# taz.de -- Trotz rechtsextremer Aktivitäten: Es ist keine Hasskriminalität | |
> In Bielefeld attackiert ein Mann eine Schulklasse und bezeichnet sich | |
> später als Rassist. Doch die Polizei sieht Rassismus nicht als Hauptmotiv | |
> an. | |
Bild: Bitter | |
Was macht eine Straftat zu einer antisemitisch oder [1][rassistisch | |
motivierten Straftat]? Ist es das Machtverhältnis zwischen Täter_innen und | |
Opfern? Die Art der Straftat, etwa wenn antisemitische oder rassistische | |
Beleidigungen hinzukommen? Eine bisherige Laufbahn oder mögliche | |
Anbindungen zu einschlägigen Milieus? Ab wann ist ein Milieu einschlägig? | |
Müssen es vorbestrafte Neonazi-Terrorist_innen sein oder reicht ein | |
deutscher Background? | |
All diese Faktoren könnten schließlich relevant sein. Am leichtesten ist | |
die Zuordnung jedoch, wenn Täter_innen ein Bekenntnis liefern. „Ich bin ein | |
Rassist“ wäre beispielsweise ein sehr eindeutiges. Wobei in Deutschland, wo | |
das BKA 2018 etwa 7.700 antisemitische und rassistische Straftaten zählte – | |
20 Prozent mehr als 2017 –, niemand je Antisemit_in oder Rassist_in | |
gewesen sein will, zumindest nicht seit 1945. | |
Wenn in Deutschland, dem Land des Rassismus ohne Rassist_innen, jemand von | |
sich aus behauptet, ein_e solche_r zu sein, dann muss es was heißen. So | |
geschehen am vergangenen Mittwoch in Bielefeld, wo ein 39-Jähriger eine | |
Schulklasse am Bahnhof mit Reizgas attackierte und dabei zehn Schüler_innen | |
sowie eine Lehrerin verletzte. | |
Als die Polizei den Mann, gegen den es bereits einen offenen Haftbefehl | |
gab, nach seinem Motiv fragte, erklärte er, dass er die Kinder nervig fand | |
und außerdem ein Rassist sei. Trotzdem betonte Carsten Bente, | |
Polizeisprecher der Bundespolizei in Münster, dass sie Rassismus nicht als | |
Hauptmotiv werteten und keine Zugehörigkeit zur rechten Szene bekannt sei. | |
Der Täter habe bei der Tat keine rassistischen Sprüche skandiert und sei | |
alkoholisiert gewesen. | |
## Menschenfeindliches Denken | |
Interessant, dass die Polizei hier so sehr auf eine fehlende Zugehörigkeit | |
pocht, um die Tat nicht als Hasskriminalität einzustufen, während der | |
[2][Mord an Walter Lübcke] trotz rechtsextremer Aktivitäten des Täters | |
Stephan E. zunächst nicht als ein solches Verbrechen verhandelt wurde. | |
Um antisemitisch oder rassistisch zu handeln, muss niemand einen Lebenslauf | |
mit Neonazi-Praktika oder einen KKK-Mitgliedsausweis vorlegen. Man muss | |
nicht einmal Neonazi-Memes in Gruppenchats nachweisen oder beweisen, dass | |
man vier Frei.Wild-Songs kennt. Und die wenigsten Antisemit_innen oder | |
Rassist_innen werfen noch schnell einen Hitlergruß hinterher, wenn sie | |
entsprechend handeln. Manchmal handeln sogar vermeintliche Linke | |
antisemitisch oder rassistisch. | |
Natürlich würden sie sich niemals selbst Antisemit_in oder Rassist_in | |
nennen, doch diese Begriffe sind auch keine Selbstbezeichnungen, sondern | |
beschreiben menschenfeindliches Denken und Handeln. | |
Und selbst wenn: Seit wann juckt es Deutsche – das sind diese Leute, die | |
politische Selbstzeichnungen wie Schwarz oder PoC erfolgreich aus dem | |
gesellschaftlichen Wortschatz verdrängen –, wer sich selbst wie nennt? | |
17 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Rechte-Gewalt-in-Deutschland/!5623589 | |
[2] /CDU-und-der-Mordfall-Luebcke/!5602089 | |
## AUTOREN | |
Hengameh Yaghoobifarah | |
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