Familienmitglieder verloren. Meine Familie verlor alles. | |
Nichts wurde bisher getan“, sagt El Alami Hamdan, einer der älteren | |
Anwesenden, bevor ihm weinend die Worte fehlen. | |
## „Die hatten zwei Stunden, um meine Mutter zu retten!“ | |
Auch Flora Neda, deren Sohn sie, auf Grund einer Behinderung, zwanzig | |
Stockwerke hinunter in Sicherheit trug, glaubt, dass die Londoner Feuerwehr | |
sich ihrer Verantwortung stellen müsse. Sie hat ihre Mutter und ihren | |
Ehemann im Brand verloren. „In die oberen Stockwerke ist niemand zur | |
Rettung gekommen, wir kennen die Wahrheit“, sagt sie, und fügt hinzu, dass | |
sie bei ihrer Flucht im zu der Zeit noch rauchlosen Treppenhaus, auf keine | |
Feuerwehrleute gestoßen sei. | |
Wovon Neda unter anderem spricht, ist die Tatsache, dass trotz der großen | |
Vorwürfe aus der Untersuchung, die Chefin der Londoner Feuerwehr Dany | |
Cotton, bisher nicht zurückgetreten ist. | |
Doch andere sind weniger darauf bedacht die Feuerwehrleute zu beschuldigen. | |
Sie stellen klar, dass sie der Untersuchung nicht trauen, halten die | |
Schuldzuweisung an die Feuerwehr für ein Reinwaschen der Verantwortlichen | |
in der Stadtbehörde und der Mietwohngesellschaft, ja der Regierung. Diese | |
Punkte sollen im zweiten Teil der Untersuchung angegangen werden. | |
Tasha, eine jüngere Anwohnerin, glaubt, dass es auch gute Feuerwehrleute | |
gegeben hätte, die Menschen retteten. Das verärgert jedoch Shourouk | |
Afrasahabi. „Die hatten zwei Stunden, meine Mutter zu retten, und ihr wollt | |
die Feuerwehrleute unterstützen? Es ist ihr Job, da rauf zu gehen, um | |
Menschenleben zu retten.“ Erzürnt verlässt er den Raum. | |
## Viele halten die Tories für mitverantwortlich | |
Nach zwei Stunden Diskussion einigen sich die Versammelten darauf, dass sie | |
trotz verschiedener Grade der Schuldzuweisung im Grunde das gleiche wollen. | |
„Wir müssen zusammenarbeiten“, fordert Rouben Ceaser, der Freunde im Tower | |
verloren hat. | |
Emma Dent Coad will auf Grundlage des Treffens einen Bericht schreiben, | |
mit dem sie hofft, die Regierung weiter bewegen zu können. Doch ihre | |
Stellung als Abgeordnete für Kensington ist verletzlich. Im Dezember wird | |
es wieder Wahlen geben. Bei den letzten gewann sie mit nur 30 Stimmen | |
Mehrheit nach Jahrzehnten der konservativen Vorherrschaft. | |
Viele der Versammelten halten die Tories, das wurde auch bei diesem Treffen | |
wieder klar, für mitverantwortlich für das Inferno. Sollte Dent Coad es | |
nicht wieder schaffen, wäre es der Verlust einer parlamentarischen Stimme, | |
der sie etwas Vertrauen schenkten. | |
31 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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