| # taz.de -- Pergamonaltar revisited: Das Ringen der Götter | |
| > Architektur, Sound und antiker Mythos: Der türkische Künstler Cevdet Erek | |
| > interpretiert den Pergamonaltar im Hamburger Bahnhof in Berlin. | |
| Bild: Installationsansicht von Cevdet Ereks Bergama Stereo im Hamburger Bahnhof… | |
| Das macht neugierig, dass die Kunstinstallation in der großen Halle des | |
| Hamburger Bahnhofs den Besucher*innen den Rücken zukehrt: Mit einer | |
| schwarzen Wand, die aus offenen rechteckigen Kisten besteht, zwischen denen | |
| sich ein paar weiße und lilafarbene, in sich gegliederte Elemente finden. | |
| Wie später klar wird, handelt es sich um Subwoofer und Lautsprecher. | |
| Aber in dieser Funktion nimmt man sie erst einmal gar nicht wahr, sondern | |
| meint beim Näherkommen an den summenden, brummenden, und rhythmisch | |
| wummernden Bau einen – tatsächlich nicht auffindbaren – Lautsprecher an der | |
| rechten Wand entdecken zu müssen. Denn daher kommt doch der Ton!? | |
| Das ist dann schon richtig, nur wird er von der Wand in den Raum nur | |
| zurückgeworfen. Seine Quelle ist einer der 34 weißen Lautsprecher, die | |
| Cevdet Erek in seiner Architektur verbaut hat. Der Istanbuler Künstler und | |
| Musiker – er ist Schlagzeuger der Experimentalrockband Nekroposi – folgt | |
| damit der Einladung der Freunde guter Musik Berlin e. V., einen Beitrag zum | |
| 20-jährigen Jubiläum ihrer gemeinsam mit der Nationalgalerie ins Leben | |
| gerufenen Veranstaltungsreihe „Musikwerke bildender Künstler“ zu entwickeln | |
| und aufzuführen. Ereks stupende Idee: Mit „Bergama Stereo“ rekonstruiert er | |
| im Maßstab 1:2 den derzeit wegen Renovierungsarbeiten nicht zugänglichen | |
| Pergamonaltar im Hamburger Bahnhof. | |
| ## Kampfgetümmel erfüllt die Luft | |
| Allerdings, und damit wird die Sache wirklich interessant, übersetzt er die | |
| Gigantomachie in ein gigantisches Musiksystem. Über seine 34 | |
| Function-One-Lautsprecher, die je eine eigenen Soundkomposition | |
| wiedergeben, kann Cevdet Erek so das bildhauerisch auf einem Fries | |
| festgehaltene Ringen zwischen den Göttern des Olymp und den Giganten der | |
| Unterwelt frei im Raum projizieren. | |
| Kampfgetümmel erfüllt die Luft: gedämpft, über die Davul, eine | |
| zweigliedrige Zylindertrommel stark rhythmisch organisiert, dabei | |
| wenigstens so eindringlich wie Peter Weiss’ Schilderung der Gigantomachie | |
| in seinem Roman „Ästhetik des Widerstands“. | |
| Diese Soundkomposition führt die Besucher*innen nun nicht nur durch den | |
| Raum der großen Halle des Hamburger Bahnhofs, sie führt sie viel | |
| weitergehend durch Raum und Zeit. Zurück an den Ort, wo 200 v. Chr. der | |
| Altar ehemals fest, altgriechisch „stereos“, verankert war, nach Pergamon, | |
| türkisch Bergama. Sie führt sie ins Berlin des deutschen Kaiserreichs und | |
| dessen kulturell maskierten imperialen Selbstbehauptungsdrang. | |
| Zwingend führt sie aber auch zur Frage nach den Altären und Tempeln, auf | |
| denen und in denen wir heute opfern, man denke an den auch ob seiner | |
| Function-One-Lautsprecher berühmten Berliner Techno-Club Berghain. Last not | |
| least führt die Soundkomposition die Besucher*innen selbstreflexiv zurück | |
| in den Hamburger Bahnhof, als dessen architektonisch gleiche, freilich | |
| spiegelverkehrt gesetzte Form sich Ereks Pergamonaltar darstellt. | |
| Architektur ist tatsächlich der Ausgangspunkt der Karriere des 1974 | |
| geborenen Künstlers, der erst nach seinem Abschluss in diesem Fach an der | |
| Mimar-Sinan-Universität begann, Sound Engineering an der TU Istanbul zu | |
| studieren, wo er 2011 auch promovierte. | |
| Tatsächlich scheint der Sound das beherrschende Bauelement von Ereks | |
| Installation zu sein. Mit ihren präzise gesetzten Ton- und Rhythmusspuren | |
| und den murmelnden Stimmen, von denen man meinen könnte, sie wisperten | |
| Sätze von Peter Weiss: „dass Werke wie jene, die aus Pergamon stammen, | |
| immer wieder neu ausgelegt werden müssten, bis eine Umkehrung gewonnen wäre | |
| und die Erdgebornen aus Finsternis und Sklaverei erwachten und sich in | |
| ihrem wahren Aussehn zeigten.“ | |
| 2 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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