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# taz.de -- Der Steirische Herbst: Alles wird verkleinert
> Skandal war früher. Heute ist der Ausfall der Erregung die größte
> Provokation. Der Steirische Herbst in Graz arbeitet mit
> Theaterkollektiven und Stadtrundgängen.
Bild: Blick über Graz - vom "Haus der Kunst" aus.
Wo fängt man an? Auf dem Acker am Rande der Stadt Graz, wo die Schauspieler
in dem Stück "Zwischen Knochen und Raketen" oft weit entfernt vom Zuschauer
pornografische Stellungen nachahmen? Oder bei der Audio-Tour
"Fortysomething" durch das Stadtzentrum, bei der dem Besucher des
Steirischen Herbsts 2007 Stimmen über Kopfhörer von den Kunst-Skandalen aus
40 Jahren dieses Festivals erzählen? Beide Male verkleinert sich das Bild,
beide Male ist der Erzeuger der Erregung in weite Ferne gerückt. Und diese
Entfernung von etwas, um das es doch eigentlich gehen soll, ist womöglich
mehr als nur ein Effekt dieses Festivals.
Was hat die Stadt Graz, die mit 200.000 Einwohnern nicht gerade groß ist,
nicht schon alles erlebt an Krach um die Kunst. Am Ufer der Mur, neben der
Hauptbrücke, erzählt mir die Stimme einer Frau in der Audio-Tour
"Fortysomething", wie sie als Kind 1979 über die große Ansammlung von
Menschen staunte, die anscheinend relativ fassungslos einem Rülpsen über
dem Fluss zuhörten. Das war das "Tonmonument" von Valie Export, das schon
nach einem Tag entfernt wurde. Auf dem Hauptplatz höre ich von dem Jahr,
als die Passanten selbst als Sänger gecastet und in großen Chören
unvermutet zu Kunstakteuren wurden, und von einem Künstler, der
vorgefundene Situationen als Bild erklärte. In der angrenzenden
Fußgängerzone, der Herrengasse, konnte man 1983 unter großem gläsernen
Klirren selbst einen Bilderrahmen passieren, und weiter oben, am Eisernen
Tor, baute Christoph Schlingensief 1998 Hochsitze für Bettler und
Obdachlose.
Zehn Jahre zuvor, 1988, hatte Hans Haacke hier ein Denkmal anlässlich des
50. Jahrestages des Anschlusses von Österreich an das
nationalsozialistische Deutschland aufgestellt und damit für einen sehr
großen Skandal gesorgt. Aber selbst in dem Jahr, so hört man im Ausschnitt
einer ORF-Sendung von 1988, ging schon die Klage: Ja, früher war noch die
Kunst selbst aufregend im Steirischen Herbst, heute ist sie fad geworden
und die Verständigung darüber nicht mehr als ein routiniertes Medienecho.
Acht Stunden dauert das gesamte Tonmaterial, das die Künstlergruppe plan b
für diese Audio-Tour durch die Geschichte zusammengestellt hat, aber schon
nach gut einer Stunde beginnt man die Probleme einer Festivalleitung zu
ahnen, deren Auftrag noch immer lautet, Avantgarde zu spielen, in Theater,
Musik, Literatur, bildender Kunst. Und so treten Veronika Kaup-Hasler, die
Intendantin, und Florian Malzacher, der Dramaturg des Festivals, die Flucht
nach vorn an und sagen: Heute kann es gemessen an der Erwartungshaltung
provozierend sein, dass eben nichts passiert und die Form klein bleibt. Von
der bildenden Kunst im öffentlichen Raum, die in den Neunzigerjahren eine
große Zeit in Graz hatte, haben sie den Schwerpunkt auf Theater und
Performance verschoben. Und dort setzen sie auf den Prozess, die offene
Form, Künstlerkollektive und Netzwerke.
Tatsächlich zeichnen sich einige der Theater-Produktionen, die vom Festival
eingeladen und mitproduziert wurden, durch Entdramatisierung aus. Während
sie auf der einen Seite das Handwerk des Theaters mit großer Lust zerlegen
und seine klappernden Einzelteile vorführen, stellen sie auf der anderen
Seite die Suche nach globalpolitischen Themen als etwas aus, durch das man
irgendwie durch muss in diesen Zeiten, egal wie.
Das "Theater im Bahnhof" ist eine Grazer Gruppe, deren Produktion "Zwischen
Knochen und Raketen. Ein Theaterstück mit weltpolitischen Dimensionen" ein
Auftragswerk für den Steirischen Herbst war. Seine Struktur parodiert die
Mechanik des Boulevards, wo ständig unangekündigter Besuch auftaucht und
hinter jeder Tür eine verbotene Beziehung lauert. Die Dialoge hört man über
Lautsprecher, während sich die Schauspieler quer über den weiten Acker
bewegen, von dem sie behaupten, er sei die 70.000-Quadratmeter-Wohnung
eines ehemaligen Pornostars. Die bekommt nicht nur Besuch von ihrer
Freundin, sondern auch von ihren drei Ehemännern Viktor I, Viktor II,
Viktor III, allesamt aus den ehemaligen sowjetischen Republiken stammend
und noch nichts voneinander wissend. Während der Pornostar mit dem
Verstecken der Männer beschäftigt ist, was angesichts des freien Blicks
über das weite Feld schon ziemlich absurd ist, macht sich die Freundin
nacheinander an die Verführung der drei Viktors.
Die Sexszenen bringen nicht nur die Autofahrer, die auf der angrenzenden
Landstraße unterwegs sind, jedes Mal vom Gaspedal, sondern sie sind auch
eine schöne Umkehrung der pornografischen Perspektive: Statt Nahaufnahmen
Totale bis zu den Bergen, hinter denen die echte Sonne untergeht. Die
weltpolitische Dimension kommt erstens über die Texte ins Spiel - die drei
Viktors monologisieren vor sich hin und teilen Splitter aus den
Krisengebieten mit, aus denen sie kommen. Aber mehr als sprachliche
Behauptung ist das nicht, auch wenn hier wieder eine Umkehrung ins Spiel
kommt: Denn diesmal sind es die Männer, künstlerische Existenzen am Rande
von Pleiten und Verhaftungen, denen durch Sexhunger und Kaufkraft der
Frauen geholfen wird.
So weit, so gut. Alles wird verkleinert, das Drama, der Skandal, die
Erregung. Aber das ist es dann auch schon. Nichts bleibt hängen. Sind die
Elemente vorgezeigt, tritt der Rest auf der Stelle.
Die Teilnehmer der andcompany & Co kommen aus fünf verschiedenen Ländern
und haben sich der Erforschung vergessener Utopien verschrieben. Ihr Stück
"Time Republik", das sie in Graz uraufführten, wird später in den
Sophiensälen Berlin, auf Kampnagel Hamburg, im FFT Düsseldorf und in
weiteren Zentren des freien Theaters zu sehen sein. In "Time Republik"
bildet der erste Sputnik, den die UdSSR am 4. Oktober 1957 ins All sandte,
den Ausgangspunkt. Sie erzählen die Geschichte des Wettrüstens und des
Kalten Krieges als ein sprachakrobatisches Musiktheater. In langen
zungenbrecherischen Sätzen türmen sie die Szenarien des Gleichgewichts des
Schreckens übereinander, bis diese Sprachkaskaden unaussprechbar werden.
Dazwischen gibt es Reden an die Männer auf dem Mond und Training für die
Schwerelosigkeit.
Es hat Charme, wie hier die ganz große Geschichte mit Mitteln, die oft nach
Instrumenten der kindlichen Früherziehung aussehen, erzählt wird. Was aber
fehlt, ist ein Verhältnis zum Inhalt, das darüber hinausgeht, die
Geschichte als Spielmaterial zu begreifen. Was von den vergangen
Bedrohungsszenarien unsere Gegenwart prägt, was davon sichtbar oder
unsichtbar ist, wie sich heutige Ängste davon unterscheiden: Tatsächlich
fallen einem diese Fragen während des Stücks ein.
Besser zueinander passten Form und Inhalt in dem Stück "No Dice" vom Nature
Theater of Oklahoma, einem Gastspiel aus New York. Alles dreht sich um den
Versuch, Geschichten zu erzählen, und den Parcours der Hindernisse, den der
Schauspieler dafür durchlaufen muss. Den Schlüssel bildet ein
Telefongespräch eines Schauspielers mit seiner Mutter. Sie war im
Dinnertheater, eine typisch amerikanische Form der Unterhaltung, und kann
sich noch an das Essen und die Kostüme erinnern, vielleicht auch noch an
die Kulisse und die Zahl der Leichen, aber nicht mehr an die Geschichte und
schon gar nicht an die ästhetische Qualität.
Wie soll man bei solchen Aussichten nicht den Mut verlieren. "No Dice" ist
ein verzweifeltes Gequassel, das sich um Probleme der Glaubwürdigkeit als
Künstler, die Bewunderung für Hollywoodstars, das beschissene amerikanische
Theatersystem, Fernsehserien, Alkohol und andere Krisen der Kreativität
dreht. Der Text hat dabei viele Wiederholungsschlaufen und wird, so scheint
es, den Schauspielern über Kopfhörer zugespielt, so dass sie der
Identifikation mit der Rolle immer hinterherhecheln. Pollesch auf
Amerikanisch, denkt man, allerdings weit entfernt von einer entsprechenden
Etablierung im Theaterbetrieb.
Für die Szene, die früher den Steirischen Herbst trug - die Künstler, das
Feuilleton, das Publikum -, mag all das zu albern und verspielt erscheinen,
und tatsächlich findet jetzt ein Generationenwechsel auch im Publikum
statt. In einem Gespräch, das im Festivalmagazin abgedruckt ist, sagt
Exintendant Peter Vujica, der das Festival von 1983 bis 1989 leitete: "Zu
meiner Zeit hat es Leute gegeben wie Heiner Müller, Ligeti, Penderecki.
Heutzutage ist das ein Heer von Pygmäen, die alle Fertigkeiten haben, aber
nicht herausragen."
Das Bild passt gar nicht so schlecht: dass da, wo ein großer Name und ein
Werk standen, jetzt ein Haufen wuselnder Leute auftaucht, die irgendwas
machen. Manche Sachen überraschen so einfach durch die Zahl der
Beteiligten. Zum Beispiel das Festival-Zentrum, "The Theatre", das auf dem
Karmeliterplatz in der Altstadt aufgebaut ist. Es setzt sich aus Containern
für Toiletten, Büro und Küche, einem Cafézelt mit aufgeklebten Punkten und
einem Kubus, in dem Theater gespielt wird, zusammen. Es ist mobil, sehr
schön. Dass über 40 Künstler anderthalb Jahre ihr Hirnschmalz da
hineingesteckt haben sollen, scheint dann doch irgendwie nicht mehr
nachvollziehbar im Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis. Es steckt
vielmehr auch viel Diskursverliebtheit darin, die Entwicklung des
Festivalzentrums "als eine Art soziale Performance" zu verklären.
Und solche hochtrabende Vokabeln baumeln den Künstlern alle Nase lang vor
derselben. Sie strampeln sich ab, sie schnappen danach, sie zeigen ihre
Mühe damit her und machen sich über die Vergeblichkeit lustig. Aber sie
wären vielleicht auch mal wieder gut beraten, etwas weniger begeistert über
die Erscheinung der eigenen Auflösung zu sein.
8 Oct 2007
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Frankfurter Schule
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