| # taz.de -- Comiczeichner über Homophobie im Sport: „Das eine Mal zu viel“ | |
| > Reinhard Kleist hat einen Comic über den schwulen schwarzen | |
| > Boxweltmeister Emile Griffith vorgelegt. Der hatte im Ring einen Menschen | |
| > totgeschlagen. | |
| Bild: Emile Griffith schlägt zu: Pof | |
| taz am wochenende: Herr Kleist, der Profiboxer Emile Griffith, über den Sie | |
| die Graphic Novel „Knock Out!“ vorgelegt haben, hat 1962 seinen Gegner | |
| Benny Paret ins Koma geschlagen, aus dem er nie wieder aufwachte. In Parets | |
| Wikipedia-Eintrag steht der Satz: „Dieser Kampf wird als der Anfang vom | |
| Ende des Boxens als Familienunterhaltung betrachtet.“ Wird das diesem Kampf | |
| gerecht? | |
| Reinhard Kleist: Er war auf jeden Fall eine Zäsur. Die Schlussphase des | |
| Kampfs war unglaublich brutal, und meines Wissens waren in den USA danach | |
| für eine ganze Weile Boxübertragungen im Fernsehen verboten. Ob Boxen aber | |
| wirklich jemals Familienunterhaltung war, weiß ich nicht. | |
| Was passiert war, lässt sich kurz schildern: Emile Griffith galt in der | |
| Szene als schwul, Benny Paret hat ihn homophob beleidigt. „Schwuchtel, ich | |
| krieg euch beide, dich und deinen Ehemann“, soll er zu Griffith gesagt | |
| haben. | |
| … und Emile ist ausgerastet. Es war eine unglückliche Verkettung von | |
| Umständen. Vielleicht war es aber auch die eine Beleidigung zu viel. | |
| Jedenfalls hat Griffith aufs Brutalste zugeschlagen. Und der Ringrichter | |
| hat den Kampf zu spät beendet. | |
| Man könnte empathielos sagen, Boxen bilde gesellschaftliche Realität ab. | |
| So hat es zumindest Griffith’ Trainer im Anschluss getan: Auf der Straße | |
| sei es viel schlimmer, da sterben viel mehr Leute. Das sind halt diese | |
| Rechtfertigungsmuster, die in solchen Fällen immer abgerufen werden. | |
| Zeigt Boxen Realität? | |
| In gewisser Weise ja. Boxen ist vielleicht die am deutlichsten auf den | |
| Punkt gebrachte Form der Auseinandersetzung. Vergleichen Sie es etwa mit | |
| dem um Längen populäreren Fußball, bei dem es ja auch um das Siegen | |
| zwischen zwei Parteien geht. Boxen ist da direkter. | |
| Warum? | |
| Boxen war – und ist es immer noch – ein Sport der Underdogs. Und gerade in | |
| der Zeit von Emile Griffith war es für die meisten Schwarzen die beinah | |
| einzige Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Bei der Wiegeszene vor einem | |
| der Kämpfe von Griffith gegen Paret sieht man die zwei schwarzen Boxer | |
| nebeneinander und dahinter nur weiße Männer. Das wirkt wie Gladiatoren, die | |
| von ihren Herren in den Ring gestellt wurden. | |
| Waren Griffith' tödliche Schläge gegen Paret eine Antwort auf Homophobie? | |
| Griffith hat sich zu dem Thema nie positioniert. Er tat immer so, als | |
| tangiere ihn das nicht. Erst kurz vor seinem Tod sprach er über seine | |
| Homosexualität. Da sagte er unter anderem: „Wenn ich auch nicht im | |
| Gefängnis gelandet bin, so war ich trotzdem fast mein ganzes Leben lang | |
| eingesperrt.“ Nie hatte er das vorher auch nur angedeutet. | |
| War es nicht in seinem Umfeld bekannt? | |
| Doch, Trainer, Manager, seine Frau, die er 1971 geheiratet hatte – die | |
| wussten, dass er schwul ist. | |
| Vor einigen Jahren hatten Sie eine Graphic Novel über Hertzko Haft | |
| vorgelegt, einen jüdischen Boxer, der Auschwitz überlebte und in den USA | |
| Profi wurde. Sind Sie über Ihre Faszination fürs Boxen auf die Geschichte | |
| von Emile Griffith gestoßen? | |
| Nur zum Teil. Ich wollte auch eine schwule Geschichte erzählen. Als ich | |
| dann von Emile Griffith las, war alles wie weggeblasen: Wow. Was für eine | |
| Geschichte! Da ist alles drin! Ein Schwarzer, der das Boxen zum sozialen | |
| Aufstieg nutzt, obwohl er gar nicht gerne boxt. Ein Schwuler, der nicht | |
| darüber redet, dass er schwul ist. Dann ist er beruflich noch Designer von | |
| Damenhüten … | |
| … das kam mir derart klischeehaft vor, dass ich erst einmal nachgeschlagen | |
| habe, ob das wirklich stimmt! | |
| Doch, es stimmt, er hat Damenhüte entworfen. Und zugleich war er einer der | |
| besten Boxer der Welt. | |
| Noch so ein Klischee: Er hatte eine unglaublich hohe Stimme. | |
| Ja, auch das stimmt. Damit hat ihn Benny Paret auch aufgezogen. | |
| Und zumindest in Ihrer Darstellung war Griffith einer, der nicht gerne | |
| boxte. Stimmt das auch? | |
| Es scheint zu stimmen. Er war wohl einer dieser Menschen, die sich in einer | |
| Sportart ausprobieren und diese dann sofort sehr gut beherrschen. Er hat | |
| sehr gut Tischtennis gespielt, aber davon konnte man ja nicht leben. Er | |
| wäre gerne Baseballprofi geworden, aber die Color Line war damals kaum zu | |
| durchbrechen. Sein Chef in der Hutfabrik hatte früher selbst geboxt und | |
| empfahl ihm, er solle doch boxen. Einmal, kurz vor seinem Tod, fragte sich | |
| Griffith auch, wie seine Homosexualität und das Boxen zueinander passen: | |
| „Ich töte einen Mann, und die meisten Leute verstehen das und verzeihen | |
| mir. Hingegen, ich liebe einen Mann, und so viele halten das für eine | |
| unverzeihliche Sünde, die mich zu einem schlechten Menschen macht.“ | |
| [1][In Ihrer Graphic Novel] stellen Sie Griffith trotz solcher | |
| reflektierender Gedanken zumindest teilweise als naiv dar. | |
| So kam er mir vor. Als jemand, der nett sein wollte, immer fröhlich, der | |
| wollte, dass sich alle gut fühlen. Er war einer, der niemanden vor den Kopf | |
| stoßen mochte. | |
| Und der dann so zuschlug? | |
| Ja, das ist schwer zu erklären. Es war wohl dies eine Mal zu viel. | |
| Vielleicht weil es vor seiner Familie und seinem Team geschah – ich weiß es | |
| nicht. | |
| Es hätte ja eine wunderbare Geschichte sein können: der als schwächliche | |
| „Schwuchtel“ beleidigte Boxer schlägt zurück … | |
| … wenn der Gegner nicht gestorben wäre. | |
| Ja? | |
| Ja. | |
| Wie ging es weiter? | |
| Nach diesem Vorfall im Ring hat er kaum noch durch K. o. gewonnen. Er hat | |
| nicht mehr voll durchgezogen. | |
| Aber mit dem Boxen aufgehört hat er nicht? | |
| Richtig. Mit verschiedenen Begründungen: dass er es für die Fans tue, dass | |
| er seine Familie finanzieren müsse oder dass er seine Entdecker und | |
| Förderer, das Ehepaar Alberts, dem die Hutfabrik gehörte, nicht enttäuschen | |
| wolle. Letztlich aber wollte er wohl nicht aufhören, weil es dann still um | |
| ihn geworden wäre. Keine Fans, keine Kämpfe, keine Partys mehr, dann wäre | |
| er womöglich ins Nachdenken gekommen, und das wollte er nicht. | |
| Wenn man Boxen beschreibt als körperliche Auseinandersetzung zweier | |
| durchtrainierter, halbnackter Männer, die versuchen einander zu dominieren | |
| – dann könnte man eine Faszination für viele Schwule darin erkennen. | |
| Ja, es ist aber in der Schwulenszene kaum populär. Es gibt auch keinen | |
| Boxfetisch, obwohl es auch schöne Boxer gibt, die das Zeug zur Ikone | |
| hätten. Aber das gibt es nicht – oder kaum. Ganz anders beim Ringen, da | |
| gibt es diesen Fetisch. | |
| Was fasziniert Sie selbst am Boxen? | |
| Boxen ist eine sehr visuelle Sportart. Das verbunden mit dem Mythos, den | |
| das Boxen und die Kämpfer umgibt, wirkt schon sehr stark. Wenn sich zwei | |
| gleichwertige Boxer im Ring gegenüberstehen und sie tänzeln – das ist sehr | |
| ästhetisch. Boxen ist eben nicht das simple Sich-auf-die-Mütze-Hauen. | |
| Ihr Buch über Emile Griffith stellen Sie derzeit auch mit Lesungen in | |
| Boxgymns und -studios vor. Wie sind da die Reaktionen? | |
| Es kommen tatsächlich etliche Boxer, und es gibt ein sehr gutes Feedback. | |
| Die Leute finden die Geschichte spannend: diese doppelte Unterdrückung als | |
| Schwarzer und als Schwuler. | |
| Geht man im Boxen offener mit schwulen Athleten um als in anderen | |
| Sportarten? | |
| Es ist schon verblüffend, dass es im Boxen mehr offen lebende Schwule gibt | |
| als im Fußball – da gibt es ja meines Wissens keinen einzigen. Im Boxen | |
| gibt es etwa Orlando Cruz. Oder Marc Leduc, der aber erst nach seiner | |
| Karriere sein Coming-out hatte. Aber schon einer wie Panama Al Brown, 1929 | |
| erster Weltmeister aus Lateinamerika, hat für die damalige Zeit | |
| vergleichsweise offen schwul gelebt. Im Boxen geht das anscheinend. Das | |
| gilt übrigens auch für lesbische Boxerinnen. | |
| In Ihrem Buch spielt eine Szene aus dem Jahr 1992, Emile Griffith war da 54 | |
| Jahre alt, eine tragende Rolle: Griffith war beim Verlassen einer New | |
| Yorker Schwulenbar brutalst zusammengeschlagen worden. Da ist ihm der tote | |
| Benny Paret wieder erschienen. War das wirklich so ein Dämon, der Griffith | |
| immer verfolgt hat? | |
| Ja, er berichtet an anderer Stelle, dass er sich nicht mehr vor dem Spiegel | |
| rasieren konnte, weil er dort Parets Gesicht sah. Oder einmal, dass er, | |
| wenn er aufwachte, am Fußende des Bettes Paret glaubte stehen zu sehen. | |
| Er wollte vergessen, konnte aber nicht? | |
| Ja, und ausgerechnet nachdem ihn diese homophoben Schläger beim Verlassen | |
| einer Bar verprügelt hatten, begann bei ihm die Demenz. So erst konnte er | |
| vergessen. Das ist schon dramatisch. | |
| 10 Oct 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.amazon.de/Knock-Out-Geschichte-Griffith/dp/3551733635 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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