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# taz.de -- Neonazi-Kampfsportevent in Ostritz: Rechtsextreme Fitness
> In Kampfsportszene und Fitnessmarkt hat sich eine rechtsextreme Nische
> etabliert. So neoliberal wie Sportstudios: Härte gegen sich und andere.
Bild: Rechts und sportlich und rassistisch
Die Vielzahl an Fitnessstudios ist im Straßenbild und Onlinemedien kaum zu
übersehen. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Gerät“, wirbt FitX, mit „Fü…
den Unterschied“, macht CrunchFit auch sich aufmerksam, „Mach dich wahr“
verspricht McFit. Sie alle betonen durch ihre Werbeslogans einen sehr
ähnlichen Ansatz in Bezug auf Fitness und Gesundheit. Im Zentrum steht die
individuelle Verantwortung für die eigene Leistungsfähigkeit. Es geht
darum, sich selbst zu disziplinieren, um Authentizität,
Selbstverwirklichung und -optimierung zu erreichen.
So sind die Werbeanzeigen gängiger Fitnessstudiobetreiber nicht nur ein
modischer Trend, sondern Hochglanzausdruck einer tiefen Neoliberalisierung
staatlicher Politiken seit den 2000er Jahren – auch im Gesundheitssektor.
Dabei weisen Studien schon lange auf den Zusammenhang zwischen Einkommen
und Ernährung, Beruf und Lebenserwartung, dem Gebrauch von Drogen sowie der
sozialen Schicht hin – letztlich also auf die Abhängigkeit von Vermögen und
Gesundheit.
Die politische Verschiebung von einem sozialstrukturellen zu einem
individualisierten Blick geht auf die zweite Hälfte der 1990er und die
2000er Jahre zurück. Es ist kein historischer Zufall, dass der Boom der
Fitnessbranche in diese Zeit fällt; bei einigen Krankenkassen konnte die
Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio als Vorsorgemaßnahme angerechnet
werden. Durch diese Entwicklungen differenziert sich der Markt in den
Bereichen Fitness, Kampfsport und auch Wellness massiv aus. Nicht wenige
Anbieter verbinden Elemente daraus, offerieren beispielsweise Kampfsport
und Yoga. Entlang neoliberaler Vermarktungshoffnungen entstehen Teilmärkte
für verschiedene Kundenklientel.
In diesem breit gefächerten Markt versuchen auch Neonazis ihren Platz zu
finden. „Wille, Disziplin und Fleiß“ heißt es auf T-Shirts des extrem
rechten „[1][Kampf der Nibelungen]“ („KdN“). So wird in den Kanon
individualisierter Verantwortung eingestimmt. [2][Denis „Nikitin“
Kapustin], deutsch-russischer Hooligan und führender Kopf der 2008
gegründeten extrem rechten Kampfsportmarke „White Rex“, sagt im Interview
mit der 2017 noch existierenden, ukrainischen Hooligan-Website
troublemakers.com: „Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche
eines modernen Menschen abdecken. White Rex ist eine alternative
Lebenseinstellung, die ich zu 100 Prozent schaffen möchte. Mit Kleidung,
Turnieren, Sportnahrung und Fitnessstudios.“
Und er appelliert an seine Kundschaft: „Du musst selbst gesünder und
stärker werden.“ Zu seinem Geschäftsnetzwerk zählt auch das Label „Vanda…
– Wanderer Division“, das den Part Outdoor und Naturabenteuer abdeckt.
Kapustin will den ganz großen Wurf, eine Art nationalsozialistischer
Komplettausrüster werden.
## Europaweit gibt es rechte Kampfsportturniere
Gemeinsam mit einer Reihe an europaweiten, extrem rechten Marken vertreibt
„White Rex“ ihre Ware unter anderem über den Internetversand 2yt4u. Das
Kürzel steht für die Lautsprache des englischen Slogans „Too White For
You“: „Zu weiß für dich“. Dort verkaufen „Greifvogel Wear“ aus Deut…
(gegründet 2014) mit dem Slogan „Strength against the modern world“, „Pr…
France“ (2013), „Sva Stone“ aus der Ukraine (2010) und „Rodobran“ aus
Bulgarien (2018) alles – von Alltagskleidung wie Mützen und T-Shirts bis
Kampfsportausstattung wie Handschuhe, Mundschutz und Handtücher. Sie wollen
ein Stück vom großen Fitnesskuchen abbekommen.
Zudem hat Kapustin europaweit extrem rechte [3][Kampfsportturniere]
aufgebaut, zuerst in Russland, später auch in Italien, Ungarn,
Griechenland, der Ukraine sowie in Deutschland. Hierzulande füllt der
„Kampf der Nibelungen“ den Platz des nationalsozialistischen Events im
rechtsoffenen Kampfsportmarkt aus.
Das Event hatte 2013 als „Ring der Nibelungen“ vor noch 120 Zuschauer*innen
begonnen. Mit dem Einstieg von „White Rex“ als Sponsor und Mitorganisator
entwickelte sich der „KdN“ zu einem professionellen Event, das über 1.000
Menschen anziehen möchte – auch wenn Kapustin zu Jahresbeginn 2019 von den
deutschen Behörden ein Einreiseverbot für den Schengen-Raum auferlegt
wurde.
Zu den gewachsenen Aktivitäten rund um den [4][Kampfsport] zählt auch die
2017 entstandene Trainingsgruppe „Wardon 21“. Mit viel Pathos versucht sie,
in der Neonaziszene einen Typus des politischen Fitnesskämpfers zu
etablieren. So heißt es auf der Facebook-Seite zu Neujahrsvorsätzen: „Die
Masse belügt sich Jahr um Jahr, über nie eintretende Veränderungen
sprechend und fixiert diese noch an einem Tag im Kalender, welcher nur den
Startschuß zum kollektiven Massenbesäufnis gibt, in dem all die großen
Veränderungen durch die Kehlen gespült werden. Und genau deshalb hat nie
die Masse Geschichte geschrieben, sondern Du, der Einzelne, der aus ihr
heraussticht und das umsetzt, wovon sie in ihrer Gesamtheit nur redet!“ Zur
Umsetzung bot das Team von „Wardon“ beim „KdN“ im Herbst 2018 Verpflegu…
gegen sportliche Übungen an: Für 50 Liegestütze gab es einen Eintopf, für
35 ein Stück Kuchen. Unter dem Menü stand: „Wir sind entschlossen, einen
neuen Menschenschlag heranzuziehen!“
Man behauptet, sich von der kapitalistischen Moderne und deren liberalen,
„dekadenten“ Folgen abzugrenzen. Man will eine Elite der neonazistischen
Kämpferelite sein. Frühere Generationen in der extremen Rechten waren zum
Teil durch die stark proletarisch orientierte Skinheadszene geprägt. Heute
will man sich von der Masse abheben, und zwar in einem Stil, der anderen
Teilen der Szene kaum noch vermittelbar ist.
## Von saufenden Rechtsrockfans setzt man sich ab
Das ambivalente Verhältnis des „KdN“ zur Basis der extrem rechten Szene
wird auch in Bezug auf den Rechtsrock deutlich: Einerseits entstammen viele
Organisatoren der Rechtsrockszene und ihren Konzertveranstaltern.
Kampfsport und Musik dienen als niedrigschwellige Kulturangebote, über die
man sich leicht vernetzen und finanzieren kann. Doch stößt das
alkohollastige, grölende Publikum manchen Rechtsrockkonzerts den
Kampfsportlern übel auf.
Als das „KdN“-Event im April 2018 erstmals nicht klandestin, sondern als
Teil des extrem rechten Festivals [5][„Schild und Schwert“] im sächsischen
Ostritz stattfand, diskutierten die Organisatoren intern, ob man vor einem
zum Teil hochalkoholisierten Publikum auftreten wolle. Letztlich setzte
sich die Aussicht auf den finanziellen Erfolg jedoch durch.
Zusammengekittet werden all diese Widersprüche durch das alles dominierende
Ideal gewalttätiger Männlichkeit sowie durch die Ablehnung der Demokratie.
Mit dem Versprechen, eine „echte“ und harte Männlichkeit erleben zu könne…
werben rechte Kampfsportgruppen und -schulen auch um Hooligans und andere
gewaltaffine Männer, die nicht aus der politischen Szene kommen.
Wenn vom „neuen Menschenschlag“ philosophiert wird, ist damit vor allem ein
trainierter politischer Soldat gemeint, der Volk und Nation schützt. In
Ausgabe 14 der Dortmunder Szenezeitschrift N.S. heute aus dem Frühjahr 2019
beschäftigt sich Autor Arnulf Brahm mit der Frage, „weshalb deutsche Männer
in der berüchtigten Kölner Silvesternacht 2015/16 ihre Frauen nicht vor den
Angriffen (…) schützen konnten“. In klassisch rassistischer Hetze und
entgegen allen empirischen Statistiken wird das Thema sexualisierte Gewalt
auf „Fremde“ und Einwanderer projiziert, dem nur gewalttätige deutsche
Männlichkeit entgegengestellt werden könne: „Diese Gruppen [„KdN“ und
„Wardon“] erschaffen eine neue Wehrhaftigkeit, die nach außen strahlt.“
Zugleich machen die „KdN“-Veranstalter aus ihrer Ablehnung der Demokratie
keinen Hehl. Auf der Website steht: „Während bei den meisten ‚Fight Nights…
im bundesweiten Raum die Teilnahme des jeweiligen Sportlers allzu oft mit
dem abverlangten Bekenntnis zur freien, demokratischen Grundordnung steht
oder fällt, will der Kampf der Nibelungen den Sport nicht als Teil eines
faulenden politischen Systems verstehen, sondern diesen als fundamentales
Element einer Alternative zu eben jenem etablieren und in die Breite
tragen.“
Der „KdN“ boomt seit 2017. Das bringt einerseits interne Querelen um die
neu entdeckten Finanzquellen mit sich. Andererseits hat das Team des „KdN“
eine Vielzahl an neuen Aktivitäten entwickelt, unter anderem im März 2019
ein Seminar zu „Selbstverteidigung“. Auf dem Plakat dazu stand unverhohlen,
worum es geht: Straßenkampf. Die Szene macht mobil für den politischen
Umsturz, für den viel beschworenen Tag X.
So hat sich der „KdN“ aufgemacht, ein professionelles Sportevent zu werden,
das menschenfeindlichen Hass, die Inszenierung wehrhafter Männlichkeit, die
nationalsozialistische Auslegung von Fitness und das Training für den
politischen Umsturz zu einem einträglichen Geschäft mit der Gewalt macht.
Durch seinen Wertekanon – Wille, Disziplin und Fleiß – positioniert er sich
zugleich am rechten Rand einer gesellschaftlichen Fitnessbewegung, deren
neoliberale Grundannahmen im extrem rechten Kampfsport nahezu
uneingeschränkt geteilt werden. Es geht um Selbstoptimierung für den
politischen Straßenkampf. Das Credo dafür lautet: Wer scheitert, ist selber
schuld.
Letztlich macht sich der extrem rechte Kampfsport selbst zum neoliberalsten
Spektrum der eigenen Szene. Und treibt mit seinen Geschäften voran, was er
scheinheilig zu bekämpfen vorgibt. Weniger gefährlich ist die Entwicklung
deshalb keineswegs. Denn am Ende steht immer die neonationalsozialistische
Gewalt.
11 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.belltower.news/der-kampf-der-nibelungen-2019-kommerzialisierung…
[2] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/rechtsextremer-kampfsportler-der-neo…
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/kampf-um-die-matten-wie-die-rechte-sze…
[4] https://www.belltower.news/rechtsextremer-lifestyle-der-extrem-rechte-kampf…
[5] https://www.belltower.news/rechtsrock-und-gegenprotest-700-neonazis-fallen-…
## AUTOREN
Robert Claus
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Kampfsport
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