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# taz.de -- Kunstfestival „steirischer herbst“: Das Brodeln im Vulkan
> Die 52. Ausgabe „steirischer herbst“ in Graz stand unter dem Motto „Gra…
> Hotel Abyss“: Kunst mit politischem und hedonistischem Anspruch.
Bild: Jeremy Dellers Film „Putin's Happy“ (2019) ist auch zu sehen
Selten hat ein Ausstellungstitel den Zeitgeist so präzise benannt wie der
diesjährige „steirische herbst“. Das renommierte Grazer Festival für
zeitgenössische Kunst steht nämlich unter dem Motto „Grand Hotel Abyss“,
zitiert also das polemisch gemeinte „Grand Hotel Abgrund“ des Philosophen
Georg Lukács, in dem dieser 1933 die gesellschaftskritischen
Intellektuellen der Frankfurter Schule angesichts des drohenden Untergangs
der Zivilisation durch die NS-Machtergreifung situierte.
Ekaterina Degot, Chefkuratorin des „steirischen herbstes“, wendet Lukács’
Analyse nun auf „westliche“ Gesellschaften insgesamt an, auf Gesellschaften
also, in denen einerseits materieller Wohlstand herrscht, wie es ihn zuvor
nie gegeben hat, deren BewohnerInnen andererseits aber zunehmend bewusst
wird, wie ihre Lebensbedingungen existenziell bedroht werden: vor allem vom
Klimawandel, aber auch von einem grassierenden Rechtspopulismus.
Die Spannung von Problembewusstsein und Ablenkung durch Genuss gibt dem
„Grand Hotel Abyss“ dann den konzeptionellen Rahmen vor. So sind in den
Ausstellungen Arbeiten zu sehen, die zentrale Bedrohungen der Gegenwart
thematisieren, aber auch solche, die den kommodifizierten Hedonismus
unserer Tage in ihren Fokus rücken. Klugerweise fragen viele der Arbeiten
der 13 Künstler*innen dabei auch danach, welche Rolle die Kunst in diesem
Spannungsfeld spielen kann.
So steht „Änderungsschneiderei Plan B“ auf der Schaufensterscheibe eines
Ladenlokals im Grazer Stadtzentrum. Betritt man die originalgetreu
eingerichtete Änderungsschneiderei, wird man freundlich von zwei
Angestellten begrüßt, zu ändernde Kleidung allerdings wird von ihnen nicht
entgegengenommen. Stattdessen werden BesucherInnen aufgefordert, eine im
Raum verborgene Tür zu suchen. Einmal gefunden, führt diese Tür in einen
hinter der vermeintlichen Änderungsschneiderei liegenden Kellerraum, der
als Hybrid von Bunker und Fluchtraum hergerichtet wurde.
Doppelbetten sieht man im Halbdunkel, dazu eine Kinderecke, eine
spartanische Kochnische, auch an eine Toilette wurde gedacht. Zudem steht
da ein Monitor, mit dem der Vorderraum überwacht werden kann. Die
Zweirauminstallation „Plan B“ (2019) von Artur Zmijewski bietet also
Zuflucht angesichts wohl schon in Kürze zu erwartender sozialer Unruhen,
verursacht etwa durch die dramatische Zunahme von Klimaflüchtlingen. So
besitzt die Arbeit des polnischen Künstlers „dank“ der weltweit desolaten
Klimapolitik durchaus prophetische, ja pragmatische Qualitäten.
## Absurde Ausdauer
In Jeremy Dellers im Grazer Künstlerhaus zu sehenden neuen Film „Putin’s
Happy“ (2019) sprechen am Rande von Brexit-Demonstrationen „besorgte“
Briten über die angeblichen Ursachen und Folgen des Brexit. Schnell wird
deutlich, wie da Verschwörungstheorien, Fremdenhass und dümmliche
Übertreibungen den Ton angeben: „Wenn in deiner Stadt kein Englisch mehr
gesprochen wird, dann stimmt überhaupt nichts mehr!“ oder „Putin freut’s…
solche Plattitüden sind da zu hören. Dellers Arbeit bildet ab, wie in
unseren „Postdemokratien“ (Colin Crouch) rechtspopulistische
Realitätsflucht längst meinungsbildend ist. Mit knappen Slogans bedruckte
Banner, die neben den im dokumentarischen Stil gedrehten Film platziert
sind, kommentiert der Londoner Künstler das politische Geschehen zudem mit
aggressiv-kluger Verve, etwa so: „Jede Ära hat ihren eigenen Faschismus.“
Besagte Flucht in den Hedonismus steht etwa in der Helmut-List-Halle in der
Videoinstallation „Progressive Touch: Series 1“ (2019) von Michael Portnoy
zur Disposition. Schwule, lesbische und hetereosexuelle Porn-Clips stellt
der US-Künstler in seiner raumgreifenden Installation mit vier über Kreuz
stehenden Leinwänden vor, präzise geschnitten nach den Rhythmen von cooler
Progressive Rock- und Jazz-Musik.
Die sexuellen Akte, die sich da in absurder Ausdauer und Heftigkeit
vollziehen, sind jeweils in diffuses künstliches Licht getaucht und
erinnern zuweilen an schon slapstickartig anmutende Bewegungsabläufe. Wenn
man und frau so will: Hochleistungssex der extrem kommodifizierten Art hat
Michael Portnoy hier in Szene gesetzt – und so künstlerisch die Frage nach
der emotionalen Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen Anfang des 21.
Jahrhunderts gestellt.
## Klammheimliche Propaganda
Gesellschaftliche Funktionen der bildenden Kunst schließlich nimmt Jasmina
Cibic in ihrem Film „Das Geschenk – 1. Akt“ (2019) ins Visier. Der
ebenfalls im Grazer Künstlerhaus zu sehende Film thematisiert in einer
sterilen Hochglanzästhetik die Beziehung von Staat und Kultur, dieses am
Beispiel der Instrumentalisierung von Kunst durch politisch motivierte
Geschenke an den Staat.
In dem Film soll eine vierköpfige Jury darüber entscheiden, welches von
drei geschenkten Kunstwerken, dargeboten von einem Diplomaten, einem
Ingenieur und einem Künstler, realisiert werden soll. Im Laufe der Anhörung
der drei werden dann die Probleme deutlich, die solche Geschenke mit sich
bringen, das Spektrum reicht von klammheimlicher Propaganda bis hin zu
offensichtlichen Wirtschaftsinteressen der „Spender“. Ein spannender Film
ist der slowenischen Künstlerin gelungen; dass sie allerdings in einer
Künstler*innen-Liste mit 13 Positionen nur eine der lediglich zwei (!)
weiblichen Künstler*innen ist, das irritiert dann schon, zumal die Liste
von einer Chefkuratorin verantwortet wird.
30 Sep 2019
## AUTOREN
Raimar Stange
## TAGS
Frankfurter Schule
Schwerpunkt Brexit
Adorno
zeitgenössische Kunst
Graz
Schwerpunkt Klimawandel
Österreich
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