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# taz.de -- Weltmeisterschaften als Olympiaquali: Dabei sein war mal alles
> Warum Tony Martin als Favorit zur Rad-WM fährt und es doch nur um eines
> geht: Ob die Deutschen auch gut bei Olympia vertreten sind.
Bild: Randzuschauersportart: Tony Martin bei der WM in Yorkshire
Weltmeisterschaften. Welch ein Wort. Meister der Welt, Bester des Planeten.
Schnellster, kräftigster, irgendwas aus allen Ländern, die es auf allen
Kontinenten gibt.
Am Mittwoch bei der WM im englischen Yorkshire wurde Radprofi Tony Martin
nicht Weltmeister. Der Australier Rohan Dennis war in 1:05:05 Stunden im
Einzelzeitfahren der Schnellste. Dennis war als Titelverteidiger angetreten
und hat ihn auch verteidigt. So weit nicht so wirklich überraschend. Und
Martin, der auch schon viermal in seinem Leben Weltmeister im
Einzelzeitfahren gewesen war – 2011, 2012, 2013 und 2016 –, wurde Neunter.
Verweilt man gedanklich einen kleinen Moment bei diesem Ergebnis, findet
man es so schlecht nicht. Neuntbester der Welt – klingt doch irgendwie ganz
gut. Letztlich sieht das auch – oder soll man sagen: sogar – Tony Martin
so: „Ich bin zufrieden, dass es keine totale Nullnummer geworden ist. Es
hätte von Medaille bis Totalausfall alles werden können. Jetzt ist es
irgendwo im Mittelfeld geworden“, sagte er im ZDF und fügte hinzu: „Ich bin
solide durchgekommen. Mit der Vorgeschichte und der Vorbereitung kann ich
zufrieden sein.“ Mit Vorgeschichte meint er eine Verletzung.
Das müsste als großer Sport gelten, ja, eigentlich ist es das sogar, wenn,
ja, wenn da nicht Olympia wäre. Bemerkenswert viele Berichterstatter
vermelden nämlich von dieser WM, dass Martin „zumindest“ einen weiteren
Olympiastartplatz erreicht habe, nicht für sich, sondern für seinen
Verband, den Bund Deutscher Radfahrer (BDR – für Grübler: doch, doch, das
ist der Verein, dem immer noch Rudolf Scharping vorsteht).
## Ein Strohhalm mit fünf Ringen
Das ist nämlich eine sehr ärgerliche und bedenkliche Entwicklung im
Weltsport: dass Weltmeisterschaften nicht mehr das sind, was sie vorgeben
zu sein, sondern in etlichen Sportarten zu bloßen Olympiaqualifikationen
hinuntergewirtschaftet wurden.
Sportarten wie das Radfahren, das Schwimmen, Ringen, Turnen oder die
Leichtathletik, deren Weltmeisterschaften ja gerade in Doha beginnen,
gelten als klassische olympische Disziplinen. Was einmal eine ziemlich
richtige und nicht weiter ehrenrührige Charakterisierung war, soweit sie
darauf hindeutete, dass diese Sportarten über eine große Tradition, die
über die gesamte Sportgeschichte hinaus erkennbar ist, verfügen, wurde
mittlerweile zum rettungsverheißenden Strohhalm. Im Sinne von: wenigstens
olympisch sind sie noch.
Nur dieses überdimensionierte Megaevent, das nächsten Sommer in Tokio
stattfindet, verschafft solchen Sportarten noch ein bisschen Aufmerksamkeit
– was ja mittlerweile auch nur bedeutet: Es besorgt diesen Verbänden ein
paar Argumente bei Verhandlungen mit Sponsoren. Von alleine aber, wenn nur
das ansteht, was früher viele Menschen begeisterte, passiert da kaum noch
was. Man geht nicht mehr zu einem Leichtathletiksportfest, wenn es nicht
als sensationelles Event inszeniert wird.
Der am Wochenende anstehende Berlin-Marathon zeigt es: Nur weil da sehr
viele Menschen, darunter auch einige sehr gute, 42 Kilometer laufen, guckt
niemand. Es muss die große mediale Inszenierung her: beeindruckende Bilder,
stets besonders hervorgehobene Stars und dauerndes Glotzen auf die
Durchschnittszeit des aktuellen Weltrekords: Vielleicht ist ja heute was
drin, heißt es dann.
## Verlierer, wo man hinguckt
Am leichtesten ist diese Inszenierung zu bewerkstelligen, wenn der Rahmen
ohnehin da ist. Das Internationale Olympische Komitee lässt die Spiele ja
immer mehr als gigantische, nicht mehr mit irdischen Maßstäben zu
beurteilende Events inszenieren. Dafür – das ist die Geschäftsgrundlage des
IOC – kassiert es unglaubliche Mengen an Geld, vor allem an Fernsehrechten,
von Sponsoren und an Lizenzabgaben.
Verloren haben bei dieser Entwicklung eigentlich fast alle Sportarten
(außer der Fußball, natürlich, und wenige andere wie etwa das Tennis).
Interessant ist aber, dass nicht nur der eigentlich doch sehr breit
aufgestellte Weltsport leidet. Auch Olympia nimmt Schaden. Denn der gesamte
ideologische Klimbim, mit dem das Fünf-Ringe-Fest einmal groß wurde und den
es immer noch vor sich herträgt – olympischer Friede, lympischer Geist,
olympischer Eid, olympische Fahne und olympisch und – spielt ja keine Rolle
mehr.
Dieses alberne „Dabei sein ist alles“, das doch die Besonderheit zeigen
sollte, ist Mumpitz, wenn man erfährt, dass mittlerweile
Weltmeisterschaften nur noch Olympiaqualifikationen sind, wo einzelne
Sportler sich abrackern müssen, damit irgendein anderer Sportler ihres
Verbandes dabei sein darf.
26 Sep 2019
## AUTOREN
Martin Krauss
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