# taz.de -- Wandel beim IWF: Frau ist Geld | |
> Unter der Politik des IWF hatten besonders Frauen zu leiden. Mit | |
> Christine Lagarde begann sich das zu ändern. Jetzt wird sie Chefin der | |
> EZB. | |
Bild: Eine weiblichere Zukunft winkt: Kristalina Georgiewa (links) und Christin… | |
Christine Lagarde, die bald mächtigste Frau Europas, kann nicht nur hart | |
sein. Ab November ist sie [1][Chefin der Europäischen Zentralbank], jener | |
Institution, die als Hüterin des Euro versuchen muss, eine taumelnde | |
Gemeinschaft ökonomisch zusammenzuhalten. | |
Christine Lagarde kann auch sehr witzig sein. Vielleicht ist das eine | |
einfache Übung, wenn man [2][bei Trevor Noah] in der „Daily Show“ sitzt, | |
einer bitter-satirischen Politiksendung im US-Fernsehen. Im Juni, als sie | |
noch Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) war, erzählte sie dort | |
etwas, das viel darüber verrät, wie sie arbeitet. | |
Noah fragt Lagarde, warum es so wichtig sei, dass Staaten in Frauen | |
investieren, jenseits der „Nettigkeit“ des Themas. Lagarde antwortet: „Ich | |
habe es aufgegeben, moralisch zu argumentieren. Das scheint niemanden zu | |
beeindrucken.“ Wenn sie die Mächtigen der Welt trifft, frage sie | |
stattdessen: „Wollen Sie eine florierende Wirtschaft? Höhere Einkommen für | |
alle und profitablere Unternehmen? Ich habe noch nie einen Staatenlenker | |
getroffen, der sagt: ‚Nee, mehr Wachstum brauch ich nicht.‘ “ | |
Das ist die Formel, auf die Lagarde setzt: Frau ist Geld. Staaten, in denen | |
Frauen mehr Jobs und mehr Macht haben, haben ein höheres | |
Wirtschaftswachstum. Unternehmen, in denen mehr Frauen Führungspositionen | |
innehaben, sind nachweislich profitabler. Der IWF hat [3][auf seiner | |
Website] umfangreiche Forschung dazu gesammelt. | |
## Gralshüter der Globalisierung | |
Weder der IWF noch Lagarde hat diese Erkenntnisse exklusiv. Die Studien | |
gehen bis auf die 90er Jahre zurück. Vor oder parallel mit dem IWF sind | |
auch Weltbank, Weltwirtschaftsforum und Welthandelsorganisation, all die | |
Gralshüter der Globalisierung, auf die naheliegende Idee gekommen: Es ist | |
wenig sinnvoll, die Hälfte der Menschheit (Frauen) in der Ökonomie zu | |
ignorieren. | |
Lagarde hat geholfen, die dahinterstehende Empirie in die Sprache derer zu | |
übersetzen, die Genderfragen für Gedöns halten: Der 1944 gegründete IWF ist | |
gemeinsam mit der Weltbank das Herz der Globalisierung. Hier wird die | |
Ideologie des ökonomischen Neoliberalismus in die Praxis übersetzt, nach | |
der Konkurrenzkampf durch freie Märkte über allem steht. | |
Der Fonds überzeugt Zweifler mit einem harten Argument: Er kann im Notfall | |
bis zu einer Billion Dollar mobilisieren, um zu verhindern, dass von der | |
Pleite bedrohte Staaten die Weltwirtschaft gefährden. Dafür gibt er eine | |
eigene Weltersatzwährung heraus, die alle IWF-Staaten als Zahlungsmittel | |
akzeptieren. Meist bekommen sie Entwicklungsländer, übrigens zinslos. | |
Verbunden ist damit der Zwang zu einer politischen Agenda mit enormen | |
sozialen Härten. „Der Westen hat sichergestellt, dass er die Früchte der | |
Globalisierung einsammelt, auf Kosten der Entwicklungsländer“, schrieb | |
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz über die Politik von IWF und | |
Weltbank. | |
## Steuern gegen Frauen | |
Pakistan etwa hat 23 solcher Programme hinter sich, sagt die Sozialökonomin | |
Bilquis Tahira, die sich seit Jahrzehnten für Menschen- und Frauenrechte in | |
ihrem Land einsetzt. Die Situation in Pakistan ist komplex, die Auflagen | |
des Fonds für neue Kredite sind nur ein Teil der Probleme. Aber ihre | |
Richtung sei stets die gleiche: Kürzung von Sozialprogrammen und Löhnen, | |
Privatisierungen, die zu höheren Benzin- und Strompreisen führten. | |
Wenn Steuern erhöht werden, dann nicht für Reiche, sondern die | |
Mehrwertsteuer, die arme Haushalte besonders trifft. „Für die Frauen ist | |
das eine doppelte Belastung. Frauen kümmern sich ums Familienbudget. Die | |
Verschlechterung der medizinischen Versorgung trifft besonders Schwangere. | |
Das Erste, an dem Familien sparen, ist der Schulunterricht für Mädchen“, | |
sagt sie. | |
Frauen, nicht Männer pflegen die Alten, wenn staatliche Programme | |
ausfallen, sie kümmern sich um die Kinder, wenn die Kindergärten schließen. | |
In Pakistan arbeiten laut IWF Frauen [4][zehnmal so lange] unbezahlt im | |
Haushalt wie Männer – weltweit sind es im Schnitt 2,7 Stunden mehr pro Tag, | |
inklusive der Wochenenden. | |
In den meisten Entwicklungsländern finden laut der Internationalen | |
Arbeitsorganisation (ILO) Frauen am ehesten Jobs als Lehrerinnen, | |
Krankenschwestern oder in anderen sozialen Bereichen. Das allein ist schon | |
diskriminierend und führt zusätzlich dazu, dass Frauen überproportional | |
viele Jobs verlieren, wenn im öffentlichen Sektor gespart wird. | |
Für die Makroökonomen beim IWF war das jahrzehntelang kein Thema. Sie | |
interessierten sich für Wachstum, Kreditwürdigkeit und stabile | |
Wechselkurse, mehr nicht, sagt Emma Burgisser, die bei der NGO Bretton | |
Woods Project den IWF und die Weltbank kritisch beobachtet. | |
## 2013 kam die Wende | |
Dann kam der September 2013, der IWF veröffentlichte ein Arbeitspapier mit | |
dem Titel „Frauen, Arbeit und die Wirtschaft“. Grundthese war, dass es | |
Wachstum und Stabilität kostet, wenn Frauen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen | |
sind. Lagarde war seit knapp über zwei Jahren Chefin des Währungsfonds, und | |
sie wollte genau dieses Papier. So beschreibt es Monique Newiak, eine der | |
Autor*innen. | |
Die deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin berät gerade im Auftrag des IWF | |
die Regierung von Sierra Leone. „Wir mussten uns als Institution | |
zunächst rechtfertigen, warum wir uns überhaupt Genderfragen annehmen; und | |
warum wir das Thema weltweit an Zentralbanken und Finanzministerien | |
herantragen, die traditionell wenig darüber arbeiten“, sagt sie. | |
Dabei sind die Zusammenhänge eigentlich recht simpel: „Wir haben in den | |
Daten gesehen, dass es vielfältigere Produkte gibt, wenn mehr gebildete | |
Frauen im Arbeitsmarkt sind, besonders in Entwicklungsländern“, sagt sie. | |
Das heißt, Länder exportieren diversere Produkte, sind weniger abhängig von | |
einzelnen Industrien und damit auch weniger anfällig für Preisschocks in | |
einzelnen Branchen. | |
„Wir haben das Bruttoinlandsprodukt, Wachstum und Einkommensungleichheit in | |
Zusammenhang mit Genderfragen gebracht“, sagt Newiak. Gleiches galt für die | |
Finanzwelt: Banken, die mehr Frauen in ihrer Führungsetage haben, sind | |
stabiler. Lehman Brothers, die Zockerbude, deren Zusammenbruch 2008 die | |
Finanzkrise ausgelöst hat, wäre als Lehman Brothers & Sisters besser dran | |
gewesen. Der [5][Spruch] stammt von Lagarde. | |
## Zahlen als Argumente | |
Anfangs habe es durchaus auch Gegenwind gegeben, sagt Newiak, Kollegen | |
hätten sich gewundert: Genderfragen beim IWF, im Ernst? „Aber bei uns | |
sitzen eben Leute, die vertrauen Zahlen. Die haben wir dann geliefert“, | |
sagt sie am Telefon. Emma Burgisser sagt, Lagarde habe das Thema Gender | |
strategisch aufgebaut: Erst leise, um den Widerstand klein zu halten, bis | |
sie die Zahlen zum Argumentieren hatte. | |
Aber was bringt das alles, wenn der IWF nicht versteht, dass „es die | |
Aufgabe der Wirtschaft ist, der Gesellschaft zu dienen, statt andersherum“, | |
wie es die britische Ökonomin Diane Perrons ausdrückt? „Akzeptiert beim IWF | |
irgendjemand, dass wir ein anderes Wirtschaftsmodell brauchen? Dass der | |
Neoliberalismus besonders Frauen, aber auch armen Männern nichts gebracht | |
hat?“, fragt sich Bilquis Tahira. | |
Es gibt Anzeichen dafür. Im Jahr 2018 veröffentlichte der IWF für seine | |
Mitarbeiter*innen eine Anleitung, in der steht: Man solle Gegenmaßnahmen | |
ergreifen, wenn Maßnahmen, die zu Wachstum und Stabilität führen sollen, | |
negative Auswirkungen auf Frauen haben. | |
## Institut Karl Marx statt US-Elite-Uni | |
Jedes vierte Beraterteam beachte mittlerweile Genderfragen, sagt IWF-Frau | |
Newiak: Ägypten beispielsweise muss nach einem neuen IWF-Programm zwar | |
sparen, aber gleichzeitig mehr Geld für den Nahverkehr und für Kitas | |
ausgeben. Ein Novum. Burgisser kritisiert, dass der neue Ansatz rein | |
freiwillig sei, dass die meisten IWF-Programme immer noch durchgezogen | |
werden, ohne die Auswirkungen auf Frauen und Arme zu berücksichtigen. | |
Die neue Frau an der Spitze des Fonds, [6][Kristalina Georgiewa], könnte | |
die Politik des IWF weiter ändern. Die Bulgarin war schon Präsidentin der | |
Weltbank, Vizechefin der Europäischen Kommission und hat als EU-Kommissarin | |
für humanitäre Hilfe das Elend von Flüchtlingen gesehen. Sie hat nicht an | |
einer amerikanischen Eliteuniversität, sondern am Institut Karl Marx in | |
Sofia studiert. | |
Auf der Herbsttagung des IWF sagte sie in einer ihrer ersten Auftritte in | |
ihrer neuen Rolle: „Meine Geschichte ist typisch für Frauen meiner | |
Generation: Ich musste doppelt so hart arbeiten wie jeder Mann, nur um | |
gleich zu sein.“ Bilquis Tahira saß im Publikum und stellte Georgiewa die | |
Frage, ob der Fonds nicht sein grundsätzliches Wachstumsmodell infrage | |
stellen müsse. „Wir müssen unseren Horizont erweitern, wenn wir die | |
richtige Politik machen wollen“, erwiderte Georgieva. | |
Später sagt Tahira am Telefon zur taz dann nachdenklich, sie gebe die | |
Hoffnung nicht auf: „Ich glaube, eines Tages können wir sie von einem neuen | |
Wirtschaftsmodell überzeugen.“ | |
24 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /EZB-Chefin-Lagarde-im-EU-Parlament/!5623610 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=leQ1HW7GIQY | |
[3] https://www.imf.org/external/themes/gender/index.htm | |
[4] https://www.reuters.com/article/us-imf-economy-women/buckle-up-new-imf-chie… | |
[5] https://www.theguardian.com/business/2018/sep/05/if-it-was-lehman-sisters-i… | |
[6] /Designierte-IWF-Chefin/!5610899 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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