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# taz.de -- Norderneys Bürgermeister zu Wohnraum: „Dem Ausverkauf Einhalt ge…
> Norderneys Bürgermeister Frank Ulrichs (SPD) will durch ein Verbot von
> Zweckentfremdungen mehr Dauerwohnraum schaffen.
Bild: Knapp und umkämpft: Wohnraum auf Norderney
taz: Warum entscheidet sich Norderney gerade jetzt dafür, die
Zweckentfremdung von Wohnraum in Ferienwohnungen zu verbieten, Herr
Ulrichs?
Frank Ulrichs: Grundsätzlich sind wir an diesem Thema schon seit vielen
Jahren dran, weil der Wohnraum hier auf der Insel immer knapper wird und
wir große Probleme haben, die Einheimischen und die, die wir vom Festland
als Arbeitskräfte akquirieren, hier adäquat unterzubringen.
Was haben Sie bislang versucht, um das Problem zu lösen?
Wir haben unsere Bauleitpläne überarbeitet und Erhaltungssatzungen auf den
Weg gebracht. Der Grund, weshalb es jetzt das Instrument einer sogenannten
Zweckentfremdungssatzung geben soll, ist der, dass der Gesetzgeber erst im
März dieses Jahres ein entsprechendes Rahmengesetz auf den Weg gebracht
hat. Wir konnten das vorher also gar nicht.
Was bedeutet das praktisch für die Zukunft?
Wir wollen die Zweckentfremdung von Wohnraum unter einen
Genehmigungsvorbehalt stellen, beziehungsweise verbieten. Das heißt unterm
Strich, dass niemand mehr eine Dauerwohnung in eine Ferienwohnung
verwandeln oder sie unangemessen lange leer stehen lassen darf.
Als Standardsituation dazu gilt: die Eltern sterben, die Erbengemeinschaft
verkauft das Haus an einen Investor. Da gäbe es ja auch die Alternative,
stattdessen an Menschen zu verkaufen, die Wohnraum suchen.
Das ist ein richtiger Gedanke. Fakt ist nur, dass derjenige, der nachher
über das Haus verfügt, erkannt hat, dass man mit Zweit- und Ferienwohnungen
wesentlich mehr Geld verdienen kann. Wenn ich eine Zweitwohnung schaffe und
sie für einen Quadratmeterpreis von 8.000 bis 10.000 Euro verkaufe oder
eine hochwertige Ferienwohnung für 300 Euro die Nacht vermiete, bekomme ich
wesentlich mehr Geld als für eine Dauerwohnung, für die sich ein
akzeptabler Marktpreis zwischen 10 und 15 Euro einpendelt. Das ist der
Grund dafür, weshalb hier seit Jahren in Betongold investiert und immer
mehr ausverkauft wird.
Haben sich die anderen Instrumente dagegen, etwa die Bauleitpläne, nicht
als wirksam erwiesen?
Der Gesetzgeber gibt uns die Möglichkeit, über die Bebauungspläne auch die
Nutzung festzuschreiben und das haben wir seit Jahren getan. Wir haben in
vielen Gebieten bestimmt, dass die Hälfte eines Grundstücks als
Dauerwohnraum genutzt werden muss. Das ist sinnvoll: Norderney lebt vom
Fremdenverkehr. Falls ein Einheimischer in der Lage sein sollte, so ein
Haus zu erwerben, muss er auch die Chance haben, durch die Vermietung die
Belastungen für das Haus zu verdienen.
Wo hakte es dann?
Wir haben natürlich gemerkt, dass das, was auf dem Papier steht und das,
was in der Praxis gelebt wird, zwei Paar Schuhe sind. Es kommt in der
Praxis sehr häufig zu Verstößen und Wohnungen werden nicht so genutzt, wie
sie genutzt werden sollen.
Haben Sie da eine wirksame Handhabe?
Der bisherige Werdegang war so, dass es uns zugetragen wird – teilweise
auch durch die Nachbarschaft, die soziale Kontrolle funktioniert auf
Norderney recht gut – und wir es dann an die Bauaufsichtsbehörde des
Landkreises abgeben, die dem nachgeht. Das sind mitunter sehr mühselige und
langwierige Prozesse, die sich über Jahre hinziehen. In der Zeit passiert
meist gar nichts. Die Zweckentfremdungssatzung auf Ortsebene ermächtigt uns
als Kommune jetzt, diese Recherche selbst vor Ort zu betreiben, Grundstücke
zu betreten. Und es gibt einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Eigentümer,
auch gegenüber dem Verwalter. Wir werden deswegen nicht die Welt verändern,
aber es ist ein weiteres Instrument, um dem Ausverkauf und der
Zweckentfremdung hier auf Norderney Einhalt zu gebieten.
Aber neuer Wohnraum, der die angespannte Situation entzerren würde, wird so
nicht geschaffen.
Zumindest nicht mit dieser Verordnung, aber dafür ist sie auch nicht da.
Natürlich arbeiten wir an allen Fronten, wir bauen natürlich auch. Man muss
für Norderney auch dazu sagen, dass wir eine eigene Wohnungsgesellschaft
haben, eine hundertprozentige Tochter der Stadt. Das unterscheidet uns von
vielen anderen touristischen Destinationen. Die Gesellschaft hat 725
Wohnungen, in denen knapp ein Drittel aller Einheimischen wohnt. Wir sind
seit Jahren dabei, nachzuverdichten und neue Wohnungen zu bauen.
Es klingt wie ein schwieriger Spagat: die Mehrzahl der Menschen auf
Norderney lebt vom Tourismus und bedroht, je mehr der wächst, desto stärker
den eigenen Wohnraum.
Genauso ist es: wir leben hier seit 200 Jahren vom Tourismus, der
Fremdenverkehr ist der Lebensnerv der Insel. Wir könnten nicht wieder auf
Fischfang und Landwirtschaft umsatteln. Es gilt, einen vernünftigen Spagat
zu schaffen zwischen einer gesunden touristischen Vermarktung der Insel auf
der einen Seite und soliden Lebensverhältnissen für die hier lebende
Bevölkerung auf der anderen Seite. Dabei ist der Wohnraum nur eine Facette
– das fängt bei einer vernünftigen Kinderkrippenversorgung an und geht bis
hin zur schulischen und ärztlichen Versorgung und Altenwohnungen.
Gibt es eigentlich auch Kritik an der geplanten Zweckentfremdungssatzung?
Im Augenblick gibt es noch keine. Natürlich gibt es ganz verschiedene
Interessensgruppen und die, die bei uns eine Ferien- oder Zweitwohnung
betreiben, mögen das anders beurteilen als jemand, der eine Dauerwohnung
sucht. Aber wir greifen nicht zu sehr in die Vergangenheit, wir schauen,
dass wir uns für die Zukunft vernünftig aufstellen. Jemand, der seit 20
Jahren eine Ferienwohnung betreibt, die legal entstanden ist, muss sich
keine Sorgen machen. Wir gehen nur denen hinterher, die illegal eine
Wohnung betreiben.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil?
Es ist ein fortwährender Prozess. Wir haben immer einige Dutzende
Verfahren, die wir der Bauaufsichtsbehörde zur Anzeige gebracht haben. Aber
wenn zehn abgearbeitet sind, kommen auch zehn hinterher. Das wird auch nie
aufhören.
Sind die Strafen nicht abschreckend genug?
Wenn man sich die Renditechancen auf der Insel anguckt, wage ich, ohne
genau zu wissen, wie hoch die Strafen sind, die Vermutung, dass sich so
etwas unterm Strich immer noch lohnen könnte. Ich glaube aber, dass sich zu
Beginn keiner so konkret Gedanken darüber macht. Man versucht es einfach
und viele sind Jahrzehnte lang damit durchgekommen.
10 Oct 2019
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Tourismus
Wohnraum
Norderney
Schwerpunkt Coronavirus
Airbnb
Gentrifizierung
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